Erschienen in Ausgabe: No 123 (05/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
von Michael Lausberg
Bis Mitte 1941 wurde der Konflikt von der deutschen
Wehrmacht in Europa vorwiegend als Eroberungskrieg geführt. Nach Polen wurden
in kurzen, konzentriert geführten Feldzügen Dänemark, Norwegen, Belgien, die
Niederlande, Luxemburg, der Großteil Frankreichs, Jugoslawien und Griechenland
erobert und besetzt. Die Gebiete wurden teils ins Deutsche Reich eingegliedert,
teils mit vom Deutschen Reich abhängigen Regierungen beherrscht und
wirtschaftlich ausgebeutet. Juden, Oppositionelle und des Widerstands gegen den
Nationalsozialismus verdächtigte Personen wurden planmäßig verschleppt, zur
Zwangsarbeit herangezogen oder sofort ermordet. Großbritannien war von der
Kapitulation Frankreichs (22.Juni 1940) bis zum deutschen Angriff auf die
Sowjetunion (22.Juni 1941) Deutschlands einzig verbliebener europäischer
Kriegsgegner. Dieses Durchhalten der Briten, das von Churchills Standfestigkeit
gegenüber Adolf Hitler angeführt wurde, war von großer, wohl mitentscheidender
Bedeutung für den Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Das nationalsozialistische
Deutsche Reich führte den Krieg gegen die UdSSR als einen Vernichtungskrieg.
Hitler gilt dabei als treibende Kraft. Bereits in seinem Werk „Mein Kampf“
hatte er die Vorstellung der Eroberung von „Lebensraum im Osten“
weiterentwickelt, indem er sie mit Sozialdarwinismus, Rassenideologie,
Antisemitismus und Antibolschewismus verknüpfte. Immer wieder betonte er, dass
er Osteuropa bis zum Ural als Ergänzungs- und Siedlungsraum für ein künftiges
„Großgermanisches Reich“ begriff. Der Vormarsch der Wehrmacht konnte im Winter
1941/42 vor Moskau erstmals abgewehrt werden. Nachdem die Rote Armee im Winter
1942/43 einen erneuten Vorstoß bei Stalingrad stoppen konnte, drängte sie die
Invasoren nach und nach zurück. Im Juni 1944 gelang ihr dann die Zerschlagung
der Heeresgruppe Mitte, womit die deutsche Niederlage unausweichlich geworden
war. Bis Ende 1944 musste die geschlagene Wehrmacht sich an die Reichsgrenzen
zurückziehen.
Mit dem Kriegseintritt des Königreichs Italien an
der Seite des Deutschen Reiches im Juni 1940 wurde auch Nordafrika zum
Kriegsschauplatz. Das ab Februar 1941 an den Kämpfen beteiligte Deutsche
Afrikakorps konnte zwar die Niederlage der Achsenmächte in Nordafrika
verzögern, aber nicht abwenden. Nach der Niederlage bei El-Alamein (1942)
schwanden Hitlers Aussichten, im globalen Maßstab gegen das britische Empire
vorgehen zu können. Im November 1942 landeten anglo-amerikanische Truppen in
Nordafrika und zwangen die deutschen und italienischen Truppen in Tunesien zur
Kapitulation (Mai 1943). Nach der Landung auf Sizilien (Juli 1943), in der
Normandie (Juni 1944) und in Südfrankreich (August 1944) führten auch
US-amerikanische, britische, kanadische und französische Truppen in
Kontinentaleuropa neben den sowjetischen Truppen einen Landkrieg gegen die
Truppen der Wehrmacht. Italien stand ab Oktober 1943 offiziell auf der Seite
der Alliierten. Ab Oktober 1944 drangen alliierte Truppen im Westen auf das
Gebiet des Deutschen Reiches vor, und im Januar 1945 rückte die Rote Armee nach
Ostpreußen vor. Mit Durchhaltebefehlen trieb die politische und militärische
Führung derweil die deutschen Truppen noch im Frühjahr 1945 weiter in einen
längst verlorenen Krieg, wodurch auf beiden Seiten noch Hunderttausende von
Menschen getötet wurden. Am 25.April 1945 stießen an der Elbe
US-amerikanische Truppen auf sowjetische Truppen. Am 8.Mai 1945 trat die
bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Kraft, der Krieg in Europa war
damit beendet. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stieg die Sowjetunion neben
den USA in den Rang einer Supermacht auf.
Bereits ab Herbst 1944 setzten sich große
Flüchtlingsströme aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Ostbrandenburg, seit 1945
auch aus dem annektierten Sudetenland in Bewegung. Die Flucht wurde von
deutschen Behörden angeordnet oder erfolgte aus Angst vor den Gefahren der
näherrückenden Kriegsfront wie Bombardierungen oder Artilleriebeschuss.
Berichte und Gerüchte über Massaker, Massenvergewaltigungen und Plünderungen in
bereits von der Roten Armee oder Partisanenverbänden erreichten Gebieten taten
ein Übriges. Im Oktober 1944 begannen auch sogenannte wilde Vertreibungen durch
die ortsansässige nichtdeutsche Bevölkerung, besonders in Gebieten mit
deutschen Minderheiten wie etwa auf dem Balkan oder in der Slowakei. Neusiedler
kamen an, die zuvor oft selbst vertrieben worden waren. In allen
Besatzungszonen unternahmen Vertriebene Versuche, eigene Organisationen zur
Artikulation ihrer Interessen zu gründen. In der SBZ/DDR wurden diese Organisationen
von der Polizei unterdrückt.
Bis in die 1960er-Jahre hinein fanden jedoch,
informell organisiert, auch in der DDR Vertriebenentreffen statt.In
den Westzonen und ab 1949 in der Bundesrepublik organisierten sich zahlreiche
Vertriebene in Landsmannschaften, die sich 1957/58 im Bund der Vertriebenen
(BdV) zusammenschlossen.In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren
bildeten die Vertriebenen eine vergleichsweise einflussreiche Interessengruppe.
In der bundesdeutschen Politik waren Flüchtlinge und Vertriebene in sämtlichen
Parteien vertreten.
In der sowjetischen Zone und der DDR setzte sich
die Bezeichnung „Umsiedler“ durch und behauptete sich bis zum Zusammenbruch der
real sozialistischen Staaten Osteuropas. In den Westzonen und später der BRD
wurden die Begriffe „Vertreibung“ bzw. „Vertriebene“ zur offiziellen, in
bestimmten Fällen auch gesetzlich fixierten Bezeichnung. Dort tauchte dann auch
der Terminus „Heimatvertriebene“ zuweilen auf. Parallel zu den politischen und
kulturell agierenden Landsmannschaften bildete sich 1949 der „Zentralverband
vertriebener Deutscher“ (ZvD), der sich 1954 zum „Bund vertriebener Deutscher“
(BvD) umbenannte. Ende 1958 fusionierte der BvD mit seinen damals 11
Landesverbänden und der Verband der Landsmannschaften zum „Bund der
Vertriebenen-Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände“. Als politische
Partei fungierte ab 1950 der BHE, ab 1952 „Gesamtdeutscher Block/BHE, wo
ehemalige Nationalsozialist_innen die Richtung vorgaben. Die Termini
„Vertriebene“ und „Vertreibung“ waren in der BRD unhinterfragte Konstanten
sowohl der politischen Sprache als auch im Alltagsleben. Bei allen politischen
und sozialen Gruppierungen, die die 7,6 Millionen „Vertriebenen“ in der BRD und
deren Nachkommen vertraten, war ein breiter antikommunistischer Konsens
vorherrschend, das Ressentiment vom „bolschewistischen Terror“ war weit
verbreitet.
Der Begriff „Vertriebene“ ermöglichte die
Entstehung eines volksgemeinschaftlichen Denkens der eigentlich aus heterogenen
Schichten und Klassen stammenden Menschen. Es wurde immer an diesem Begriff
festgehalten, um den eigenen Opferstatus zu zementieren und daraus Identität zu
schöpfen. Neutralere Bezeichnungen wie Flucht oder Umsiedlung wurden vehement
abgelehnt. Völkische Traditionspflege steht bei den Vertriebenenverbänden hoch
im Kurs - nicht nur personell. Ohne die identitätsstiftende, regressive
Traditionsarbeit (Volkstänze, Bräuche, Mundarten, Trachtenpflege) wäre der
Zusammenhalt der Vertriebenenverbände nicht bis in die Gegenwart zu organisieren
gewesen. Im Zentrum des völkischen Ansinnens steht der Kampf um das »Recht auf
die Heimat«, wobei in den letzten Jahren völkisch-partikularistische Modelle
den früher gängigen staatlich-expansionistischen vorgezogen werden. Im
„WitikoBrief“, dem internen Mitteilungsblatt des Witikobundes, war bereits vor
einigen Jahren die Parole ausgegeben worden, für »unsere in den
Oder-Neiße-Gebieten und im Sudetenland verbliebenen Landsleute« ein
Volksgruppenrecht zu fordern, das „den dortigen Deutschen in ihrer Gesamtheit
deutsch zu bleiben ermöglicht“ und das „Autonomieregelungen für solche Gebiete
vorsieht, wo sie einen wesentlich mitbestimmenden Faktor darstellen wie etwa in
Oberschlesien“. Es wird dabei ein völkischer Nationalismus vertreten, der sich
in Abgrenzung zu anderen Nationalitäten wie zum Beispiel Polen sieht. Dabei
dienen die Geschichtsauffassungen Herders und Fichte, die von einem „deutschen
Nationalcharakter“ sprechen, als Vorbilder.
Die „Lobpreisung der Nation“ wie sie in Reaktion
auf die Französische Revolution in Deutschland im 19. Jahrhundert aufkam und
mit Namen verbunden ist wie Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und
Johann Gottlieb Fichte, ist elementarisches Charakteristikum der
Vertriebenenverbände. Zum deutschen Volk gehören nach Auffassung der
Vertriebenenverbände natürlich nicht nur Sachsen, Bayern und Rheinländer.
Sondern selbstverständlich auch Ostpreußen, Schlesier, Sudetendeutsche und
Siebenbürger Sachsen: „Ein Siebenbürger Sachse ist eben kein Rumäne und ein
deutscher Oberschlesier kein Pole!“, lautet folgerichtig das Statement des BdV
in dieser Frage. Ihre Spezifika erhalten diese „völkischen Eigenarten“ durch
ihre aus dem vorgesellschaftlichen, quasi-natürlichen Bereich stammende
Verknüpfung der geographischen Region mit einer politischen oder kulturellen
Identität der in dieser verorteten Menschen. Auf welche Weise diese Verknüpfung
erklärt wird, spielt in den Vertriebenenverbänden eine untergeordnete Rolle -
solange die Annahme einer grundsätzlichen Differenz von Menschengruppen
bestehen bleibt. Denn sowohl ein biologisch ausgerichtetes Polaritätsmodell
(„Rasse“) als auch ein über den Kulturalismus („Volkskultur“) geprägter
Differenzansatz erfüllt die gleiche Funktion für die völkische Identität.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft kritisiert
immer wieder die Benes-Dekrete und verhindert damit eine ausgewogene
freundschaftliche Beziehung zwischen der BRD und der Tschechischen Republik und
der Slowakei. Kritisiert wird von Seiten der Vertriebenenverbände vor allem,
dass sich die Dekrete gegen eine Gruppe von Personen nicht wegen persönlich
begangener konkreter Taten, sondern allein wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit
wandten. Damit missachteten sie das Prinzip der Unschuldsvermutung und
verweigerten den Betroffenen zudem das Recht, sich vor einem unabhängigen
Gericht zu verteidigen. Demnach läge also nicht nur eine Negierung der
Unschuldsvermutung vor, sondern auch eine Beweislastumkehr zuungunsten der
durch die Erlasse betroffenen Bevölkerungsgruppen, was rechtsstaatlichen Prinzipien
widerspräche. Zwar wurden in Einzelfällen Ausnahmen gemacht; allerdings fiel
das feste Eigentum bei selbst gewählter Ausreise dennoch an den sich neu
formierenden tschechoslowakischen Staat.
Der Bund der Vertriebenen wird aus Bundesmitteln
gefördert. Im Jahre 1995 betrug diese institutionelle Förderung über 3,5 Mio.
DM. Davon wurden vom BdV 320.000 DM an seine Mitgliedsverbände
weitergeleitet.Der Bund der
Vertriebenen wird staatlich gefördert, weil an der Erfüllung seiner Aufgaben
ein Bundesinteresse besteht. Zu diesen Aufgaben gehören die Integration der
Aussiedler und Spätaussiedler, die soziale und kulturelle Unterstützung der
deutschen Volksgruppen und Minderheiten, die Verständigung und Zusammenarbeit
mit den Nachbarvölkern und die Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und
Flüchtlinge als Teil des deutschen und europäischen Erbes. Die Bundesregierung
bedient sich hierzu der Einrichtungen der Vertriebenenverbände. Die Grundlage
der Tätigkeit des BdV ist im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) von 1953 geregelt.
In den nach § 22 BVFG gebildeten Beirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und
Spätaussiedlerfragen, der die Aufgabe hat, die Bundesregierung in diesen Fragen
zu beraten, entsenden die Vertriebenenverbände gemäß § 23 Abs. 1 BVFG allein
sechzehn Vertreter. Auch auf Landes- und Kommunalebene bestehen
Vertriebenenbeiräte, in denen die Sach- und Fachkompetenz der Vertriebenen
gefragt ist.
Die „Vertriebenen“ in der
DDR erhielten nach der Wiedervereinigung eine einmalige Pauschalsumme von 4000
DM. In der SBZ hatte es aufgrund des Befehls Nr. 304 der Sowjetischen
Militäradministration (SMAD) von 1946 eine einmalige Unterstützung für
Arbeitsunfähige und Bedürftige gegeben: 300 RM für Erwachsene, 100 RM für deren
Kinder. Bis 1949 waren 400 Millionen Mark für diese Vertriebenensoforthilfe
ausgeschüttet worden - fast jeder zweite Vertriebene hatte davon profitiert.
Ebenfalls aufgrund eines Befehls der SMAD wurden die Vertriebenen seit 1945
offiziell als "Umsiedler" bezeichnet; die SED sprach auch von
"Neubürgern".
Am 6.Juni 1950
unterzeichneten Ost-Berlin und Warschau die Deklaration über die
"Grenzmarkierung an Oder und Neiße". Am 5. und 6.Juni
1950 entsandte die Regierung der DDR eine Delegation unter Führung Walter
Ulbrichts in die Volksrepublik Polen, die mit der polnischen Regierung unter Józef
Cyrankiewicz in Warschau eine entsprechende Deklaration über den Grenzverlauf
zwischen beiden Staaten unterzeichnete, die sogenannte Warschauer Deklaration vom 6. Juni 1950. Die Unterschrift unter
diese Deklaration erfolgte nach internen Diskussionen unter dem Druck der
Sowjetunion. Jener Grenzverlauf folgte weitgehend der Oder-Neiße-Linie, daher
später auch „Oder-Neiße-Grenze“ respektive „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ im
offiziellen DDR-Sprachgebrauch.
Diese wurde in der Bundesrepublik Deutschland
zunächst als Demarkationslinie bezeichnet, da sie keine völkerrechtlich
anerkannte Grenze darstellte. Einen Monat später wurde dieser Grenzverlauf im
Görlitzer Abkommen festgehalten, allerdings verzichtete die Regierung der DDR
trotz des zunächst ungelösten Problems auf der Insel Usedom auf die
Geltendmachung von Grenzkorrekturen. Auch wurde die Teilung verschiedener
Städte und Dörfer entlang der Oder und Neiße, wie Küstrin, Frankfurt (Oder), Guben
und Görlitz, sowie der Verlust der westlich der Oder gelegenen Teile der Stadt Stettin
und des Stettiner Zipfels sowie des westlich der Swine gelegenen Teils der
Stadt Swinemünde ohne Widerspruch akzeptiert.
Die Vereinbarung war die Folge des 1945 auf der Potsdamer
Konferenz unterzeichneten „Abkommens bezüglich der Westgrenze Polens“, welches
auf Betreiben Josef Stalins die Oder-Neiße-Grenze vorläufig festlegte und statt
der Glatzer Neiße, welche während des Zweiten Weltkrieges zeitweise als
Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland im Gespräch war, die Lausitzer Neiße
als Westgrenze Polens bestimmte. Eine Grenzziehung entlang der Oder und der
Glatzer Neiße hätte den Verbleib großer Teile Schlesiens bei Deutschland
bedeutet: Die Städte Grünberg, Waldenburg und Hirschberg wären weiterhin zu
Deutschland gehören, von Breslau wäre nur der Nordostteil polnisch geworden.
Die Bundesregierung erhob zwar faktisch schon seit
dem Warschauer Vertrag von 1970 keine Ansprüche mehr auf die Gebiete östlich
der Oder-Neiße-Linie, erkannte die Grenze aber endgültig erst im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche
an, um den „Wiedervereinigungsprozess“ zwischen den beiden deutschen Staaten
nicht zu gefährden. Mit dem deutsch-polnischen Grenzvertrag wurde sie am
14.November 1990 völkerrechtlich bestätigt.
Wer die Grenze fortan in
Frage stellte, hatte mit Parteistrafen und juristischer Verfolgung zu rechnen.
Landsmannschaftliche Organisationen waren verboten. Eine Organisation für
Vertriebene sei in der DDR überflüssig, da es sich bei den Konflikten zwischen
Eingesessenen und "Umsiedlern" um soziale Probleme handele, die
angesichts einer raschen "Verschmelzung" der beiden
Bevölkerungsgruppen nur vorübergehenden Charakter trügen.
Als 1989 die Mauer fiel,
strömten Zehntausende Schlesier, Pommern und Ostpreußen in die Versammlungen
der Vertriebenenverbände: Es bestand starker Nachholbedarf, über die „verlorene
Heimat zu reden und das Unrecht zu benennen“. Viele hatten bereits lange vorher
die Konsequenzen gezogen: Von den gut vier Millionen Vertriebenen in der DDR
hatten sich bis zum Mauerbau 1961 über eine Million in den Westen abgesetzt.
In den Westzonen wurde
das Koalitionsverbot für Flüchtlinge und „Vertriebene“ Ende der vierziger Jahre
aufgeweicht. Zunächst hatten die Alliierten befürchtet, unter den Westpreußen,
Pommern oder Sudetendeutschen könnten schnell Nationalismus und Revanchismus
erstarken. Im Februar 1946 war der Versuch von Linius Kather, vor 1933 einziger
Vertreter der Zentrumspartei im Stadtparlament von Königsberg, eine
"Notgemeinschaft einzelner Landsmannschaften" zu gründen, von der
Militärregierung untersagt worden. Und im Mai 1946 wurde sein Antrag auf
Genehmigung einer "Arbeitsgemeinschaft deutscher Flüchtlinge"
abgelehnt. Doch bei der evangelischen Kirche entstanden "Hilfskomitees"
für Menschen aus den Vertreibungsgebieten, geleitet von Eugen Gerstenmaier; die
katholische Kirche ernannte den früheren Ermländer Bischof Maximilian Kaller
zum "Flüchtlingsbischof".
Eine der umstrittensten
Figuren bei „Vertriebenenorganisationen“ ist Erika Steinbach. Steinbach
war Mitglied des Bundesvorstandes der Landsmannschaft Westpreußen. Seit 1994
ist sie Mitglied des Bundes der Vertriebenen (BdV), ab dem 2. Mai 1998 dessen
Präsidentin. Sie wurde zuletzt 2012 durch die BdV-Bundesversammlung mit
97,5% der Stimmen als BdV-Präsidentin bestätigt. Im November 2014 trat
sie nicht mehr zu den Neuwahlen des Präsidiums an.
Sie ist Vorsitzende der vom BdV 2000 gegründeten
Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, bis zum Tode von Peter Glotz im Jahr
2005 gemeinsam mit ihm.Sie ist Vorsitzende der Jury zur Verleihung
des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises der Stiftung Zentrum gegen
Vertreibungen. Der Preis wird seit 2003 verliehen.
Im Jahr 2004 schlug Steinbach für die
Entschädigungsansprüche der Vertriebenen eine innerstaatliche Regelung vor, um
die außenpolitische Konfliktlage zu beenden. Der Vorschlag stieß auf Widerstand
im Präsidium des BdV. Sie warf der rot-grünen Bundesregierung vor, in
Antwortschreiben an enteignete Vertriebene diese an Polen verwiesen zu haben
und ihr Recht dort einzuklagen, gleichzeitig aber öffentlich in Deutschland die
Rechtsansprüche zu bestreiten. Die Linie einer innerstaatlichen Regelung
verfolgte sie weiter. So distanzierte Steinbach sich gemeinsam mit dem
BdV-Präsidium von den Entschädigungsforderungen der Preußischen Treuhand,deren
Klage der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober 2008 zurückwies.
Steinbach stimmte 1991 im Bundestag gegen die
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Sie war eine der 13 Abgeordneten der
CDU/CSU-Fraktion, die bei der Abstimmung über den deutsch-polnischen
Grenzvertrag eine Erklärung abgaben, warum sie nicht zustimmen könnten. Es
seien insbesondere Eigentums- und Vermögensfragen offengeblieben. Dem deutsch-polnischen
Vertrag über gute Nachbarschaft stimmte sie 1991 zu.
In ihrem Vortrag an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität
Warschau am 20. Oktober 1999 betonte sie die kulturellen Gemeinsamkeiten von
Deutschen und Polen und warb für einen offenen Dialog. Gleichzeitig erinnerte
sie an die Botschaft der polnischen Bischöfe von 1965 und deren Aussage „wir
vergeben und bitten um Vergebung“. Die Veranstaltung des BdV, der auf
Steinbachs Initiative hin am 19. Juli 2004 in der Französischen
Friedrichstadtkirche in Berlin eine Erinnerungsveranstaltung zum 60. Jahrestag
des Warschauer Aufstandes mit dem Leitsatz „Empathie – der Weg zum Miteinander“
durchführte, an der neben Erika Steinbach Kardinal Karl Lehmann, Ralph Giordano,
Hans Maier und Bogdan Musiał mitwirkten, stieß in Polen auf Ablehnung und bei
dem polnischen Historiker Władysław Bartoszewski sogar auf Empörung. Ähnlich
war die polnische Reaktion auf die Ausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen
„Erzwungene Wege“ 2006 im Berliner Kronprinzenpalais. Erstmals wurde darin in
Deutschland öffentlich auch an die Vertreibung von Polen erinnert. Bei einer
von der Rzeczpospolita durchgeführten Umfrage, welche Person bei den
Polen am meisten Angst auslöse, wurde Erika Steinbach von 38% der Befragten
genannt und kam damit auf Platz 2; mehr Ängste würde nur Wladimir Putin mit
56% auslösen.
Über die Regierung von Kaczyński sagte Steinbach
2007: „Die Parteien, die in Polen regieren, sind mit den deutschen Parteien Republikaner,
DVU und NPD vergleichbar“.Aus polnischer Sicht verstärkte dies den
Eindruck, dass Steinbach den Nationalsozialismus verharmlose.Wiederholt
wurde Steinbach Gegenstand auch polnischer Satire, wie im Fall einer auch in
Deutschland nachgedruckten Fotomontage des polnischen Nachrichtenmagazins Wprost,
die sie in SS-Uniform auf Bundeskanzler Gerhard Schröder reitend darstellt. Die
Internetseite und Flugblätter des Vereins Powiernictwo polskie
(„Polnische Treuhand“) zeigten Erika Steinbach 2007 in einer Reihe mit einem
Offizier der Waffen-SS und einem Ritter des Deutschen Ordens, ergänzt mit einem
Zitat Hitlers. Durch alle deutschen Gerichtsinstanzen wurde dem polnischen
Verein untersagt, diese Diffamierung weiter zu veröffentlichen.
1997 bezeichnete Steinbach die deutsch-tschechische
Aussöhnungserklärung als „eine Schlussstricherklärung“, die dazu führe, dass
menschenrechtsfeindliche Gesetze nach wie vor Gültigkeit haben.
1999 betonte sie vor Studenten der Karlsuniversität
in Prag, dass Deutsche und Tschechen durch die Jahrhunderte mehr verbindet als
trennt und dass es vor diesem Hintergrund heute möglich sein müsse, die
Schatten der Vergangenheit zu überwinden.
Im Jahre 2003 zeichnete sie gemeinsam mit Peter
Glotz die tschechische Jugendinitiative für das „Kreuz der Versöhnung“ im
tschechischen Teplice nad Metují und die Bürgermeisterin Vera Vitova mit dem
Franz-Werfel-Menschenrechtspreis für das Engagement aus, an ermordete Sudetendeutsche
„und alle Opfer nationaler Konflikte dieser Region und für ein mutiges Zeichen
des Dialogs zwischen Deutschen und Tschechen“. Im November 2010 erhielt der
tschechische Filmemacher David Vondráček aus Steinbachs Hand den
Franz-Werfel-Menschenrechtspreis für seinen umstrittenen Film Töten auf tschechische Art.
1998 forderte Steinbach bei einem Pommerntreffen in
Greifswald, die EU-Osterweiterung dürfe es nicht „ohne Heilung des
Vertriebenenunrechts“ geben.Als diese 2003 bevorstand, bedauerte
sie in einer Presseerklärung zur Abstimmung des Europäischen Parlaments, dass
Europa es versäumt habe, gegenüber den entsprechenden Beitrittsländern,
insbesondere Tschechien, „die Heilung der Folgen menschenrechtswidriger
Vertreibungen anzumahnen und durchzusetzen“. Trotzdem stimmte sie 2004 für die
Aufnahme jener Länder in die Europäische Union.
Im September 2008 äußerte sie, nach dem Zweiten
Weltkrieg seien die Deutschen beispielsweise in Jugoslawien einem Völkermord
ausgesetzt gewesen. In mehreren Veröffentlichungen wies Steinbach darauf hin,
dass, in Zusammenarbeit von postjugoslawischen Regierungen mit der
Landsmannschaft der Donauschwaben, große Gedenkeinrichtungen an den
Massengräbern eingeweiht werden konnten.
Eines der politischen Ziele Steinbachs ist die
Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin, das auch dem Schicksal
der deutschen „Vertriebenen“ gewidmet sein soll. Sie ist die Vorsitzende der zu
diesem Zweck im September 2000 gegründeten Stiftung.
Der Bund der Vertriebenen schlug im Februar 2009
neben zwei weiteren Vertretern Erika Steinbach für einen Sitz im Beirat der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung vor. Diese Stiftung soll ein Dokumentationszentrum
der Bundesrepublik Deutschland mit dem Arbeitstitel Sichtbares Zeichen
initiieren. Die Nominierung Steinbachs war politisch umstritten, sie wurde vor
allem von polnischer Seite kritisiert. SPD und Oppositionsparteien in
Deutschland sprachen sich gegen die Mitwirkung Steinbachs im Stiftungsbeirat
aus. Am 4. März 2009 zog der BdV die Nominierung Steinbachs zurück: man wolle
so „die nicht durch uns verursachte Blockade auflösen und nicht der billige
Vorwand dafür sein, das Stiftungsgesetz nicht in die Tat umzusetzen und so die
Stiftung auf den letzten Metern noch zu verhindern“. Das Präsidium des BdV
kündigte an, keinen anderen Vertreter an der Stelle Steinbachs zu benennen: „Es
will diese Position demonstrativ unbesetzt lassen, um deutlich zu machen, dass
es sich sein originäres Besetzungsrecht von niemandem vorschreiben lässt“,
heißt es in einer Erklärung des BdV. Dagegen wurde von der deutschen
Bundesregierung klargestellt, dass der Vertriebenenverband zwar das Recht auf
eine Vorschlagsliste hat, die Beiratsmitglieder jedoch nicht von ihm, sondern
vom Kabinett bestellt werden.Nach dem Wechsel der
Regierungskoalition 2009 wurde Steinbach wieder für einen Sitz im Beirat ins
Gespräch gebracht. Im Februar 2010 verzichtete Steinbach endgültig. Über die
Besetzung des Beirats entscheidet künftig der Bundestag.
Steinbach wandte sich mehrfach gegen eine
familienrechtliche Gleichstellung von homo- und heterosexuellen
Partnerschaften. Eine steuerliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften
homosexueller Paare mit der Ehe lehnt Steinbach ab.
Der Historiker und Journalist Erich Später sieht in
Steinbachs Vertriebenenpolitik den Versuch, die Verbrechen der NS-Zeit durch
die Fokussierung auf die deutschen Vertriebenen zu relativieren: Das Zentrum
gegen Vertreibungen unter Federführung des BdV solle „die Sicht der deutschen
Rechten manifestieren“. Später kritisiert Steinbachs „Leistung“, den „Diskurs
der deutschen Rechten an die internationale Menschenrechtsdebatte angeglichen
zu haben“. Die Vertriebenen würden in der Öffentlichkeit durch Steinbachs
Engagement „jetzt als Opfer der Weltgeschichte, von unmenschlichen Regimes, von
einer seit Jahrtausenden stattfindenden Politik der Vertreibung“ erscheinen.
Der Zweite Weltkrieg werde „zu einem Ereignis unter vielen in einer Kette von
weltgeschichtlichen Verhängnissen“.
Dazu der Journalist, Schriftsteller und Regisseur Ralph
Giordano in einem Beitrag vom Februar 2009:„Ein
persönliches Wort zu der deutsch-polnischen Auseinandersetzung um den Beirat der
‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung‘: Wer in diesem Zusammenhang Erika
Steinbach eine Revanchistin nennt, begeht Rufmord! Mehr als einmal hat sie die
Vertriebenen bezeichnet als ‚Opfer der Politik Hitlers‘, der ‚die Büchse der
Pandora geöffnet‘ habe; sie hat sich unmissverständlich von der in der Tat
revanchistischen Rechtsberatungsfirma ‚Preußische Treuhand‘ distanziert und
ausdrücklich betont, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) keine Forderungen
mehr an Polen stellt. Sie war es, die die Gleichsetzung von Vertreibung und
Holocaust zurückwies und den Völkermord an den Juden im deutsch besetzten
Europa während des Zweiten Weltkriegs als das bezeichnete, was er ist: ein
singuläres Verbrechen. Und sie war es auch, die verantwortlich zeichnete für die
erste Ausstellung über das Schicksal der polnischen Vertriebenen.“
In der extremen Rechten wird der Terminus
„Vertreibung“ als ideologischer Kampfbegriff“ gebraucht. Es findet sich fast
durchgängig eine Täter-Opfer-Logik: Die „Vertriebenen“ werden als ewige Opfer
des „bolschewistischen Terrors“ und der „Vertreiberstaaten“ Polen und
Tschechoslowakei inszeniert und es wird immer wieder Mitleid für ihr
„Schicksal“ eingefordert. Dies dient zur eigenen Schuldabwehr und zur Zuweisung
von Verantwortlichkeiten an die „Vertreiberstaaten“. Die ihnen zugefügten
„Verbrechen“ werden übertrieben dargestellt, um den eigenen Opferstatus zu
festigen und daraus Identität in einem volksgemeinschaftlichem Sinne zu
schöpfen. Es wird ein Geschichts- und Gebietsrevisionismus vertreten, in dessen
Mittelpunkt die „Rückgabe“ der ehemaligen deutschen Ostgebiete und des
Sudetenlandes an Deutschland steht.
Die „Vertriebenen“ werden in der extremen Rechten
als Opfer in einem volksgemeinschaftlichen Sinne inszeniert; die „Verbrechen“
werden in ihrer Tragweite übertrieben und als singulär begriffen: „(…) die
ethnische Säuberung (…), von der zehn bis zwölf Millionen Deutsche betroffen
waren, ohne Parallele in der Geschichte“. (JF 13/2008: 6) Die
„Vertreibungsverbrechen durch Polen an Deutschen ab 1945“ werden mit den
Verbrechen des NS-Regimes aufgerechnet und damit relativiert: „(…) ebensowenig rechtfertigen, wie die Verbrechen der Deutschen
in Polen ab Kriegsbeginn durch vorhergehende Vertreibungsmaßnahmen und
Übergriffe der Polen gegenüber Volksdeutschen in der Zwischenkriegszeit zu
entschuldigen sind.“[1] Die JF verfolgt die
Strategie, mit ihren Thesen zur „Vertreibung“ einen Brückenschlag vom
konservativen bis zum extrem rechten jungkonservativen Spektrum zu erreichen
und so einer breiten Öffentlichkeit als historische „Wahrheit“ zu verkaufen. In
der PAZ ist in weiten Teilen dieselbe Strategie zu beobachten. Die
„Vertreibung“ wird dort als „singuläres Verbrechen“ begriffen und ein
Opfermythos inszeniert: „ (…) gewaltsame Verschiebung von Volkstumsgrenzen
durch Bevölkerungswechsel, und das mit einer Brutalität, mit einer Systematik
und in einer Größenordnung, die das Attribut singulär rechtfertigt.“[2]
Es kommt zu einer Konstruktion nationaler Identifikationsangebote und es werden
Anschlussstellen an den bürgerlichen hegemonialen Diskurs gesucht, um diesen
kontinuierlich nach rechts zu verschieben.
Radikalere verbale Positionen als bei der JF und
der PAZ finden sich bei der NPD. Sie vertritt eine nationalhistorische
verbrämte Inszenierung der geschichtlichen Vorgänge auf völkischer Grundlage.
Lenard Suermann schreibt: „Geschichtspolitik in ihrer
völkisch-nationalistischen Spielart fußt auf der Idee einer primordialen Nation
bzw. einer Ur-gemeinschaft; das Subjekt der Geschichte ist dementsprechend
stets die ‚eigene‘, seit Urzeiten bestehende und daher ‚ewige‘ Gemeinschaft.“
Schuldabwehr und Verherrlichung des eigenen Volkes gehen einher mit einem
radikalen Bruch mit der in der BRD vorherrschenden Erinnerungskultur und
Geschichtspolitik. Ein wichtiger Terminus für die NPD ist dabei der
„Vertreibungsholocaust“. Der Ausdruck wird benutzt, um die „Vertreibung“ von
ihren historischen Ursachen zu isolieren und als mit dem Holocaust
gleichrangiges Verbrechen darzustellen. Gleichzeitig wird dabei der Holocaust
verharmlost und als singuläres Verbrechen bestritten. So veröffentlichte der
NPD nahestehende Verlag Deutsche Stimme im Jahre 2000 das Buch „Der
Vertreibungsholocaust“ von Rolf-Josef Eibicht und
Anne Hipp, wo die „Vertreibung“ als „Jahrtausendverbrechen“ bezeichnet wurde.
Vier Jahre später erschien im extrem rechten FZ-Verlag von Gerhard Frey
das Werk von Karsten Kriwat „Der
andere Holocaust“, wo ebenfalls der Holocaust mit der „Verbreibung“
gleichgesetzt wurde.
Der damalige NPD-Fraktionsvorsitzende
Holger Apfel hielt 2011 im Landtag in Dresden eine Rede über das „erschütternde
Schicksal von rund 15 Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus
ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden“ und die „über drei Millionen Toten
hin, die im Zuge von Racheakten seitens Vertreiberstaaten wie Polen und
Tschechien ums Leben kamen“. Deshalb könne auch laut Apfel „von einem an
Deutschen begangenen Vertreibungs-Holocaust“ gesprochen werden“.[3] Der
„vertriebenenpolitische Sprecher“ der NPD-Fraktion, Arne Schimmer, sprach bei
derselben Veranstaltung von einer „Verzerrung der historischen Tatsachen durch
die politische Linke“ und prangerte „die selektive Trauerkultur“ in der BRD an.
Schimmer bemerkte: „Die deutschen Opfer von Krieg und Vertreibung waren in Zeiten,
in denen jeder für seine Zugehörigkeit zu einem Volk in Haftung genommen wurde,
genauso unschuldige Opfer wie ermordete Juden oder ums Leben gekommene Russen,
die auch beileibe nicht alle blutrünstige Kommunisten waren. Den Siegern
posthum einen Opferstatus zuzuerkennen, den Verlierern aber nicht, ist
menschenverachtend. Besonders menschenverachtend übrigens, wenn dies von den
eigenen Landsleuten praktiziert wird.“[4] Die NPD-Fraktion brachte
dabei den Antrag ein, den 5. August als Jahrestag der Unterzeichnung der Charta
der deutschen Heimatvertriebenen zum „nationalen Gedenktag für die Opfer der
Vertreibung“ zu erklären.
Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL)
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft ist zum einen
nach der Herkunft ihrer Mitglieder in „Heimatlandschaften“ und „Heimatkreise“
gegliedert, zum anderen nach dem heutigen Wohnort in Landes-, Kreis- und
Ortsgruppen. Gemeinsam mit den sudetendeutschen „Heimatvereinigungen“ vertritt
die Landsmannschaft nach eigenen Angaben die Interessen von 250.000 Mitgliedern.
Die SL erhebt den Anspruch, für alle sudetendeutschen „Vertriebenen“ zu
sprechen und bindet andere sudetendeutsche Organisationen im Sudetendeutschen
Rat ein. Die Mitglieder der SL umfassen heute sowohl die Erlebnis- (vor 1945
Geborene), als auch die Bekenntnis-Generation (nach 1945 Geborene).
Jährlich wird seit 1958 der „Europäische
Karlspreis“ vergeben, der nach dem böhmischen König und römisch-deutschen
Kaiser Karl IV. benannt ist.
Der Sudetendeutsche
Rat (SR) ist eine überparteiliche Vereinigung von Sudetendeutschen. Er
verfolgt angeblich das Ziel, die Verständigung zu fördern und sudetendeutschen
Politikern unterschiedlicher Parteien ein gemeinsames Gesprächsforum zu bieten,
um sie über die Anliegen der Sudetendeutschen zu informieren und um die
heimatpolitischen Bestrebungen der Sudetendeutschen mit den Auffassungen der im
Bundestag vertretenen politischen Parteien zu koordinieren.
Der SR besteht aus 30 Mitgliedern, die eine Hälfte
wählt der Bundesversammlung der SL, die andere Hälfte benennen die im Bundestag
vertretenen Parteien. Der SR veröffentlicht Dokumentationen und Erklärungen,
die auch in politischen Kreisen der Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien
und in Skandinavien verbreitet werden. Sitz des Rates ist München, seine Geschäftsstelle
befindet sich im Sudetendeutschen Haus.
2008 gehören der Vollversammlung des
Sudetendeutschen Rates u.a. der CDU-Bundestagsabgeordnete Egon Jüttner
und die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Ernstberger an. Der Rat gliedert sich
in die Vollversammlung, das fünfköpfige Präsidium und den Generalsekretär.Generalsekretärin ist seit 1. Februar 2014 Christa
Naaß (SPD) als Nachfolgerin von Albrecht Schläger (ebenfalls SPD), der das Amt
seit Mai 2006 ausgeübt hatte. Sein Vorgänger war der CSU-Politiker Matthias
Sehling. Dem Präsidium des Rates gehören derzeit der frühere bayerische
Landtagspräsident Johann Böhm, der frühere bayerische Staatsminister für Arbeit
und Soziales, Franz Neubauer, sowie der rechte Verleger Herbert Fleissner an.
Der Sudetendeutsche Rat führt Gespräche mit
Politikern, lädt zu Diskussionsveranstaltungen ein, organisiert Ausstellungen,
erstellt Dokumentationen und publiziert Bücher und andere Veröffentlichungen
über die Belange der Sudetendeutschen, auch in englischer und französischer Sprache.
Nachdem Vertriebene aus Böhmen bereits 1948 eine
Kreisgruppe in München und 1949 eine Landesgruppe für Bayern gebildet hatten,
gründete sich 1950 die Sudetendeutsche Landsmannschaft als Bundesverband. Nach
der Öffnung der Grenzen begann eine zögerliche Annäherung an die alte Heimat,
die 2003 mit der Gründung eines sudetendeutschen Büros in der tschechischen
Hauptstadt Prag gipfelte.
Mehrere Jahrzehnte wurden die Vorsitzenden der
Sudetendeutschen Landsmannschaft von Mitgliedern des rechten Witiko-Bundes gestellt,
der sich als „nationale Gesinnungsgemeinschaft der Sudetendeutschen“ versteht.
Der Witikobund wurde offiziell am 1. Oktober 1950
in Stuttgart von Anhängern der in den 1930er Jahren in der Tschechoslowakei von
Konrad Henlein geführten Sudetendeutschen Partei (SdP) gegründet.
Vorausgegangen war eine Sammlungsbewegung, die bereits 1947 ins Leben gerufen
wurde. Auf Einladung des Unternehmers Emil Lode und des ehemaligen
Henlein-Vertrauten Walter Brand trafen sich am 9. November 1947 sieben ehemalige
Nationalsozialisten in Waldkraiburg und gründeten die Vorläuferorganisation, um
Vertreter der völkischen Sudetendeutschen zusammenzuführen. Neben Emil Lode und
Walter Brand waren es der frühere HJ-Führer Rudolf Bayer, der ehemalige
Vorsitzende des NS-Bundes der Deutschen Technik im Sudetenland Rupert Glaas, Konstantin
Höß, der ehemalige Gestapo-Chef von Belgrad Karl Kraus und der ehemalige
Senator der SdP Hugo Liehm.
Nach Richard Stöss war der Witikobund in den 1950er
und 1960er Jahren eine „einflußreiche elitäre Traditionsgemeinschaft“, die sich
weitgehend aus ehemaligen führenden „völkisch-nationalistischen“
Nationalsozialisten aus dem Sudetenland zusammensetzte. Großen Einfluss übte
der Bund auf den BHE, die Gesamtdeutsche Partei (GDP) und die Sudetendeutsche
Landsmannschaft aus.
Der überwiegende Teil führender Mitglieder des
Witikobundes waren vor 1945 der NSDAP beigetreten. Eine Untersuchung der
Mitgliederliste von 1958 ergab, dass von 634 Mitgliedern über 600
sudetendeutsche NS-Funktionäre waren.
In den 1960er Jahren bestanden enge Beziehungen zur
NPD, und mehrere Parteimitglieder wie Heinz Flöter und Ernst Anrich waren 1967
im Vorstand des Witikobundes. Einige dieser Verbindungen bestehen bis heute
weiter. Sowohl der NPD-Bundespressesprecher und ehemalige Bundesvorsitzende des
(NHB) und der Jungen Nationaldemokraten (JN) Karl-Heinz Sendbühler als auch der
einstige NHB-Bundesgeschäftsführer Günter Schwemmer sind Witikonen, ebenso wie
die beiden ehemaligen NPD-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag Rolf
Kosiek und Karl Baßler.
In den 1970er Jahren nahmen an den
„Reichsgründungsfeiern“ des Witikobundes, die Deutsche Reichsgründung
betreffend mehrere Aktivisten der Wiking-Jugend teil. In den 1980er Jahren
bestanden wiederum neue Beziehungen mit dem Hilfskomitee Südliches Afrika.
Außerdem äußerten sich mehrere Mitglieder rechtsextrem geschichtsrevisionistisch
und relativierten oder leugneten den Holocaust. Aktivisten aus dem Witikobund
wie Walter Staffa und Werner Nowak gründeten 1970 das Deutsche Seminar, das
Vorträge hauptsächlich rechtsextremer Referenten organisierte.
Zahlreiche Witikonen haben in der Jungen Freiheit
publiziert. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der „Jungen Freiheit“
und Organisator der JF-Sommeruni 1993, Hans-Ulrich Kopp, ist seit 1983 Mitglied
und seit 1992 Schriftleiter des „Witikobriefes“. Bei den Veranstaltungen des
Witikobundes trat beispielsweise im November 2003 Alfred Mechtersheimer als
Referent auf.
Mehrere im bürgerlichen Lager anerkannte Personen
sind Witikonen, so z.B. der langjährige CDU-Funktionär Rüdiger Goldmann
oder der ehemalige Fraktionsassistent der CDU im hessischen Landtag Wolfgang
Egerter (1930–2008) (stellvertretender Bundesvorsitzender des WB) sowie Herbert
Fleissner.
Jedes Jahr zu Pfingsten wird – in den letzten
Jahren häufig – in Augsburg, Nürnberg oder München der Sudetendeutsche-Tag
abgehalten; er präsentiert – neben der SL – alle anderen Gruppen, die das
kulturelle Erbe pflegen und in die Zukunft tragen wollen. Zunehmend sind auch –
insbesondere junge – tschechische Besucher – zu verzeichnen.
Die „Bürgervereinigung Sudetendeutsche
Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien“ ist eine tschechische
Organisation, die unabhängig von der Sudetendeutschen Landsmannschaft in
Deutschland entstand und agiert. Die Anerkennung als Verein wurde ihr anfangs
durch das tschechische Innenministerium verwehrt. Begründet wurde dies damit,
dass die Ziele der Vereinigung gegen die tschechische Verfassung verstießen.
Anfang März 2015 wurde das Verbot der Organisation allerdings vom obersten
Gerichtshof in Brünn aufgehoben und der Verein offiziell registriert.
Die Bürgervereinigung unterstützt die Durchsetzung
des Rechts auf Heimat (Rückkehranspruch) sowie den Rechtsanspruch auf
Restitution ehemaliger Besitztümer und auf Entschädigung. Außerdem setzt sie
sich für das Recht auf Erwerb der tschechischen Staatsbürgerschaft für „Vertriebene“,
die Aufhebung der Benes-Dekrete sowie Kriegsverbrecherprozesse gegen die
Verantwortlichen für die „Vertreibung“ der Sudetendeutschen ein.
Der als Befreiung
empfundene Einmarsch der Roten Armee in die Slowakei, nach Mähren sowie in
wesentliche Teile Böhmens verstärkte den russischen Einfluss im Lande genauso
wie der Umstand, dass sich die Exilregierung mit der Kommunistischen Partei bei
Verhandlungen in Moskau auf Grundzüge für ein gemeinsames Programm geeinigt
hatte. Am 4. April 1945 wurde dieses Regierungsprogramm in Kosice (Kaschau)
verkündet.
Es sah folgende Punkte vor:
Bildung einer Nationalen Front und von örtlichen Nationalausschüssen,
Ausschluss der bürgerlichen rechten Mitte durch Verbot ihrer Parteien,
eine Bodenreform,
die Nationalisierung der großen Industrie, der Bergwerke und Banken,
die Enteignung der Kriegsverbrecher und der einheimischen Kollaborateure
sowie
die Aussiedlung der deutschen und ungarischen Bevölkerung.
Präsident Benes regierte in den ersten Monaten durch Verordnungen, die
sogenannten Benes-Dekrete, die im Nachhinein durch die Nationalversammlung
bestätigt wurden.
Als "Benes-Dekrete" werden allgemein die Rechtsnormen bezeichnet,
die in den Jahren 1940 bis 1945 durch den tschechoslowakischen Präsidenten
Edvard Benes erlassen worden sind. Sie wurden nämlich von der
tschechoslowakischen Exilregierung insgesamt vorbereitet und widerspiegeln
deshalb den Willen des überwiegenden Teils der damaligen tschechoslowakischen
politischen Elite. Der Erlass von Dekreten war die Folge einer Verfassungsnot,
die durch die Zerstörung des tschechoslowakischen Staates und seine Besetzung
durch das NS-Regime in den Jahren 1938 bis 1939 eingetreten war. Die
tschechoslowakische Exilpolitik konstituierte darauf die "Provisorische
tschechoslowakische Staatsordnung im Exil". Nach ihr gab es einen
Präsidenten und eine von ihm ernannte Regierung, die in den Kriegsjahren international
anerkannt worden war. Die rechtliche sowie politische Kontinuität wurde in
erster Linie durch Benepi selbst verkörpert, was unter anderem in der
Übertragung der höchsten legislativen Gewalt auf ihn seinen Ausdruck fand.
Diese Rolle hatte er bis zum Oktober 1945 inne, als ein provisorisches
Parlament gewählt wurde, das die Dekrete im Nachhinein legitimierte.
In den Jahren 1940 bis 1945 wurden insgesamt 143 Dekrete erlassen, einige von
ihnen leiteten tiefgreifende, politische, soziale und wirtschaftliche
Veränderungen in die Wege. Bis heute sind einige von ihnen umstritten
(besonders die Dekrete Nr. 5/1945, Nr. 12/1945, Nr. 33/1945, Nr. 71/1945 und
Nr. 108/1945), welche die Entrechtung (Entzug der Staatsbürgerschaft) und die
soziale Stellung (Enteignung des Vermögens) der deutschen (wie der ungarischen)
Minderheit regelten. In diesem Fall wandten sich die Dekrete gegen eine Gruppe
von Personen nicht wegen persönlicher konkreter Taten, sondern wegen ihrer
nationalen Zugehörigkeit. Damit missachteten sie das Prinzip der
Unschuldsvermutung und verweigerten den Betroffenen zudem das Recht, sich vor
einem unabhängigen Gericht zu verteidigen. Die Innenpolitik der ersten
Nachkriegsjahre wurde in bedeutendem Maße durch die „Vertreibung“ der deutschen
Bevölkerung aus der Tschechoslowakei geprägt. Unterscheiden lassen sich dabei
zwei Phasen: eine "wilde Vertreibung" zwischen Kriegsende und
Verabschiedung des Potsdamer Abkommens im August 1945 und die "regulierte
Vertreibung" danach, die 1947 im Wesentlichen abgeschlossen war.
Die meisten Opfer unter der deutschen Bevölkerung waren in der ersten Phase zu
beklagen, in der tschechische Rachegefühle zu schrecklichen Übergriffen auch
auf Frauen und Kinder führten. Ausschreitungen, brutale Mißhandlungen und Morde
wie in Aussig (Ústí nad Labem) und in Brünn (Brno: "Brünner
Todesmarsch") ließen auch den tschechischen Historiker Tomas Stanek von
Lynchaktionen sprechen, von "Selbstjustiz", von grausamen Exekutionen
allein aufgrund des Vorwurfs, deutsch zu sein. Fast 350000 Personen wurden
zeitweise in Internierungs-, Auffang- sowie Arbeitslagern festgehalten.
Während der regulierten „Vertreibung“ gestatteten die Behörden,
pro Person 30 bis 50 Kilogramm Gepäck und Nahrungsmittel für drei bis sieben
Tage mitzunehmen. Die Praxis war örtlich unterschiedlich, und in einigen Fällen
kamen die Deutschen ohne jede Habe im Landesinneren oder jenseits der Grenzen
an.
Insgesamt wurden bis 1947 etwa 2,9 Millionen Personen ausgesiedelt. Ungefähr
220000 Deutsche blieben nach dem Ende der Vertreibung im Lande, unter anderen
Antifaschisten, Deutsche in „Mischehen“ mit Tschechen und produktionswichtige
Arbeitskräfte.
Im
Mai 1946 fanden die ersten Nachkriegswahlen statt, aus denen die Kommunistische
Partei (KPC) als Siegerin hervorging, weil sie sich im Krieg das Ansehen der
Bevölkerung erworben hatte und ihr nationales und demokratisches
Nachkriegsprogramm auf allgemeine Akzeptanz stieß. Damit konnte sie das
"Budovatelsky program", das Programm des Aufbaus einer Planwirtschaft,
in Angriff nehmen.
Wohl
kaum eine andere Größenangabe, die mit der tschechisch-deutschen Vergangenheit
zusammenhängt, divergiert in solchem Maße wie die Zahl der sudetendeutschen
Vertreibungsopfer, wohl keine andere wurde vor allem in den neunziger Jahren
ähnlich intensiv diskutiert. Mit ihrer Berechnung beschäftigte sich zum ersten
Mal das Statistische Bundesamt in den fünfziger Jahren, wobei es die Methode
der Bevölkerungsbilanz anwandte. Aus dem Vergleich des Standes der
sudetendeutschen Bevölkerung von 1939 und 1950 ergab sich nach Einrechnung der
Bevölkerungsbewegung – Geburten, Sterbefälle, Kriegsverluste, Migration – eine
Anzahl von ungefähr 240000 Personen mit ungeklärtem Schicksal.
Mit den sudetendeutschen „Vertreibungsverlusten“ beschäftigte sich seit Anfang
der neunziger Jahre sehr intensiv die aus namhaften Wissenschaftlern
zusammengesetzte Deutsch-Tschechoslowakische, später Deutsch-Tschechische und
Deutsch-Slowakische Historikerkommission. Die von ihr initiierten
Untersuchungen zeigten zunächst, dass die Methode der Bevölkerungsbilanz für
die Ermittlung der sudetendeutschen Vertreibungsopfer problematisch war: Sie
konnte sich eher ausnahmsweise auf statistisch gesicherte Daten stützen und
arbeitete mit Schätzungen. In ihrer Erklärung aus dem Jahre 1997 sprach sich
die Historikerkommission daher dafür aus, "auf die Zahl von 220000 oder
mehr Vertreibungsopfern nicht nur in der wissenschaftlichen Diskussion, sondern
auch in politischen Auseinandersetzungen zu verzichten".
Einem
neuen Versuch zur Ermittlung der sudetendeutschen „Vertreibungsopfer“ wurden
die Daten des Kirchlichen Suchdienstes zugrunde gelegt, welche die
Rekonstruktion sudetendeutscher Einzelschicksale ermöglichen. Ihre Summierung
ergab circa 19000 namentlich belegte Todesfälle, die als Folge direkter
Gewaltanwendung bzw. abnormer Bedingungen im Zusammenhang mit Flucht und
Vertreibung anzusehen waren. Diese Todesfälle wurden danach durch eine
geschätzte Zahl weiterer Todesopfer ergänzt. Darauf aufbauende Schätzungen, die
"ungeklärte Fälle" sowie die durch die Suchkarteien gar nicht
erfasste sudetendeutsche Bevölkerung (schätzungsweise 500000 Menschen) zu
berücksichtigen versuchen, ergeben eine Untergrenze der Verluste von etwa 23000
Todesfällen. Als obere Grenze vermuten sie 30000 bis maximal 40000 Todesopfer.
Kritische Stimmen
behaupten, dass diese Dekrete im Widerspruch zum EU-Recht stehen und verlangen
von Tschechien, sie vor seinem EU-Beitritt aufzuheben.
Dass
viele Sudetendeutsche auch Nationalsozialisten waren, wird oft unterschlagen.
Herauszuheben ist in diesem Zusammenhang Konrad Henlein. Am 1. Oktober 1933
gründete Henlein in Eger die „Sudetendeutsche Heimatfront“ (SHF). DNSAP und Deutsche
Nationalpartei hatten sich kurz zuvor aufgelöst, um einem Verbot durch die tschechoslowakische
Regierung zuvorzukommen. Es beteiligten sich viele ehemalige Funktionäre und
Politiker dieser Parteien an der Gründung der neuen Bewegung. Die SHF fand
unter den Deutschen in Böhmen rasch eine breite Basis, obgleich bis Mitte der
1930er Jahre die sozialdemokratische und die kommunistische Partei mehr
Anhänger hatten.
Henlein
äußerte sich in seinen Reden zunächst im Sinne einer aktivistischen Politik; er
betonte seine Loyalität zum tschechoslowakischen Staat, innerhalb dessen er die
Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechte der deutschen Minderheit stärken
wolle. Unter Historikern ist bis heute umstritten, inwieweit es sich hierbei um
Überzeugung oder – wie von Henlein später behauptet – um taktisches Verhalten
handelte.
Am 19.
April 1935 musste sich die SHF in Sudetendeutsche Partei (SdP) umbenennen.
Diese wurde in den Folgejahren mit massiver Unterstützung der NSDAP
systematisch ausgebaut. Bei den Wahlen 1935 gewann die SdP 44 der 66 deutschen
Sitze im Prager Parlament. Im November 1937 unterwarf sich Henlein in einem
Schreiben an Hitler dessen expansiver Politik – möglicherweise nachdem Agenten
aus Berlin eine Revolte in der SdP gegen ihn angezettelt hatten. Ziel war ab
diesem Zeitpunkt unverhohlen der Anschluss der Sudetengebiete an das nationalsozialistische
Deutsche Reich.
Zwischen
dem 12. und 13. September 1938 startete Henlein den „Ersten Septemberaufstand“,
den Versuch eines Staatsstreiches in den Grenzbezirken. Diese Rebellion wurde
aber durch die tschechoslowakische Armee und Polizei rasch erstickt. Die SdP,
die noch am 11. September in Gesprächen mit der Regierung stand, wurde
verboten. Die gesamte SdP-Führung flüchtete nach Deutschland, wo Henlein die
Bildung des „Sudetendeutschen Freikorps“ veranlasste, dessen Kommandeur er
wurde. Dieses „Sudetendeutsche Freikorps“ wurde organisatorisch den SS-Totenkopfverbänden
unter Theodor Eicke zugeordnet und Ende 1938 von diesen eingegliedert.
Am 21.
September 1938 kam es zum „Zweiten Septemberaufstand“, der im Bezirk Asch (dem
westlichsten Grenzbezirk der Republik) begann. Weil die tschechoslowakische
Regierung eine Provokation Hitlers mit dem Ziel, die tschechoslowakische Seite
zu Kriegshandlungen hinzureißen, fürchtete, verhielten sich Polizei und Militär
passiv. Bis zum 23. September gelang es der SdP-Guerilla, den gesamten Bezirk
Asch zu beherrschen. Am 30. September wurde das Münchner Abkommen geschlossen,
vor dem die tschechoslowakische Regierung kapitulierte. Am nächsten Tag
okkupierte die deutsche Wehrmacht etwa ein Drittel des tschechischen
Landesteils. Nach dem Münchner Abkommen war Henlein zunächst Reichskommissar
für die sudetendeutschen Gebiete und erhielt am 9.Oktober 1938 die
Befugnis, die Uniform eines SS-Gruppenführers zu tragen; er war nun SS-Ehrenführer
und politisch dem „Stab RFSS“ unterstellt. Er stellte im Januar 1939 seinen
NSDAP-Aufnahmeantrag Wenig später trat er auch der SS (SS-Nr. 310.307) aktiv
bei und wurde am 21. Juni 1943 zum SS-Obergruppenführer befördert.
Mit der
Errichtung des Reichsgaus Sudetenland am 15. April 1939 wurde er zum Reichsstatthalter
und Gauleiter berufen.
Der Reichsgau Sudetenland wurde aus dem
größten Teil der 1938 einverleibten Gebiete der Tschechoslowakei gebildet und
bestand im Deutschen Reich von 1939 bis 1945. Der Reichsgau Sudetenland war in
die Regierungsbezirke Eger, Aussig und Troppau unterteilt und umfasste im
Oktober 1938 22.608 km², im Dezember desselben Jahres infolge weiterer
Gebietskorrekturen 29.140 km². Gauhauptstadt war das böhmische Reichenberg.
Mit der
Wiederherstellung des Staatsgebietes der Tschechoslowakei nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs endete die Geschichte des Reichsgaues Sudetenland.
Das sudetendeutsche
Gebiet der Tschechoslowakei war im Münchner Abkommen von 1938 als Ergebnis
britisch-französischer Appeasement-Politik gegen den Willen der Prager
Regierung von den an der Konferenz beteiligten Staaten dem Deutschen Reich
zugesprochen worden. Vom 1. Oktober bis zum 10. Oktober 1938 besetzten rund 24
Divisionen der Wehrmacht die an Deutschland und das frühere Österreich
angrenzenden Gebiete der Tschechoslowakei. Die neuen Grenzen des Deutschen
Reiches wurden nicht nach der wirklichen oder angeblichen
Bevölkerungszusammensetzung der annektierten Gebiete gezogen, sondern nach
wirtschaftlichen und strategischen Gesichtspunkten. Die konkrete territoriale
Festlegung traf der „Berliner Ausschuß“, in dem die Außenminister der
Unterzeichnerstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien
vertreten waren. Das Ergebnis wurde im deutsch-tschechoslowakischen
Grenzabkommen vom 21. November 1938 verlautbart. Mit diesen Gebieten verlor die
Tschechoslowakei ein Drittel ihrer Bevölkerung, ihre wichtigsten
Industrieanlagen und ihre gesamten Grenzverteidigungsanlagen.
Infolge
des Münchner Abkommens vom wurden die deutschsprachigen Gebiete vom Deutschen Reich
annektiert und den Sudetendeutschen die Staatsbürgerschaft des Deutschen Reichs
zuerkannt. Sozialdemokraten, andere Regimegegner und Juden wurden teilweise
verhaftet, interniert, misshandelt und ermordet oder flohen davor.Hunderttausende
tschechische Bewohner der Gebiete mussten diese teilweise verlassen. Die
beabsichtigte Trennung von Deutschen und Tschechen scheiterte, denn die neuen
Grenzen des Deutschen Reiches umfassten auch Siedlungsgebiete mit tschechischer
Bevölkerungsmehrheit, z.B. das Gebiet rund um Hohenstadt oder die
Industriestadt Nesselsdorf.
Sofort
nach dem deutschen Einmarsch erhielt das Heer die vollziehende Gewalt. Die fünf
beteiligten Heeresgruppenkommandos setzten zunächst Chefs der Zivilverwaltungen
(CdZ) ein, bis am 1. Oktober 1938 Konrad Henlein zum „Reichskommissar für
Sudetendeutschland“ ernannt wurde. Die CdZ-Organisationen waren schlecht
geplant und bewährten sich nicht. Sie sahen sich einem Machtkampf einzelner
Reichsinstanzen gegenüber und mussten gebeten werden, eine zusätzliche Woche im
Amt zu bleiben, weil die Zivilverwaltung Henleins noch nicht arbeitsfähig war.
Henlein konnte sich durch seinen unmittelbaren Zugang zu Adolf Hitler der
Einflussnahme der militärischen Befehlshaber mühelos entziehen. Am 20. Oktober
1938 endete die vollziehende Gewalt des Heeres und Henlein übernahm als
Reichskommissar die Verwaltung.
Der
tschechische Bevölkerungsanteil umfasste Januar 1938 rund 319.000 Personen.
Noch im Oktober 1938 nahmen 193.793 Tschechen (=60,75%) die
deutsche Staatsangehörigkeit an, um in ihrer Heimat verbleiben zu können. Die
Tschechen, die nun nicht mehr unter deutscher Herrschaft leben wollten, wurden
ins Protektorat Böhmen und Mähren umgesiedelt. Ihren Besitz eigneten sich
sowohl der deutsche Staat als auch viele deutsche Privatleute an, nachdem
Entschädigungszahlungen erfolgt waren. Allerdings zahlten die Deutschen nur
einen Minimalwert an die Betroffenen.
Unmittelbar
nach der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ legte der §1 des Gesetzes
über die Gliederung der sudetendeutsche Gebiete vom 25. März 1939 die
Bildung des Reichsgaues Sudetenland zum 15. April 1939 fest. Dessen
Verwaltungsaufbau regelte das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im
Reichsgau Sudetenland (Sudetengaugesetz) vom 15. April 1939, das zum 1. Mai
1939 in Kraft trat. Danach wurde aus dem Großteil der sudetendeutschen Gebiete
der neue Reichsgau Sudetenland gebildet. Kleinere Grenzabschnitte im Nordosten
wurden der preußischen Provinz Schlesien zugewiesen Teilgebiete im Südwesten
und Süden kamen zum Regierungsbezirk Niederbayern-Oberpfalz des Landes Bayern
und den Reichsgauen Oberdonau und Niederdonau. Das „Sudetengaugesetz“
beseitigte den vorhandenen Aufbau der Verwaltung.
Nachdem
durch das „Sudetengaugesetz“ die Grundlagen für die neuen Behörden geschaffen
worden waren, folgte die Zerschlagung der bisherigen Verbände.
NS-Organisationen erfassten die Bevölkerung. Die Sudetendeutsche Partei (SdP)
ging in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Alle
sonstigen Parteien wurden verboten.
Es blieben
auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Deutsche in ihrem
angestammten Bezirk. Zur deutschen Minderheit in Tschechien bekannten sich bei
der Volkszählung 2001 etwa 39.000 Menschen, was rund 0,4 Prozent der
Gesamtbevölkerung der Tschechischen Republik umfasst. Es handelt sich dabei
überwiegend um Nachfahren der trotz der „Vertreibung“ im Land verbliebenen Deutschböhmen
und Deutschmährer. Weder die tschechische Regierung sieht diese
Bevölkerungsgruppe als Sudetendeutsche noch erklärt sich die Mehrheit der
dortigen Deutschen als Angehörige dieser von politischen Vertretern häufig als
historisch eingestuften Minderheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die
Deutschen in der damaligen Tschechoslowakei einem starken Anpassungsdruck
unterworfen, so dass sich speziell jüngere Angehörige dieser Minderheit häufig
der tschechischen Mehrheitsbevölkerung im Land assimilieren.
Die
deutsche Minderheit war vor dem Zweiten Weltkrieg mit einem Anteil von ungefähr
30 Prozent auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens die bei weitem bedeutendste
Minderheit. Bei der Volkszählung 1921 gaben 3,06 Millionen Menschen deutsch als
Nationalität an, bei der Zählung 1930 waren es 3,23 Millionen.
Bei der
ersten Erhebung nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1950 waren es, aufgrund der
oben genannten Gründe, nur noch ca. 160.000 Deutsche auf dem Gebiete
Tschechiens. Diese Zahl nahm danach beständig ab. So lag sie 1970 bei etwa
81.000 und bei der letzten Erhebung 2001 bei 39.100.
In
absoluten Zahlen lebt heute die größte deutsche Minderheit im Ústecký kraj
(insgesamt 9.500 deutsche Einwohner), den höchsten prozentualen Anteil besitzt
der Karlovarský kraj mit fast 3%. Innerhalb des Karlovarský kraj ist der Bezirk
Sokolov mit 4,5% der Bezirk mit der größten deutschen Minderheit in
Tschechien. Im Ort Měděnec (im okres Chomutov) bekannte sich ein Viertel der
Einwohner zur deutschen Minderheit. Etwa ein Fünftel bildet die deutsche
Minderheit in den Orten Tatrovice (okres Sokolov), Horská Kvilda (okres
Klatovy) und Kryštofovy Hamry (okres Chomutov).
In deutscher
Sprache wird die Prager Zeitung herausgegeben. Die Prager Zeitung ist eine deutschsprachige Auslandspublikation, die
seit dem 5. Dezember 1991 wöchentlich in Prag erscheint und in der Tschechischen
Republik, Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft wird.
Nach der
politischen Wende in der Tschechoslowakei gründete der aus Zwickau stammende
Historiker Uwe Müller im Jahr 1991 die "Prager Zeitung" und übernahm
die Position des geschäftsführenden Chefredakteurs. Müller war zuvor
Mitarbeiter der "Prager Volkszeitung". Mit der "PZ" wollte
er eine moderne Publikation schaffen, die einerseits neu ins Land strömende
deutschsprachige Geschäftsleute und Touristen ansprach, aber andererseits auch
an die jahrhundertealte deutschsprachige Pressetradition in Böhmen und Mähren
anknüpfte. Die "PZ" sieht sich als Nachfolgepublikation des berühmten
"Prager Tagblatts", für das Reporter-Legenden wie Egon Erwin Kisch
schrieben. Sie führte den Titel "Prager Tagblatt", an dem sie alle
Rechte erworben hatte, auch lange als Zweitnamen.
Bis zur
Gründung der Landeszeitung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien im
Jahr 1994 enthielt die "Prager Zeitung" eine Beilage für die deutsche
Minderheit in der Tschechischen Republik (Deutschböhmen und Deutschmährer). Bei
Prago-Media, dem Verlag der "Prager Zeitung", erschien bis Dezember
2006 auch die deutschsprachige Karlsbader Zeitung.
Anfang
2012 hatte die "Prager Zeitung" 16 Seiten und eigenen Angaben zufolge
eine Auflage von ca. 15.000 Exemplaren, wovon etwa die Hälfte in der Tschechischen
Republik verkauft wurde. Der Rest wurde nach Deutschland, Österreich und in die
Schweiz geschickt. Ende 2011 beschäftigte die Wochenzeitung 15 Mitarbeiter.
1997
lehnte die SL die Deutsch-Tschechische Erklärung ab. Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist ein
grundlegendes Dokument der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen
Republik von 1997, in dem beide Seiten erklärten, dass sie „ihre Beziehungen
nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen
belasten werden“. Gleichzeitig vereinbarten sie die Einrichtung des Deutsch-Tschechischen
Zukunftsfonds.
Der am 21.
Januar 1997 von Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesaußenminister Klaus Kinkel
sowie Premierminister Václav Klaus und Außenminister Josef Zieleniec in Prag
unterzeichneten Erklärung stimmten sowohl der Deutsche Bundestag (am 30.
Januar) als auch das tschechische Parlament (am 14. Februar) zu.
Am 28.Februar 2015 beschloss
die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München eine neue
Grundsatzerklärung sowie einige Satzungsänderungen. Diese beinhalteten auch die
Streichung einiger Paragrafen, in denen die „Wiedergewinnung der Heimat“ und
eine „Restitution oder gleichwertige Entschädigung“ gefordert wurden. Während diese
Änderungen von einigen Mitgliedern kritisiert und rechtlich angefochten wurden,
äußerten sich Politiker in Deutschland und Tschechien großenteils positiv und
sprachen von einem Neuanfang. Ob man von einer radikalen Neuausrichtung der
Landsmannschaft sprechen kann, ist allerdings umstritten.
Traditionell ist die SL personell
und programmatisch eng mit der CSU verwoben. Wie andere deutsche
Vertriebenenverbände positionierte sich die SL deutlich gegen die Ostpolitik von
Willy Brandt und den Verzicht auf deutsche Gebietsansprüche im Zuge der
Verhandlungen zur deutschen Einheit. Im Zuge des EU-Beitritts von Tschechien
versuchte die SL vergeblich, eine Aufnahme der Tschechischen Republik davon
abhängig zu machen, ob die tschechische Regierung die seit 1945 geltenden
Benes-Dekrete aufhebe.
Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
(BHE) als politische Interessenvertretung
Es trafen
bis 1949 in der späteren Bundesrepublik ca. 7,6 Millionen „Heimatvertriebene“
ein, was in etwa 16% der Gesamtbevölkerung entsprach. Dies führte wegen der
Armut und der hohen Arbeitslosigkeit in den Aufnahmeregionen zu großen sozialen
Spannungen zwischen der autochthonen Bevölkerung und den „Heimatvertriebenen“.
Die Alliierten befürchteten deshalb eine politische Radikalisierung und
erließen ein Koalitionsverbot für die „Heimatvertriebenen“. Nach dem Beginn des
„Kalten Krieges“ wurde dieses Koalitionsverbot unterlaufen und auf lokaler und
regionaler Ebene gründeten sich die ersten Zusammenschlüsse der
„Heimatvertriebenen“.[5]Die Ziele dieser
Organisationen bewegten sich von Anfang an zwischen den Polen der Sozialpolitik
und des Revanchismus. Einerseits engagierten sich diese Organisationen für eine
materielle und politische Eingliederung der „Heimatvertriebenen“ sowohl an den
lokalen Wohnsitzen als auch in die gesellschaftlichen Strukturen der BRD
insgesamt. Andererseits wurde eine Rückkehr in die jeweiligen
„Vertreibungsgebiete“ gefordert.
Die Initiative zur
Gründung von Interessensorganisationen der „Heimatvertriebenen“ ging häufig von
ehemaligen NS-Mitgliedern aus, die hier ein ausgezeichnetes
Wiederbetätigungsfeld ausmachten. Bei den „Heimatvertriebenen“ war ein breiter
antikommunistischer Grundkonsens vorherrschend, der Stereotyp vom
„bolschewistischen Terror“ war weit verbreitet. Ein weiterer Anknüpfungspunkt
war die vorherrschende Interpretation unter den „Heimatvertriebenen“, dass
nicht der deutsche Angriffskrieg Schuld an ihrem Schicksal war, sondern die
Politik des bolschewistischen Russlands, als dessen Opfer sie sich sahen. Das
angeblich durch die „kommunistische Expansionspolitik“ verursachte gemeinsame
Schicksal der verschiedenen Klassen und Schichten der „Heimatvertriebenen“
bereitete den sozialen Boden für die Entstehung eines volksgemeinschaftlichen
Denkens.
In Nordrhein Westfalen
gründeten der Aktivist Georg Goebel und der Organisator der Bombengeschädigten
in Nordrhein-Westfalen, Paul Mertens, wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1949
die Tatgemeinschaft freier Deutscher (TfD). Durch die Bildung von
Aktionsausschüssen versuchte die TfD auch in Niedersachsen, Bremen und
Westberlin Fuß zu fassen. Jedoch blieb diesem Vorläufer des BHE die
Lizenzierung versagt.[6]
Auf
maßgebliche Initiative von Waldemar Kraft, Alfred Gille und Hans-Adolf Asbach
gründete sich am
08.01.1950 in Kiel der BHE. Diese drei Gründungsväter besaßen alle eine
nationalsozialistische Vergangenheit. Waldemar Kraft war von 1940 bis 1945
Geschäftsführer der „Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung“. Seit 1943 war
er NSDAP- Mitglied und bekleidete den Titel des „Ehren-Hauptsturmführers der
Allgemeinen SS“. Alfred Gille wurde 1933 Mitglied der SA und 1937
NSDAP-Mitglied. Hans-Adolf Asbach war zwischen 1934-1935 SA-Mitglied und wurde
1934-39 zum Abteilungsleiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) befördert. 1957
wurde Asbach in Schleswig-Holstein zum Rücktritt von seinem Ministeramt in der
Landesregierung gezwungen, da er für die Anwerbung vieler ehemaliger
Nationalsozialisten bzw. ehemaliger SS-Mitglieder in seiner Behörde
verantwortlich war.
Bei der Landtagswahl im
Juli 1950 in Schleswig-Holstein erzielte der BHE unterstützt von anderen
„Vertriebenenverbänden“ mit 23,4% der Stimmen einen großen Erfolg. In der
Regierungskoalition stellte der BHE den stellvertretenden Ministerpräsidenten
sowie zwei Minister. Ausgehend von Schleswig-Holstein breitete sich der BHE in
der gesamten Bundesrepublik aus. Am 27./28.01.1951 gründete sich in Bonn der
Bundesverband der BHE; Waldemar Kraft wurde zum Vorsitzenden gewählt. Mit dem
1. Bundesparteitag vom 13./14.09.1952 in Goslar war die Bildung einer
Bundesorganisation auch formell abgeschlossen. Der BHE entwickelte sich zum
Sprachrohr für die materiellen Interessen der „Heimatvertriebenen“, vor allem
bei den Auseinandersetzungen um den so genannten Lastenausgleich, wo es um die
Entschädigung deutscher Bevölkerungsgruppen ging, die aufgrund des
2.Weltkrieges Eigentumsverluste hinnehmen mussten. Der enorme Aufschwung des
BHE hatte zur Folge, dass Teile des extrem rechten und revanchistischen
Spektrums der Partei beitraten und dort versuchten, Einfluss zu gewinnen.
Richard Stöss schrieb: „Keine andere Partei zählte vermutlich so viele
ehemalige NS-Funktionäre zu ihren ‚Amtsträgern’ wie der BHE.“[7]
Die New York Times notierte: „Wilhelm Schepmann, der letzte Führer von Hitlers
Sturmtruppen wurde in einen Kreisausschuss in Niedersachsen durch den BHE
gewählt. (…) Das politische Comeback der früheren Nazis ist kennzeichnend für
den Charakter der kommenden Bundestagswahlen. Viele frühere Nazis, darunter
Wilhelm Schepmann, bewerben sich um Ämter in der früheren Nazihochburg
Niedersachsen. Ihr Erfolg lässt die Drohung einer politischen Rückkehr des
Nationalsozialismus auferstehen.“[8]
Der Aufschwung des BHE
setzte sich bei der Bundestagswahl 1953 fort, als die Partei 7% der Stimmen
erhielt und mit 27 Mandaten in das Parlament einzog. Die BHE-Fraktion trat
daraufhin der Regierungskoalition Adenauers bei und bekam zwei Ministerposten
für Waldemar Kraft (Besondere Aufgaben) und für Theodor Oberländer
(Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte). Auf dem 2. Bundesparteitag am
08./09.05. 1954 in Bielefeld kritisierten vor allem landsmannschaftlich
gebundene Parteifunktionäre die Westintegrationspolitik der Bundesregierung als
Festschreibung der Teilung Deutschlands.[9]
Bundesminister Oberländer wurde Nachfolger des scheidenden Parteigründers
Kraft. Theodor Oberländer (01.05.1905-04.05.1998) gilt als prominentes Beispiel
für das Phänomen der personellen Kontinuität der Eliten im „Dritten Reich“ und
der Bundesrepublik. 1923 nahm Oberländer am Hitler-Putsch in München teil, 1933
trat er in die NSDAP und in die SA ein, wo er den Rang eines Hauptsturmführers
erhielt. Von 1934 bis 1937 war Oberländer „Reichsführer“ des völkischen „Bundes
deutscher Osten“, der nach seiner Gründung im Jahre 1933 neben dem „Verein für
das Deutschtum im Ausland“ (VDA) eine der tragenden Säulen der
NS-Volkstumspolitik war.[10]
Bis 1940 bekleidete Oberländer Professuren im ehemaligen Danzig, Greifswald und
im ehemaligen Königsberg. Dort entwickelte er sich zu einem Propagandisten der
„Bevölkerungspolitik“ des NS-Staates. 1940 war er „Ostexperte“ und Offizier der
ukrainischen Wehrmachtseinheit „Nachtigall“, die bei ihrem Einmarsch im
heutigen Lwiw Massenmorde mit bis zu 5.000 Opfern begingen.[11]
Am 29.04.1960 wurde Oberländer deshalb in der DDR in Abwesenheit zu
lebenslänglicher Haft verurteilt; dieses Urteil wurde 1993 in der BRD
aufgehoben. 1943 bekam Oberländer eine Professur in Prag und erteilte
Schulungen des NS-Führungsnachwuchses. Im postfaschistischen Deutschland wurde
er zunächst 1948 FDP-Mitglied, bevor er 1950 zum BHE wechselte. 1953 wurde er
in den Bundestag gewählt und im selben Jahre Bundesminister für Vertriebene,
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 1960 trat er nach Vorwürfen wegen seiner
Tätigkeit während des Nationalsozialismus zurück.[12]
Nachdem er 1954 zum Vorsitzenden des BHE gewählt wurde, trat er ein Jahr später
aus der Partei aus und schloss sich der CDU an. 1994 wurde er am „Tag der
Heimat“ in Berlin vom VDA-Verwaltungsratsmitglied Eberhard Diepgen wegen seiner
„Verdienste um den deutschen Osten“ geehrt.
Im Jahre 1955 trat eine
Parlamentarier-Gruppe um eben die Funktionäre Kraft und Oberländer
(K.-O.-Gruppe) in spektakulärer Weise aus dem BHE aus. Hintergrund dieser
Entscheidung waren schwerwiegende Differenzen innerhalb der Partei anlässlich
der Frage einer „Europäisierung“ der Saar. In diesem Machtkampf setzte sich die
nationalistische Fraktion um Frank Seiboth und Linus Kather durch, was dazu
führte, dass der BHE im Bundestag den Gang in die Opposition antrat. Frank
Seiboth war 1939 „Gauleiter“ für Schulung und Leiter des NS-Schulungslagers im
ehemaligen „Sudetengebiet“. Linus Kather war für seine extrem rechte
Einstellung bekannt. Nach dem Ausscheiden aus dem BHE kandidierte er 1969
anlässlich der Bundestagswahl für die NPD.
Mit Seiboth und Kather
an der Spitze veränderte sich die Stellung des BHE innerhalb des westdeutschen
Parteiensystems. Der spätestens seit 1952 dem Bürgerblock zugehörige BHE rückte
an den rechten Rand des Parteiensystems. Es war offensichtlich, dass das
einsetzende westdeutsche „Wirtschaftswunder“ für eine zunehmende ökonomische
Integration der „Heimatvertriebenen“ in die bundesrepublikanische Gesellschaft
sorgte. Mit dieser Entwicklung ging dem BHE jedoch das bis dahin prägende
Politikfeld der Sozialpolitik verloren. Dies führte zu einer Neubestimmung der
politischen Inhalte des BHE. Die im Jahre 1955 einsetzende stärkere Betonung
der Forderung der Vertriebenen nach „Heimatrecht im Osten“ bedeutete eine
extrem rechte Orientierung des BHE. Die antidemokratischen Kräfte innerhalb der
Partei bekamen Auftrieb, und es häuften sich die Fälle von Zusammenarbeit mit
anderen extrem rechten Gruppierungen. Führende BHE-Vertreter waren zudem
Mitglied des elitären, völkischen Witikobundes, der sich weitgehend aus
ehemaligen Nationalsozialisten aus dem früheren Sudetenland zusammensetzte.[13]
Das Abgleiten des BHE in
ein extrem rechtes Fahrwasser ab Mitte der 1950er Jahre lässt sich auch auf dem
Bundesparteitag vom 25.-27.04.1957 in Düsseldorf beobachten, wo Leitsätze
beschlossen wurden, die die Forderung nach der Wiederherstellung eines
„völkischen deutschen Reiches von der Saar bis an die Memel“ einschließlich des
Sudetenlandes enthielten: „Das Bekenntnis zur Freiheit der Nation bedeutet ein
klares Eintreten für ihren Schutz gegen äußere Bedrohung. (…) Daher kann das
Verhältnis zwischen Volk und Wehr auch nicht auf gegenseitigem Misstrauen
aufgebaut werden, sondern nur auf dem Willen, die Freiheit gemeinsam zu
schützen – und gemeinsam zu überleben. (…) In der gesellschaftlichen Struktur
eines Volkes nimmt das Bauerntum als Wahrer des volklichen Brauchtums und der
nationalen Eigenart einen besonderen Platz ein. (…) Das Ziel der deutschen
Außenpolitik muß die Herstellung Gesamtdeutschlands in den ihm rechtens zustehenden
Grenzen sein. Der erste Schritt dazu ist die Wiedervereinigung der sowjetischen
Besatzungszone mit der Bundesrepublik. Ihm wird folgen die Beendigung fremder
und völkerrechtswidriger Herrschaft über die Ostgebiete des Deutschen Reiches
und die Einbeziehung dieser Gebiete in Gesamtdeutschland mit friedlichen
Mitteln.(…) Die Treuhänderschaft der Bundesrepublik für die Ostgebiete des
Deutschen Reiches umfasst den völkerrechtlich einbandfreien Besitzstand im
Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Jahres 1945. Nach Auffassung des
Gesamtdeutschen Blocks/BHE gehören zu diesem Besitzstand ebenso das Sudetenland
wie auch das Memelgebiet. (…) Stetes Ziel der deutschen Außenpolitik muß die
Herstellung der vollen Souveränität und Handlungsfreiheit eines wiedervereinigten
Deutschen Reiches in den ihm zustehenden Grenzen sein.“[14]
Es wurde herausgestellt,
dass „allen Verzichtspolitikern“ der „entschlossene Kampf des Blocks“ gelte.
Anschließend wurde die Auffassung über den Zweck der westdeutschen
Partnerschaft in der NATO genannt: „Wir fordern darüber hinaus von der
deutschen Bundesregierung, endlich an unsere westlichen Verbündeten das
dringende Verlangen zu richten, die Rechtsansprüche auf die Ostgebiete des
Deutschen Reiches anzuerkennen. Eine solche Anerkennung ist die unausweichliche
Folge der Bindungen und Verpflichtungen, die durch den Abschluss der Pariser
Verträge und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO sich ergeben.“[15]
Das Gesetz nach Artikel
131 des Grundgesetzes aus dem Jahre 1951, das die Wiedereingliederung von
Beamten, die 1945 von den Alliierten aus politischen Gründen entlassen worden
waren, und von ehemaligen Berufssoldaten in den Öffentlichen Dienst regelte,
sollte nach der Auffassung des BHE reformiert und abgeschlossen werden. Die
Beseitigung angeblich diffamierender Bestimmungen über die Angehörigen der
ehemaligen Waffen-SS und ähnlicher Personengruppen sollte dabei im Mittelpunkt
stehen.
Seit dem Parteitag in
Düsseldorf wurden die Leitworte „national“ und „sozial“ herausgestellt, wobei
man sich deklamatorisch von nationalistisch und sozialistisch abgrenzen wollte,
um dem wachsenden Vorwurf in der Öffentlichkeit gegen die Parallelität mit der
NSDAP zu begegnen.
Mit diesen neuen
Schwerpunkten verfehlte der BHE 1957 mit nur noch 4,6% der Stimmen den Wiedereinzug
in den Bundestag. Der Wahlsieg der Unionsparteien 1957 schürte die Angst vor
einem Zweiparteiensystem und steigerte bei den kleineren bürgerlichen Parteien
die Bereitschaft, eine „Dritte Kraft“ zu bilden. Nach der Bundestagswahl kam es
in Niedersachsen zu einem Modellfall: Ende September 1957 bildeten die
Abgeordneten des BHE und der FDP eine Fraktionsgemeinschaft, der sich Anfang
November auch die sechs Abgeordneten der extrem rechten Deutschen Reichspartei
anschlossen. Dieses Bündnis wurde vom Bundesausschuss des BHE ausdrücklich
gebilligt. Im Juni 1958 wurde diese Allianz jedoch wieder aufgelöst, was dazu
führte, dass zwei BHE-Mitglieder des Landtags in Niedersachsen die Fraktion
verließen.[16] Die
zunehmenden Misserfolge des BHE führten zu Mitgliederschwund und immer geringer
werdendem Einfluss auf die Bundespolitik. Als Reaktion darauf fusionierte die
BHE-Führung vor der Bundestagswahl 1961 mit der ebenfalls erfolglosen Deutschen
Partei (DP). Am 15.04.1961 wurde die Gesamtdeutsche Partei (GDP) gebildet, die
ihr Ziel, die Fünfprozentklausel zu überwinden, aber nicht erreichte. Bei den
Bundestagswahlen 1961 bekam sie nur 2,8% der Stimmen. Der größte Teil der
ehemaligen BHE- bzw. DP-Wähler hatte sich der CDU sowie der FDP zugewandt.[17]
Das Programm der BHE
strebte eine Restituierung des „Deutschen Reiches“ an: „Der BHE strebte die
Wiederherstellung des Deutschen Reiches mit Preußen als Kern und Ordnungszelle
an. Das Reichsdenken im BHE war primär völkisch fundiert und in letzter
Konsequenz ‚großdeutsch’.“[18]
Der BHE wandte sich auch gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten:
„Schluß mit der Nazi-Riecherei-Schluß mit der Diffamierung-Schluß mit der
kalten Entnazifizierung!“[19]
Die innerparteiliche
Struktur des BHE wurde von einer Oligarchisierung und einer mangelnden
innerparteilichen Demokratie geprägt. In den Jahren seines Bestehens bildete
sich eine innere Führungsgruppe von zehn Personen heraus, die die Arbeit des
BHE in Bundesangelegenheiten zum großen Teil bestimmten.[20]
Als Publikationsorgan gab
es den „Gesamtdeutscher Block/BHE Nachrichtendienst der Partei“ aus Bonn, der
von 1953 bis 1956 bestand. Im Oktober 1956 wurde die „Deutsche Einheit“ als
zentrales Organ geschaffen. Weiterhin existierte in Nordrhein-Westfalen „Die
Sicht“ aus Bonn von März 1954 - März 1961.
Nach der Gründung des
BHE in Kiel am 08.01.1950 entstanden bald erste Gruppierungen in Köln, Schwerte
und Detmold. Die Forderungen nach sozialem Ausgleich, Entschädigung sowie nach
einer „konsequenteren Ostpolitik“ für die „Wiedergewinnung der Heimat“ waren
der Hauptinhalt der Agitation dieser Gruppierungen. Bis zur offiziellen
Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im September 1951 war der BHE
in sechs Bezirken und 50 Kreisen organisiert.[21]
Zum ersten Landesvorsitzenden des BHE in Nordrhein-Westfalen wurde Ernst
Turmann aus Detmold gewählt, 2. Vorsitzender wurde Karl Manke aus Köln. Erwin
Frank aus Köln wurde zum Landesgeschäftsführer ernannt. Die Geschäftsstelle des
BHE in Nordrhein-Westfalen wurde in Köln angesiedelt.
Bei der Bundestagswahl
1953 erhielt der BHE in Nordrhein-Westfalen insgesamt 2,7% der Stimmen. In
vielen Wahlkreisen in Nordrhein-Westfalen wurde dieses Ergebnis zum Teil
deutlich übertroffen. Im Wahlkreis Rhein-Wupper-Kreis bekam der BHE mit 4,9%
der Stimmen sein bestes Ergebnis. Im Siegkreis und in Grevenbroich erreichte
der BHE 4,3% der Stimmen. Im Rheinisch-Bergischen Kreis (3,9%), im
Oberbergischen Kreis (3,8%), in Düsseldorf-Mettmann (3,7%), im Landkreis Bonn
(3,5%), in Neuss (3,5%), in Kempen-Krefeld (3,5%) und in Remscheid (3,2%) blieb
der BHE über der 3%-Marke.
Am 09.09.1953, also drei
Tage nach der Bundestagswahl, forderte der BHE in Königswinter das
revanchistische „Recht auf Heimat“ und fabulierte von der Wiederherstellung des
„Deutschen Reiches“: „Nach Presseberichten soll der Bundeskanzler Adenauer in
einem Interview geäußert haben, daß die deutschen Ostgebiete möglicherweise als
deutsch-polnisches Kondominium verwaltet oder den Vereinten Nationen
unterstellt werden könnten: „(…) Der Gesamtdeutsche Block /BHE wird sich allen
Plänen entschieden widersetzen, die das Recht auf die Heimat und eine
jahrhundertelange Entwicklung außer Acht lassen. Bei Friedensverhandlungen wird
davon auszugehen sein, daß nach dem geltenden Völkerrecht Deutschland in seinen
bisherigen Grenzen fortbesteht.“[22]
Seit der Gründung 1951
entwickelte der Landesverband NRW neue Strukturen. Nordrhein- Westfalen wurde
in sechs Regierungsbezirke aufgeteilt (Aachen, Arnsberg, Detmold, Düsseldorf,
Köln, Münster) Die jeweiligen Vertreter in den Regierungsbezirken waren Anton
Hennig für Aachen, P.T. Clemens und Ewald Göttling für Arnsberg, Ernst Turmann,
Siegesmund Beyer und Dr. Pieper für Detmold, Gerhard Zoerner, Wilhelm Kötter
und H. Claasen für Düsseldorf, E. Manke, Fritz Beier und Dr. Frank für Köln
sowie W. Matschky, H. Stacklies und K. Nöding für Münster.
Im Vorfeld der
Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1954 fand am 08./09. Mai der zweite
Bundesparteitag des BHE in Bielefeld statt.
Das Programm des BHE für
den Landeswahlkampf enthielt völkische und etatistische Elemente: „Der
Gesamtdeutsche Block erstrebt die Sammlung aller Deutschen. (…) Um den
Fortbestand des deutschen Volkes in seinem Heimat- und Lebensraum zu sichern,
müssen die geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Kräfte aller Volkskreise
geweckt und gefördert werden.“[23]
Der BHE forderte eine „Wiederherstellung des geeinten deutschen Reiches als
Kernpunkt der deutschen Außenpolitik“. In der Innenpolitik lehnte der BHE einen
„übersteigerten Förderalismus“ ab und trat für die Stärkung der deutschen
Zentralgewalt ein, „ohne landschaftlich und landsmannschaftlich bedingte
Aufgaben beeinträchtigen zu wollen.“ Die Partei plädierte „für einen
endgültigen Schluss mit der kalten Entnazifizierung und Wiederherstellung der
genommenen Rechte.“ sowie die „sofortige Aussetzung aller noch schwebenden und
Überprüfung aller abgeschlossenen Kriegsverbrecherprozesse unter Haftentlassung
der Beschuldigten und Verurteilten“, was als Klientelpolitik gewertet werden
kann. In der Kulturpolitik sprach sich der BHE „für staatliche Pflege des
Kulturgutes aller Deutschen auch der mittel- und ostdeutschen Stämme“ und
„einen geistigen Austausch mit anderen Ländern auf der Grundlage der
Gegenseitigkeit und den Schutz der deutschen Kultur vor Überfremdung.“ aus.
In einem Brief von
Theodor Oberländer vom 17.06.1954, der angeblich an alle Haushalte in
Nordrhein-Westfalen verschickt werden sollte, wurde der BHE als „echte,
nichtmarxistische Sozialpartei“ bezeichnet, der „mit christlichem Geist“ für
„die sozialen Anliegen aller Volksteile kämpft.“ Der BHE wende sich gegen
„übertriebenen Förderalismus, den die Mehrheit des deutschen Volkes ablehnt.“
Hier wurden auch die Kandidaten der Landesliste vorgestellt: „Unsere
Landesliste wird angeführt von dem in NRW bekannten und bewährten Leiter des
Gesamtdeutschen Blocks/BHE Helmut Petersen aus Düsseldorf, der als Wirtschafts-
und Verwaltungsjurist heute als Vorsitzender des Kriegsopfer- und
Heimkehrerauschusses im Bundestag die Sorgen und Nöte dieser so besonders
bedrängten Menschengruppe verantwortlich vertritt. An zweiter Stelle folgt
Bernhard Geissler, Oberregierungsrat in Münster, Landesvorsitzender des Bundes
der vertriebenen Deutschen (…) An dritter Stelle Prof. Dr. Heinrich Neu aus
Bonn, Landesvorsitzender des Zentralverbandes der Fliegergeschädigten (…),
weiterhin die Kriegerwitwe Marianne Immisch aus Wülfrath, die als berufstätige
Frau und Mutter (…), der Elektriker und Arbeiter Walter Klein aus Moers, die
Landwirte Franz Weiß aus Lippstadt und Wolfgang Ziernberg aus Honnef.“[24]
Bei der Landtagswahl
blieb der BHE schließlich mit 4,6% der gültigen Stimmen nur relativ knapp unter
der 5% Grenze.[25] Dieses
Ergebnis wertete der Landesverband angesichts des noch jungen Bestehens der
Partei als Erfolg.
Als es auf der Landesausschlusssitzung
des BHE in Düsseldorf im August 1955 zu innerparteilichen Auseinandersetzungen
kam, wechselten drei von acht bisherigen Bezirksvorsitzenden sowie einige
Kreisvorsitzende zur FDP. Ernst Turmann, Gründer und langjähriger Vorsitzender
in Nordrhein-Westfalen, trat ebenfalls zur FDP über.[26]
Die Mitgliederzahl im
Landesverband NRW stieg von 1953 von 10.500 Personen auf 17.000 im Jahre 1956
an. Danach sank die Mitgliederzahl kontinuierlich; im Jahre 1957 waren es noch
10.600 Mitglieder, im Jahre 1960 nur noch 8.000.[27]
Festzuhalten bleibt,
dass sich der BHE für eine materielle und soziale Eingliederung der
„Heimatvertriebenen“ sowohl an den lokalen Wohnsitzen als auch in die
gesellschaftlichen Strukturen der BRD engagierte. Außerdem wurde in revisionistischer
Weise eine Rückkehr in die jeweiligen „Vertreibungsgebiete“ gefordert. Der
Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten im BHE war unübersehbar, zahlreiche
Schlüsselpositionen wurden von ihnen besetzt. Seit dem Jahre 1955 entwickelte
sich der BHE mit der Forderung nach „Heimatrecht im Osten“ immer mehr zu einer
Partei mit rechtsextremen Tendenzen. Die antidemokratischen Kräfte innerhalb
der Partei bestimmten den Kurs der Partei, es häuften sich die Fälle der
Zusammenarbeit mit anderen extrem rechten Gruppierungen. Das Programm der BHE
strebte eine Revitalisierung des „Deutschen Reiches“ an und wandte sich auch
gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten. Bei der
nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1954 scheiterte der BHE mit 4,6% der
gültigen Stimmen nur relativ knapp an der 5% Hürde. Dieses Ergebnis war
angesichts noch mangelnder Verankerung in Nordrhein-Westfalen ein
Achtungserfolg.
[1]
http://jungefreiheit.de/kolumne/2009/wolfgang-venohr-kriegsschuld-und-die-deutschen-in-polen/
(letzter Abruf 23.8.2014)
[2]www.ostpreussen.de/textarchiv.html?embed=http%3A%2F%3Dvertreibungsverbrechen%26STR2%3D%26ST3%3D%26STR4%3D
(letzter Abruf 23.8.2014)
[3]
www.npd-fraktion-sachsen.de/npd-fraktion-fordert-nationalen-gedenktag-fuer-die-opfer-der-vertreibung/(letzter
Abruf 22.8.2014)
[4] Ebd./
[5]
Taber, B.: Flüchtlinge und Vertriebene in der Bundesrepublik, Frankfurt/M.
2006, S. 25
[6] Stöss, R.: Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders
(Hrsg.): Parteienhandbuch Band 3 (EAP - KSP). Die Parteien der Bundesrepublik
Deutschland 1945-1980, Opladen 1986, S. 1424-1459, hier S. 1427
[7]
Ebd., S. 1441
[8]
New York Times vom 11.11.1952
[9]
Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hierS. 1435
[10]
Wachs, P.-C.: Der Fall Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutsche
Geschichte, Frankfurt/Main 2000, S. 36ff
[11] Vgl.
dazu Gerlach, G: Kalkulierte Morde.Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis
1944, Hamburg 2000
[12]
Raschhofer, H.: Der Fall Oberländer, Tübingen 1962, S. 89
[13] Sonnewald, B.: Die Entstehung und
Entwicklung der ostdeutschen Landsmannschaften von 1947 bis 1952, Berlin 1975,
S. 143
[14]
Zitiert aus Neumann, F.: Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten
1950-1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen
Interessenpartei, Meisenheim am Glan 1968, S. 137
[15]
Zitiert aus Ebd, S. 145
[16]
Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hier S. 1443
[17]
Ebd., S. 1438
[18]
Ebd., S. 1434
[19]
Neumann, Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Ein
Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, a.a.O.,
S. 167
[20]
Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hier S. 1455
[21]
Die Welt vom 17.09.1951
[22]
Neumann, Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Ein
Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, a.a.O.,
S. 157
[23]
Ebd., S. 178
[24]
Ebd., S: 188
[25] Köhler, W. (Hrsg.):
Nordrhein-Westfalen: fünfzig Jahre später: 1946-1996, Essen 1996, S. 13
[26] Düsseldorfer Nachrichten vom
18.08.1955
[27] Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders
(Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland
1945-1980, a.a.O., hier S. 1454
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