Erschienen in Ausgabe: No 123 (05/2016) | Letzte Änderung: 05.05.16 |
von Isabella Escobedo
Ein paar Monate nachdem Tom McCarthy mit seinem preisgekrönten Film
Spotlight eine Ode an den investigativen Journalismus schrieb und dafür den
Oscar in der Kategorie „Bester Film“ gewann, müssen wir uns nicht mehr vor die
Leinwand setzen, um Zeugen eines ähnlich filmreifen Spektakels zu werden. Es
genügt schon die Facebook-Seite, die Twitter App oder die Zeitung eine der
größten journalistischen Recherchearbeiten des vergangenen Jahrzehnts zu
verfolgen, die für manche ein Zeugnis der Glanzarbeit, für andere einen
zweifelhaften Beigeschmack des investigativen Journalismus hinterlässt.
Mit Panama Papers hat ein Zusammenschluss von 400 Journalisten aus 80
Ländern am Sonntag eines der größten Datenlecks veröffentlicht und womöglich
Geschichte geschrieben. Das Leak umfasst mit seinen 11,5 Millionen Dokumenten
2,6 Terrabyte, eine Zahl, die ebenso unvorstellbar wie abstrakt wirkt. Zum
Vergleich: Edward Snowden veröffentlichte 1,7 Millionen filtrierte Dateien der
NSA, Wikileaks umfasste zwei Millionen „Syria Fails“. Damit sind die Panama
Papers größer als die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen,
Offshore-Leaks, Lux-Leaks und Swiss-Leaks zusammen. Doch immer noch steht
Qualität vor Quantität, und so sollte man sich nicht von den überwältigenden
Zahlen blenden lassen, denn noch ist unklar wie viel davon tatsächlich
relevante und brauchbare Daten sind.
„Interessiert an Daten?“
In einem anonymen Anruf wurden sie, der Quelle zu Folge, aus moralischen
Gründen, Bastian Obermayer von der Süddeutschen Zeitung anvertraut. Nach einer
Authentizitätsüberprüfung und Verifizierung durch das Abgleichen mit einem
kleineren Datenleak Mossack Fonsecas von 2014, entschied sich die Süddeutsche
Zeitung, die Daten aufgrund ihrer internationalen Relevanz und Größe mit Medien
zahlreicher anderer Länder und dem International Consortium for Investigative
Journalists (ICIJ), einem internationalen Verein für investigative
Journalisten, zu teilen. Zusammen recherchierten die Medienorganisationen etwa
ein Jahr in den Dateien, für dessen Auswertung und Erfassung ein Programm, das
sonst von internationalen Ermittlungsbehörden genutzt wird, benötigt wurde.
Was heraus kam waren handfeste Fakten zu einem offenen Geheimnis: über tausende
E-Mails, Datenbankformate und Text-Dateien, die von der Zusammenarbeit vieler
internationaler Prominenter und Regierungschefs mit der Briefkastenfirma
Mossack Fonseca zeugen. Diese panamische Kanzlei gründet und verwaltet
Briefkästen, deren Kauf zwar nicht illegal, aber häufig der Verschleierung von
schmutzigen Geldgeschäften und Delikten dient. Mit diesem Einblick in die sonst
verborgene Welt der Geldwäsche und Steuerhinterziehung ist dem Zusammenschluss
an Journalisten ein großer Schritt zurück zu einem fast schon verschollenen
investigativen Journalismus gelungen.
Mit Vorsicht zu genießen
Auch wenn von vielen als Meisterwerk gekürt, steht die Recherchearbeit für
andere nun auch zunehmend in der Kritik. Die von der Süddeutschen Zeitung
eigens für die Affäre angelegte Webseite wirkt schnell reißerisch, sie arbeitet
mit fast karikaturistischen Zeichnungen, plakativen Schlagzeilen und wenig,
aber dafür provokantem Text. In verschiedenen Artikeln wird das wer, das wie
und das was zwar eloquent erklärt, viele Details werden jedoch in
Schlagfertigkeit verschleiert und bleiben schwammig und unklar. Wo hört
investigativer Journalismus auf, wo fängt Sensationalismus an?
Aus Halbwahrheiten werden Schlagzeilen
Auffällig ist, dass Putin intensiv in den Mittelpunkt gerückt wird. Sein
Name taucht in fast jeder zweiten Schlagzeile auf, in den Dokumenten jedoch
kein einziges Mal. In die Geschäfte war lediglich ein mit ihm befreundeter
Cellist, der Patenonkel seiner Tochter involviert. Selbst wenn Putin Unschuld
strittig ist, lässt das eher auf Verwirtschaftlichung als auf nachhaltige
Recherche schließen. Das Nennen vieler bekannter Namen, die jedoch nur indirekt
betroffen sind, sorgt nämlich für skandalträchtige Schlagzeilen und damit für
erhöhte Leserzahlen. Fragwürdig ist außerdem, wieso keine Namen westlicher,
beispielsweise Deutscher oder US-amerikanischer Politiker genannt werden,
obwohl die USA bekanntlich als eine der größten Steueroasen gilt. Die Erklärung
liefert die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Webseite selbst, ihnen zu Folge
befänden sich bisher „keine Daten westlicher Politiker in den Unterlagen“.
Sollte dies stimmen, stellt sich die Frage, inwiefern die anonyme Quelle die
Daten tatsächlich aus „moralischen Prinzipien“ und nicht aus parteilichen
Gründen geliefert hat. In dem Falle drohe der Presse die Gefahr,
instrumentalisiert zu werden und als Lautsprecher für die unbekannten Motive
und Absichten der anonymen Quelle zu dienen.
Nichts als heiße Luft?
Strittig ist außerdem die Frage um die ethische Korrektheit der Aufdeckung.
Die Journalisten wandern auf einem schmalen Grat zwischen Recht und
Gerechtigkeit, denn auch wenn sie viele Delikte aufdecken, wurden die Daten
durch eine Straftat erlangt, und somit machen sich die Medien zu Informanten
ebenso wie zu Komplizen. Und das alles, wofür? „Cui bono?“, „wem nützt es?“
lautet die essenzielle Frage des investigativen Journalismus. Nun ist die Bombe
geplatzt, noch scheinen jedoch alle mit der Explosion überfordert zu sein. Die
Daten hängen in der Luft und niemand weiß wirklich etwas mit ihnen anzufangen.
Ein Grund dafür ist womöglich die vorherrschende Unklarheit über die
tatsächliche strafrechtliche Lage, zumal das Errichten von Briefkastenfirmen im
Ausland an sich nichts Illegales anhaftet. Verstärkt wird die allgemeine
Ratlosigkeit durch die Verweigerung des Journalistenkonsortiums, die Daten der
Staatsanwaltschaft und der Steuerfahndung zur Verfügung zu stellen. Ist es
fair, verschleierte Fakten hinauszuposaunen und damit für eine Sensation zu
sorgen, den Ruf etlicher Menschen zu ruinieren ohne jedoch die komplette
Wahrheit ins Licht rücken und die Daten öffentlich machen zu wollen? Die
moralische Korrektheit der Journalisten bleibt somit ebenso debattierbar, wie
die Frage nach der wahren Sensation: ist der tatsächliche Skandal nun die
Aufdeckung an sich oder seine Bedeutung für den Journalismus? Wir bleiben mit
unserer Popcorn-Tüte vor dem Live-Ticker sitzen und sind gespannt: the show
must go on.
Isabella Escobedo
wuchs als Tochter einer deutsch-spanischen Familie mit
venezolanischem Einfluss in Madrid auf. 2009 tauschte sie Flamenco gegen
Karneval und zog ins schöne Rheinland. Weiterhin vom Fernweh getrieben
verschlug es sie nach dem Abitur 2014 für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach
Südindien. Nun, zurück in Deutschland, hat sie vorerst in Bonn ihr Zelt
aufgeschlagen, wo sie nachhaltige Wirtschaft studiert und sich nebenbei ihrer
großen Liebe für das geschriebene Wort widmet. Als rasende Reporterin ist sie
bei f1rstlife für gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen mit einem
Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit unterwegs.
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