Erschienen in Ausgabe: No 123 (05/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
von Anna Zanco-Prestel
Für ihn haben viele berühmte italienische Autoren
geschrieben. Dichter, Schriftsteller, „hommes de lettres“ haben Einführungen,
Vorworte und Nachworte für seine international bekannte Bildbände verfasst und
die Lyrik seiner Fotos hervorgehoben, die das „Außerordentliche im
Alltäglichen“ festhalten.
So der Florentiner Literaturkritiker Geno Pampaloni, in dem Bildband Firenze e
la Toscana (1981).
So Fosco Maraini, Dacias berühmter Vater, der - selbst Fotograf und Wanderer
zwischen den
Welten -, in Il Nuvolario (1998), einem Buch über Wolken, essayistisch
kommentiert hat. Last but not least Maurizio Scaparro, Theatermann und
Dramaturg, der sich wiederum auf Maschere (1981), Roiters legendären Band über
den Anfang der 70er wieder aufgelebten venezianischen Karneval eingelassen hat.
Von besonderem Glanz und literarischem Wert sind aber unter allen die
poetisch-kritischen Texte von zwei Hauptvertretern der venetischen Kultur,
Andrea Zanzotto und Goffredo Parise, die respective die Bildbände Essere
Venezia (1977) und Laguna (1978)schmücken.
Es ist gewiss kein Zufall, dass beide Autoren in ihren Schriften – so wie im
Grunde auch Turner - einen Zugang „von außen“ zur Fata-Morgana-Venedig vorlieb
nahmen... „Durch Sümpfe und Kanäle in Gräsern versenkt, auf einer Flosse, die
älter und mythischer als Odysseus eigene ist“ – dichtet Zanzotto -„könnte man
eine Annäherung an die Stadt riskieren „ ,während der „Heimatlose der Seele“ Parise,
eine Reise als „deraciné“, als „bootsfahrender Ästhet“ antritt, der immer
wieder „zur Abreise gezwungen wird… und folglich zur Erinnerung ....“
Und ein Blick „von außen“ war zweifelsohne jener Roiters, Wahlvenezianer aus
Meolo, einem Dorf aus dem Hinterland von San Donà di Piave- nicht weit von
Hemingways Orten „über den Fluß und die Wälder“ - , wo er seit frühester
Kindheit mit den wechselnden Zyklen bei Pflanzen und Tieren und den sich stetig
verändernden Lichtverhältnissen in der ländlichen Umgebung in Berührung kommt.
Prägende Erfahrungen, die ihm schon in seinen ersten Bildbänden Venise à fleur d’eau
(1954 ) und Venezia Viva (1973 ), Goethes Stadt der Biber – Venedig, wo sich
das Grün der Gärten und Hinterhöfe eher im Verborgenen hält - in enger Symbiose
mit der Natur neu erleben und entdecken lassen. Nebel und Wasser, tierische und
menschliche Präsenzen verwandeln seither in seinen Fotos die traditionelle, ein
wenig starre Ikonographie der Königin der Meere in etwas Lebendiges.
Eine wichtige Zäsur ist inzwischen in Roiters Schaffen eingetreten: Seit den
Siebziger Jahren beschließt er, sich auf das „Abenteuer der Farbe“ einzulassen.
„Warum Farbe nach so viel Schwarz-Weiß?“ –fragt er sich . „Es ist ganz einfach:
Der Mensch sieht die Welt, die Dinge, die Gegenstände, also die Wirklichkeit
täglich in Farbe. Das Schwarz-Weiße ist Abstraktion. Es zwingt zu einem
Vorstellungskraftakt, der die Sinne allzu sehr beansprucht. Die Deutung des
Schwarz-Weißen ist wie das Entziffern einer kodierten Botschaft: Nur die
Eingeweihten begreifen den Sinn“.
Die zwei Kodachrombildbände Essere Venezia (1977) und Laguna (1978) mit dem
Querformat 24 x 36 cm – quer wie sich die Stadt erstmalig dem Fremden vorstellt
– prägen das neue Image des modernen Venedigs undmachen aus Fulvio Roiter eines
seiner Aushängeschilder.
Ungern ließ er sich allerdings als „offizieller Fotograf Venedigs“ bezeichnen.
Eher schlichtweg als „Fotograf Venedigs“, wohl wissend um die sehr hohen
Anforderungen, die die meist fotografierte Stadt der Welt an ihn stellt. An ihn
als Venezianer, der die Stadt täglich vor Augen auf die Gefahr hin hält, sie
nicht mehr wahrzunehmen; ganz besonders an ihn, der sie über Jahrzehnte in
seinen Bildern immer wieder verewigt hat. Mit jeder Aufnahme betritt aber
Roiter, der sich als echter Künstler von seinem „animalischen“ Instinkt leiten
lässt, unerforschtes Neuland. Ersichtlich wird das insbesondere in dem letzten
Venedig-Band La mia Venezia (1990), in dem er sich an das vertraute Thema„mit
dem frischen und aufgeregten Auge des Zwanzigjährigen und der Summa von Dreißig
Jahren Fotografie im Rücken heranwagt“. „Venedig – so Roiter in einem darin
gedruckten Interview – ist ein historisch-urbanistisches Phänomen, das
einzigartig in der Welt ist. Die Stadt visuell zu präsentieren, heißt deren
unterschiedliche Aspekte durch möglichst aussagekräftige Bilder zu dosieren.
Dies tat er, selbst auf die Gefahr hin, beschuldigt zu werden, „ lediglich die
ästhetisierende, schöne Seite der Stadt festzuhalten, ohne auf die echten,
reellen Probleme einzugehen“. Ziel des Buches, zumindest dieses Buches, war der
Welt jene „Torheit“ des menschlichen Verstandes aufzuzeigen, das Venedig ist,
eine Stadt, die aus der Angst heraus aus dem Wasser entstanden ist. „Nun…“ –
sagte Roiter – „dieses Wunder existiert heute noch, es steht hier vor uns; es
kann allerdings verschwinden, wenn man die Probleme nicht angeht. Fazit: Das
Schöne kann nicht sterben, darf nicht sterben!“.
Seit dem überwältigenden Erfolg des in mehreren Sprachen in Atem beraubenden
Auflagen erschienenen Essere Venezia (dt. „Traumhaftes Venedig“) lebten zwei Fulvio
Roiter nebeneinander: Der populäre Fotograf und der unnachahmbare, raffinierte
Künstler der ersten Meisterwerke in Schwarz und Weiß, die dem einstiegen enfant
prodige einen Sonderplatz in der Geschichte der Fotografie einräumten. Der
Künstler, der seine ersten Schritte in dem bahnbrechenden Fotoclub „La Gondola“
getätigt hatte, wo er kurz nach Kriegsende auf Wegbegleitern wie Paolo Monti,
Toni del Tin und Gianni Berengo-Gardin stieß, später ab 1955Mitglied der
Friauler Gruppe „Nuova Fotografia“ wurde, die sich an die soziologischen Untersuchungen
des Neorealismus sowie an die Malerei von Giuseppe Zigaina wie auch an das
poetische Werk Pasolinis orientierte. Eine eindrucksvolle Retrospektive von über
100 S/W-Aufnahmen aus der ganzen Welt – von Andalusien und Brasilien bis hin
zum Afrikanischen Kontinent – dokumentierte 2001 in einer Wanderausstellung
durch mehrere italienische Städte Roiters stets viel beachtetes und
preisgekröntes Frühwerk.„Fotografie“ – sagte Roiter – „ist kein Beruf; es ist
ein modus vivendi“. Es ist eine Leidenschaft, die dazu „zwingt die Welt in
Bildern zu ergründen“ und das zu „sehen“, was andere nur „betrachten“ dürfen.
Eine angeborene Befähigung, jene Wirklichkeit zu erfassen, die der Mehrheit der
Menschen entgeht.
Fulvio Roiter ist am 18.April 2016 mit 89 Jahren in Venedig gestorben. Hier
einige Stimmen namhafter Intellektuelle, Journalisten, Autoren, die sich über
ihn und sein Lebenswerk geäußert haben:
„Er ist um die Welt gereist auf der Suche nach dem, was er wollte und nicht
nach dem, was ihm bestellt wurde oder was das Publikum erwartete. Wie bei jedem
echten Künstler paart sich bei ihm Technik mit Inspiration und verändert sich
mit ihr. Es gibt weder Rhetorik noch Gemeinplätze in seinen Bildern.“
Giuseppe Prezzolini
„Ich denke, es ist seine ungeheure animalische Fähigkeit, sämtliche Kräfte in
das Auge zu bündeln, was ... aus Fulvio Roiter die Nummer Eins der
Weltfotografie macht...Kein anderer kann -jenseits der Dinge – auch den Sinn
der Dinge so erfassenwie er...“
Indro Montanelli
„Er ist ein Poet der Fotografie“
Carlo Sgorlon
„Er schreibt Verse mit dem Fotoapparat.
Er ist wie ein Wünschelrutengänger und Wünschelrutengänger gehorchen keinerlei
Logik: Sie machen Halt mit gestreckten Händen vor einem Gebüsch, wohl wissend
dass darin eine Wasserader verborgen liegt...
Alberto Bevilacqua
(Auszug aus der Eröffnungsrede zu Fulvio Roiters Ausstellung “Essere Venezia –
Impressionen aus der Lagunenstadt” in der Pasinger Fabrik 1. Dezember 2005 –
15. Januar 2006).
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