Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 01.04.16 |
Eine kleine Analyse des Terrors zeigt: er verortet sich jenseits der Vernunft, er ist universal und folgt keiner Logik. Das traditionelle Freund-Feind-Schema ist obsolet und entpersonalisiert die Opfer.
von Stefan Groß
Der Terror ist die
Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln
Ein geflügeltes Wort des Militärstrategen Carl von Clausewitz
heißt bekanntlich: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik
mit anderen Mitteln.“ Im Zeichen des Terrors müßte man ergänzen: Der Terror ist
die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Terrorakte sind nicht neu, in
modifizierter Form gab es sie bereits im Alten Rom durch Übergriffe der
Germanen auf die Legionen Cäsars genauso wie in den Partisanenkämpfen im
Dritten Reich. Allenthalben eignet dem Terror die Psychologie des Schreckens,
des Unerwartbaren, das im Augenblick zuschlägt und aus dem Hinterhalt agiert.
Terrorakt an sich ist die
Botschaft
Der Terror hat seine eigenen Gesetze, die dem des freiheitlichen
Rechtsstaates diametral entgegenstehen und diesen in seiner Existenz gefährden,
beziehungsweise in seiner Souveränität und Autonomie zeitweise außer Kraft
setzen, die befriedete Ordnung in ein wohlorganisiertes Chaos lenken und ihn
dort treffen, wo seine Achillesferse ist,
in den Kommunikationszentren, in den Zentren der Macht und Kultur, in den
architektonischen Denkmälern des liberalen Staates und seiner Freien
Marktwirtschaft oder in den Symbolen des religiösen Glaubens. Dabei spielt es
nur graduell eine Rolle oder macht einen Unterschied aus, ob es sich um einen
politischen Terror wie bei der RAF oder um einen religiösen Terror wie beim
„Islamischen Staat“ handelt, der seinerseits von einer rein-islamischen
Religion wie einem neuen politischen Kalifat träumt, einem
politisch-fundamentalistisch eingefärbten Staatsislam also.
Generell ist beim Terrorakt das Medium die Botschaft, wie Herbert Marshall McLuhan sagen würde. Wichtiger als die Toten ist die
Inszenierung, die gezielte Provokation und Zerstörung der Insignien der
(westlichen) Macht, mit denen der Terror bricht, die er herausfordert und die
er zerstört, deren Gültigkeit und Anspruch er in Frage stellt und dabei die Fragilität, die
Gebrechlichkeit des scheinbar perfekten Systems zum Ausdruck bringt. Der Terror
ist der metaphysische Rest, der Horror jeden Staates – das Unverfügbare und
Dämonische. Damit ist und bleibt er ein anti-systemischer Akt. Dies gilt sowohl
für die Anschläge in New York, Madrid, Paris oder – wie am 22. März 2016 – in
Brüssel. Gezielt wird in das Herz, in die Operativeder Macht. Mit Brüssel wurde aber nicht nur das Herz Europas
verletzt, der Schlag richtete sich insbesondere gegen die Europäischen Union.
Gegen ihre Verweigerung der unbegrenzten Migration und der unfreiwilligen
Infiltrierung von nichtregistrierten Einwanderern, die im Gepäck nicht nur
Frieden und Wohltat haben.
Mit der Schließung der Balkonroute und dem Ende der
Willkommensromanik wurde dem „IS“ vorerst die Illusion und das Kalkül genommen, seine
Kämpfer unfiltriert und willkürlich nach Europa einzuschleusen, wenngleich die
Zahl derer, die bereits da sind, nach wie vor offen ist – die Dunkelziffer ist
hoch. Doch der Traum der Dschihadisten, Europa von Innen zu unterwandern, aus
dem Mark oder Kern heraus zu destabilisieren, geht damit nur noch begrenzt auf.
Dennoch warten 400 bis 600 speziell ausgebildete Kämpfer darauf, Europa immer
wieder und immer öfter ins Visier zu nehmen. Europa ist die alte und neue
Zielscheibe des Terrors.
Die mediale Welt ist das
perfekte Transportnetz
Dank der modernen Kommunikationsmedien rückt der Terror von den
entlegensten Gegenden der Welt in den Raum der Öffentlichkeit, wird gleichsam
omnipräsent – dies ist ein Novum. In einer global vernetzen Welt zeigt er sich
nicht nur als ultima ratio von Menschen, die keine andere Wahlmöglichkeit
sehen, um ihr perfides Denken, ihre Dämonie oder persönliche Kränkungen, ihren
Narzißmus, mit Gewalt und Macht zu bekunden. Sondern die mediale Welt ist das
perfekte Transportnetz, das dem Terror seine Transparenz verleiht und ihn
universal zu einem perfiden Schauspiel werden läßt, das auf allen Tickern der
Nachrichtensender, im Fernsehen oder im Internet die Spur des Grauens in
Echtzeit überliefert. Ein besseres Medium kann sich der Terrorist nicht
wünschen. Die Aufmerksamkeit ist ihm gewiß und macht gerade den „Charme“ seiner
Botschaft aus; je radikaler diese ausgeführt wird, je mehr Blut und Absurdität
sie ausstrahlt, desto intensiver wird diese konsumiert. Das Maß des
Erschreckens wird dabei zum Maß des Konsums einerseits und löst andererseits
beim Täter niedere Befriedigungsgelüste aus. Diese Befriedung der niederen
Triebkräfte korrespondiert mit dem dahinterstehenden Drang zur Unterwerfung,
wie er sich exemplarisch bei den fast rituellen Vergewaltigungsorgien des „IS“
zeigt.
Das Freund-Feind-Schema
ist obsolet
Den Terroristen geht es nicht um einen Kampf auf Augenhöhe,
nicht um das berühmte Freund-Feind-Schema Carl Schmitts, das sie bewußt außer
Kraft setzen. Für sie ist der Feind nicht der griechische Echthros, der
persönliche Gegner, den man haßt, sondern ihnen geht es gezielt um Demütigung.
Und qualitativ zur Demütigung wächst der Triumph der Täter, ihre
Selbstermächtigung, Gott und Richter zugleich zu spielen, über Tod und Leben zu
entscheiden – das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Der Terror ist wohl die unpersönlichste
Form von Gewalt
Der Terror ist wohl die unpersönlichste Form von Gewalt. Er
wählt seine Opfer wahllos aus, er ist asymmetrisch, folgt keiner Logik und
entsubjektiviert die Opfer. Er hebt die souveräne Existenz des Einzelnen, seine
Individualität, Identität und Autonomie auf und bricht seine Körperlichkeit mit
martialischer Gewalt. Wie in einem perversen Spiel geht
es darum, das Maß des Schreckens, die Dimension der Gewalt, immer wieder
negativ qualitativ zu steigern. Beim Terror, im Akt des Tötens, wird der Einzelne zum
„Man“ Heideggers, zu einer unbestimmten Größe.
Terror ist kontingent
Terror ist Kontingenz in seiner absoluten Gewaltausübung, eine
Kontingenz, die sich überall und immer, jederzeit und an jedem Ort ereignet. Er
ist das Ereignis, das teilweise vereitelt werden kann, das sich aber durch
seine Beliebigkeit weder voraussagen noch berechnen läßt. Es ist das
Damoklesschwert, das dem Staat permanent seine Endlichkeit, seine Unfähigkeit
aufzeigt, souverän Schutz zu gebieten. In seiner Kontingenz ist der Terror eine
Konstante, die konstant in ihrer Kontingenz ist. Die Konstante des Terrors ist
seine Unvorsehbarkeit.
Auch für die Angehörigen der Opfer ist das Abschiednehmen und
Verzeihen schwierig, weil sich der Tötungsakt – anders als bei Exekutionen –
nicht an einer ausgewählten Person, sondern am entpersonalisierten „Man“
abarbeitet. Der Zufall des Tötens macht es komplizierter, möglicherweise zu
verzeihen. Trauer braucht Bestimmtheit, braucht Gründe, eine Logik des
Verzeihens und nicht Wahllosigkeit und Willkür, denn die Angehörigen wollen die
Tat verstehen, um diese zu verarbeiten. Wo blinder Zufall waltet, bleiben immer
nur Fragen, die den Prozeß des Trauerns – samt seiner Irrationalität – nicht zu
erklären vermögen. Was bleibt sind Wunden, die nie heilen. Wir werden uns daran
wohl gewöhnen müssen.
Erschienen auf The European
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