Erschienen in Ausgabe: No 123 (05/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
Der thüringische Ministerpräsident hat linke Demonstranten angegriffen und attackiert. „Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid“ sagte Bodo Ramelow in Halle. Seitdem polarisieren seine verbalen Entgleisungen das Netz. Shitstorm einerseits, anderseits breite Unterstützung für den Linken, der sich im Ton als Regierungschef vergriffen hat. Einzig Thüringens AfD-Chef Björn Höcke kann davon profitieren.
von Stefan Groß
Bodo Ramelow am Schreibtisch, Foto: Dr. Dr. Stefan Groß
Bodo Ramelow im Gespräch mit Stefan Groß
Anfang Dezember 2014 ging ein Gespenst durch
Thüringen. Nach der langen Regentschaft von Bernhard Vogel, Dieter Althaus und
Christine Lieberknecht in der Erfurter Staatskanzlei, alle CDU, saß an
prominenter Stelle ein Linker, der erste Ministerpräsident der LINKEN,
überhaupt. Die Angst war groß und der wirtschaftliche Abstieg quasi
vorprogrammiert. Doch dann kam alles anders.
Ähnlich wie Winfried Kretschmann, dem weisen Landesvater aus Baden-Württemberg,
der mittlerweile Deutschlands Lieblingspolitiker ist und für die Kanzlerin
betet, die mit ihm möglicherweise 2017 Großes vorhat, geht es mittlerweile Bodo
Ramelow. Viele Thüringer lieben ihn, die Kanzlerin sicher nicht. Während
Kretschmann bei Merkel fast alles darf, nur Kanzler darf er nicht, gewinnt ein
Linker in Thüringen an Popularität.
Bodo Ramelow ist der Winfried Kretschmann der LINKEN
Was Winfried Kretschmann für die Grünen ist, ist Bodo Ramelow für DIE LINKE.
Ramelow gibt sich bescheiden, ist affärefrei und ein überzeugter
Kapitalismusgegner, was im Osten zumindest eine gute Tradition hat. Seit Ende
2014 regiert der Bäckersohn, der wegen Legasthenie (Lese- und
Rechtschreibschwäche) sein Abitur später nachholen musste und auch um dieses
frühere Handicap keinen Hehl macht, den Freistaat Thüringen wie ein weiser
Landesvater. Selbst Kritiker und eingefleischte CDU-Anhänger unter den
damaligen ostdeutschen Protestwählern, die in erster Linie Frau Christine
Lieberknecht, ihres Zeichen protestantische Pfarrerin, abstrafen
wollten, sind von Ramelow angetan. Von Pastoren hatte man im Osten schon unmittelbar
nach der Wende genug. Ihr Seligkeitsanspruch und der beschwichtigende Tonfall
war – nach dem Zeitalter der Betonköpfe – selbst den Ossis unerträglich, zumal
sie Religion ohnehin nicht auf der Agenda hatten und die Sprache derselben
schon gar nicht.
Der Protestant aus dem Westen
Auch Ramelow wollte eigentlich Pfarrer werden. Er stammt aus einem uralten
Protestantengeschlecht. Einer seiner Urahnen taufte einst den Dichter der
Deutschen – Johann Wolfgang Goethe und nun regiert der Protestant im Kernland
von Aufklärung und Reformation und goetheanischer Weitsichtigkeit – der Import
aus Westdeutschland, der ursprünglich aus Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen
stammt. Das Protestantische liegt Ramelow im Blut, es ist ihm in die Wiege
gelegt. Gelegentlich tauscht er den politischen Tonfall gegen einen religiösen.
Er ist bekennender Christ, besucht die Armen und Entrechteten, die Hartz-IVler,
von denen es, trotz Ramelow, in Thüringen immer noch viele gibt – auch in
Erfurt träumt man von bayerischen Zuständen und einer minimalen
Arbeitslosenrate.
Viele Kritiker des ersten linken Ministerpräsidenten hätten es lieber gesehen,
wenn er Pfarrer geworden wäre. Als Pfarrer, was sie dann natürlich nicht
wollen, könnte er sogar für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren oder
darauf spekulieren und müßte nicht im provinziellen Thüringen die Prinzenrolle
ausüben. Durch seine Vergangenheit hätte er auch gute Chancen, die
Regierungschefin zu beerben. Doch die setzt partout nicht auf Links, sondern
auf Grün. Und so wird Ramelow zumindest in naher Zukunft nicht Kronprinz,
Vizekanzler oder Außenminister.
Ramelow hat eine Affinität zur
katholischen Kirche
Ramelow, für den sein Christsein eine ganz persönliche Angelegenheit bleiben
soll, ist offen für den intra-religiösen Diskurs und scheut sich auch nicht
davor, zum 90. Geburtstag des Papa Emeritus, Papst Benedikt XVI., eine
Festveranstaltung in der Thüringer Staatskanzlei zu organisieren. Ein Bild –
gemeinsam – mit dem Papst aus Bayern, den er persönlich besuchte und davon
schwärmt, steht unweit des Schreibtisches des Regierungschefs im Arbeitszimmer
an prominenter Stelle. Aber mehr als mit dem Theologieprofessor verbindet ihn
mit Franziskus; die gemeinsame Überzeugung für den Kampf gegen die Armut, die
Kapitalismuskritik des argentinischen Kirchenfürsten, seine Mißachtung des
weltlichen Ruhmes und Tands, seine Bescheidenheit und Weltoffenheit.
Franziskus, so scheint es, wenigstens ist für Ramelow, der diesen im Februar
2016 in Rom besuchte, ein Bruder im Herzen, zumal der jetzt in seinem neuen
Schreiben zu Ehe und Familie, „Amoris Laetitia“, eine Fußnote verpackt hat, die
wiederverheirateten Geschiedenen Hoffnung macht, am Sakrament des Abendmahles
teilzunehmen. Eine Geste, die in der katholischen Kirche lange als Tabu
gehandelt wurde. Wenn auch nicht direkt davon betroffen, freut dieses Zeichen
Ramelow, der immerhin schon in dritter Ehe verheiratet ist.
Thüringen ist auf Erfolgskurs, doch die Willkommenskultur sorgt für Unmut
Das kleine Land inmitten Deutschlands ist, wider Erwarten und prognostiziert,
weder von den LINKEN ruiniert worden noch auf die schiefe Ebene gekommen. Unter
Ramelow, was die Opposition täglich empört, blüht das Land. Die Wirtschaft
boomt, die Arbeitslosenzahl ist rückläufig. Ramelow ist um einen soliden
Haushalt bemüht und will Neuschulden vermeiden. Für Unmut sorgt der Landeschef
allerdings mit seiner offenen Flüchtlingspolitik. Das löst Mißbehagen aus. Aber
auch hier ist er ganz auf Kurs der Kanzlerin. Er übernimmt, wenn der SPD
Bürgermeister in Jena keine Zeit hat, auch mal eine Taufpatenschaft für Vierlinge
und setzt sich gegen eine Abschiebung der Familie ein.
Eigentlich könnte Ramelow auch in der CDU sein. Wie auf dem Berliner Parkett changiert er
wie ein galanter Kellner zwischen den politischen Milieus, balanciert die Teller aus
und füllt das Tablett mit aller Geschicklichkeit. Er greift in die
Mitte und nach Grün und Gelb, garniert den Teller mit ausgewogener Kost. Er
scheut sich nicht, potentielle CDU-Wähler zu umgarnen, um sie für sein
politisches Menü zu gewinnen. Nur Rechts will er nicht. Und Björn Höcke ist der
Teufel in Person, der Erzfeind schlechthin. Wenn es um die AfD und ihrem
Aufstieg geht, versteht Ramelow keinen Spaß. Der ansonsten um Ausgleich Bemühte
verwandelt sich in ein Raubtier.
Doch Ramelow
kann auch anders – Der Landesvater als Provokateur
Von einem Extremismus von Links hält Ramelow nichts. Gar nicht staatsmännisch
hatte er Aktivisten der Linken in Halle zugerufen „Es kotzt mich an, wie
arrogant ihr seid.“ Damit kritisierte er
eine von linken Gruppierungen am Himmelsfahrtstag geplante Aktion gegen den
Chef der rechtspopulistischen AfD in Thüringen, Björn Höcke. Diese wollen vor
dem Privathaus des AfDlers in Bornhagen demonstrieren. Ramelow verglich
derartige Aktionen mit „Nazi-Methoden“ und stellte sich hinter das Grundrecht,
dass selbst im Fall Höckes, die Privatsphäre zu schützen sei. „Vor
Privathäusern haben Demonstranten nichts zu suchen.“ „Wer sich links nennt und
solche Methoden anwendet, ist nicht links,“ so Ramelow. Derartige Aktionen
machen den Landesvater, der gern mal provoziert, sei es gegen Berlusconi, gegen
Wagenknecht und Lafontaine, in den eigenen Reihen nicht gerade populär. Für
viele Linksaußen ist Ramelow ein rotes Tuch, der so der Vorwurf, zu sehr auf
Kuschelkurs mit den etablierten Parteien gehe. Ramelow seinerseits übt sich im
Spagat zwischen sozialdemokratischen Pragmatikern und Linkssektierern. Und der
lachende Dritte derzeit ist Höcke, der derart unter linken Schutz genommen,
seinen politischen Widersacher in den höchsten Tönen lobt.
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