Erschienen in Ausgabe: No 123 (05/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
Ob der Maulkorb für Jan Böhmermanns Satire an Erdoğan oder die ewigen Fingerzeige auf politische Gegner. Mit den Maßregelungen der Politik an ihren Bürgern treiben wir sicher in einen Bevormundungsstaat. Der Bürger wird zum Untertan und reglementiert.
von Stefan Groß
Inmitten der Flüchtlingskrise samt dem schwindelerregenden Aufstieg der AfD
feiert ein neuer Kommando- und Befehlston bei den etablierten
Regierungsparteien Konjunktur. Der pluralistische Diskurs verkommt zur
Meinungsdiktatur, die all jene abkanzelt, die eigenständig denken und all jene
entmündigt, die nicht dem politischen Diktat folgen. Mag man über die AfD
denken, was man will, mir ist sie sogar höchst unsympathisch, aber die ewigen
Fingerzeige der politischen Klasse schüren ein Ressentiment, das ihnen selbst wie
ein kalter Wind wieder ins Gesicht zurückbläst.
Die neue Basta-Politk
Die Zeiten des Gerhard Schröders sind vorbei. Seine Basta-Politik ist
geblieben und prägt den Bevormundungsstaat. Dabei spielen alle politischen
Couleurs die gleiche Karte, egal ob Politiker der Union, der SPD, der Grünen,
der DIE LINKEN oder neuerdings der AfD.
Die Basta-Politik von Angela Merkel kommt metaphysisch
aufgeladen daher, ignoriert die Stimme des Volkes, dessen Meinung nicht mehr
willkommen ist, die es zumindest zu reglementieren gilt – ganz getreu dem Motto
„was […] nicht sein kann, was nicht sein darf“, wie Christian Morgenstern in seinem Gedicht
„Die unmögliche Tatsache“ schrieb. Was
nicht ins Bild der politischen Agenda passt, wird schlichtweg für falsch
erklärt. Aus dem Pluralismus der Meinungen, von der eine Demokratie lebt, wird
so eine Gehorsamsdiktatur, die zur Entpolitisierung oder Radikalisierung führt.
Gewünscht ist der Untertan
Gewünscht ist nicht der kritische
Zeitgeist, der freie aufgeklärte Bürger, sondern der Untertan. Heinrich Mann
hatte bekanntlich 1914 sein Buch „Der Untertan“ geschrieben und die Romanfigur Diederich
Heßling als Beispiel eines konformen Menschen charakterisiert, der
obrigkeitshörig ist, feige und ohne Zivilcourage, der konformistische und
loyalste Mitläufer im deutschen Kaiserreich. Heßling war für Mann der Prototyp
des aufkommenden Faschismus, jener anpassungsfähige und adaptionsfreudige
Mensch, der blindlings folgt, ein Mensch also, den man nicht haben mag. Doch
die Zeiten haben sich geändert. Heute wünscht man sich die Adaptionsfreudigen,
die im blinden Trott den Imperativen der Macht Gehorsam leisten. Vergessen die
Rede von Transparenz, Partizipation am Politischen und dialogischem Prinzip.
Statt Dissens – Konsens, statt
Polyphonie – Univozität.
Deutschland ist kein
Mitmachland mehr
Deutschland ist kein Mitmachland mehr. Die Politik, die einst
die Kunst des Machbaren war, ist zur Autokratie verkommen, die sich im
Apodiktischen erschöpft: Die Direktive kommen von oben. Es muss nichts erklärt
oder kommuniziert werden – der Befehl allein genügt. Wer gegen die Flüchtlingspolitik
ist, läuft gegen den Mainstream, gegen die politische Korrektheit. Wer den EU-Beitritt
der Türkei kritisiert, weil dort ein Autokrat regiert, der die Menschenrechte
mißachtet, ist ebenfalls blamiert, weil er nicht versteht, dass die Mißachtung
regionaler Menschenrechte möglicherweise die Voraussetzung für universales
Menschenrecht sein soll, an das sich dann auch die Türkei anschließt. Vorerst
ist die Kritik an der Türkei unerwünscht und wer Widerspruch einlegt erweist
sich als Störenfried „wohlbedachter Außenpolitik“. In Sachen Menschenrechtsverletzung herrscht Friede,
Freude, Merkelharmonie.
Der ewige Ja-Sager
Man will ein Volk von Ja-Sagern, das in den politischen Diskurs einstimmt.
Doch schon Friedrich Nietzsche hat in seinem „Also sprach Zarathustra“ diesen
Typus als den schiersten Ausdruck der „Herdenmoral“ des schwachen Ich blamiert.
Für den Philosophen stand bekanntlich der Letzte Mensch für jenen Typus des
„christlich-demokratisch-sozialistischen“ Menschen und damit für das
schwächliche Bestreben nach Angleichung der Menschen untereinander, für die
uniforme Gesinnungsherde. Menschen also, die sich möglichst risikolos, einem
langen und „glücklichen“ Leben ohne Härten und Konflikten überlassen, die aber
auch „keinen Stern mehr gebären“ können und damit die Fähigkeit verlieren,
kreativ zu sein und zu denken.
Der neue
Paternalismus
Man will nur das Beste für das Volk, so lautet das Argument
der politischen Führungselite. Doch die Technik der Macht, die dahintersteht,
ist ein neuer Paternalismus, der davon ausgeht, dass sich das demokratische
Dogma längst überlebt hat und politische Entscheidungen letztendlich nur von Experten
getroffen werden können. Sie allein, die neuen Bevormunder, sind in der Lage
den Menschen, die nicht wissen was gut für sie ist, zu regieren. Angela Merkel
hat dies verinnerlicht, sie ordnet die sinnliche durch ihre überkomplexe Welt.
Ein Verhaltenskanon, ein Netz von Vorschriften und Geboten, wie man sich
verhalten soll, regelt die Existenz jedes Einzelnen und bestimmt den Staat als
einen, der sich in alles einmischt, der die persönliche Freiheit bevormundet, um
die Bürger einerseits zu besseren Menschen zu erziehen und andererseits die
Aufgabe übernimmt, diesen willensschwachen Geist vor sich selbst zu schützen.
Mehr DDR war nie
Mehr DDR war nie. Auch in de heutigen Bundesrepublik
existiert eine Art von Sozial-und
Betreuungstechnik mit einer dahinterliegenden subtilen Anleitung, wie das Leben
besser zu gestalten sei. Dies funktioniert aber nur, wenn man die Bürger, so
wie in der ehemaligen DDR, ihrer bürgerlichen Freiheiten entkleidet, sie
entwilligt, weil man ganz verständlich davon ausgeht, dass ihnen ihre individuelle
Freiheit unerträglich und unzuträglich ist und man diese durch eine beschränkte
Wahlfreiheit ersetzen müsse. Inkompetenzverwaltung oder Vormundschaft für die
Unmündigen. Wohlmeinende Politiker mit Richtungskompetenz entscheiden, was gut
für uns ist. Die Politik wird so zum Glückanleitungsangebot, degeneriert zu
einem demokratischen Despotismus, zu einer als Wohltat getarnten möglichen Tyrannei.
Das System Merkel hat die von der SED 1954 formulierten Maximen zur moralischen
Stärkung der mittlerweile im Geschichtsmüll versunkenen DDR reaktiviert. Dort
hieß es: „Die Stärke der Massen liegt in ihrem Zusammenschluss
mit der Partei“ und „Die Stärke
der Partei liegt in ihrer unlösbaren Verbundenheit mit den Massen“. Anders
gesagt: Nur wer sich der Partei, also Angela Merkel in Personalunion
unterwirft, denn sie ist die Partei, dem ist das lebensweltliche Heil sicher.
Der Fall Böhmermann
Schlechte Karten hat allerdings der, der sich der Politischen Korrektheit
entzieht und selbstbewußt den türkischen Präsidenten Erdoğan – wie
im Fall des Satirikers Jan Böhmermann – mit einem im ZDF ausgestrahlten und
dann wieder gestrichenen Schmähgedicht überzieht. In so einem Fall schlägt die
Stunde der Agitatorin, der Bevormundungsstaat reagiert unmittelbar und
stigmatisiert solches Benehmen als „bewusst verletzend.“ Telefonisch wird der
Schulterschluß mit dem neuen Verbündeten initiiert, der türkische
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu um Verzeihung gebeten und darauf verwiesen,
dass auch die Bundesregierung, die großen Wert auf die Presse- und
Meinungsfreiheit legt, mitteilt, dass der Kritik Grenzen gesetzt sind.
Böhmermann hat mit seinem Gedicht den türkischen Präsidenten persönlich
verletzt, der darauf hin moralische Unterstützung von der Kanzlerin einklagte.
Merkel hat reagiert, doch nicht für die Pressefreiheit, sondern zugunsten des
höchst umstrittenen Despoten aus Ankara. Die Zensur ist wieder einmal nach
Deutschland zurückgekehrt – und dies im Namen der Freiheit.
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