Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 15.09.16 |
Was ist ein gutes Leben, was ist das Glück? Von der Tugendethik bis hin zum Pragmatismus und Utilitarismus reichen die Antworten. Was für ein Mensch man sei, entscheidet darüber, welche Philosophie man wähle, hatte der deutsche Idealist Johann Gottlieb Fichte einmal betont. Dies gilt um so mehr auch für das Glück. Doch im Zeitalter von Virtualität und sozialer Netzwerke wird die Glückssuche nicht einfacher, sondern schwieriger.
von Stefan Groß
Das
Glück bleibt individuell, vielleicht das Individuellste, über das wir selbst
entscheiden. Ob Augenblicksglück, die stoische Seelenruhe, ob Kants
Pflichtenethik, Schopenhauers Nihilismus oder Levinas’ Philosophie des Anderen
bis hin zur modernen empirischen Glücksforschung – ihnen allen gemein ist, dass
sich das Glück nicht auf einen bloßen Materialismus reduzieren läßt.
Vilém
Flusser und die Vision der telematischen Gesellschaft
Der
Philosoph und Kommunikationsprofessor Vilém Flusser, einst Wegweiser der
Kommunikationstheorie und von Facebook-Chef Mark Zuckerberg wie eine Ikone
verehrt, hatte Anfang der 90er Jahre die positive Utopie einer künftigen
telematischen Gesellschaft, die nicht nur einen Gegenentwurf zu den
pessimistischen Medientheorien der damaligen Zeit darstellte, sondern die
Vision in sich barg, Dialoge hervorzubringen, die Informationen und dadurch
Diskurse erzeugen, durch die wiederum Informationen weitergegeben werden. Im
Fokus der Kritik stand für Flusser die „autoritäre Gesellschaft“, in der nicht
der Dialog, sondern der Diskurs regiere, der zumindest eins nicht war:
herrschaftsfrei:
Flussers
Vision der „revolutionären Gesellschaft“
Flussers
Vision der „revolutionären Gesellschaft“ hingegen sei der Hort der Dialoge. In
der telematischen Gesellschaft gibt es keine Autoritäten mehr, lediglich
vernetzte Strukturen, die völlig undurchsichtig agieren, ein kybernetisches
System, das als „kosmisches Hirn“ funktioniere. Für Flusser ist Kommunikation
Nomadologie jenseits von Heimat und Gebundenheit, Interaktivität per
excellence. Und so verheißen die sozialen Netzwerke die eigentliche Freiheit,
eröffnen sie doch einer einsamen und sinnlosen menschlichen Existenz den
Freiraum der Eigentlichkeit, die dem Menschen seine Bedeutungslosigkeit und
sein zum Tode verurteiltes Leben vergessen machen. Als zoon politikon, wie
Aristoteles einst schrieb, wird dem modernen Menschen dabei die Kommunikation
zu einem intentionalen, dialogischen und intersubjektivistischen Akt, ja, durch
sie ereignet sich geistige Nähe in Sekundenschnelle. Die telematische
Revolution erzeugt nicht Distanz, vielmehr Unmittelbarkeit, darauf zumindest spekulierte
Flusser.
Selfie-Wahnsinn
bei Jung und Alt
Seit
zehn Jahren rast Facebook auf der Überholspur. Tendenz steigend! Der Gigant hat
andere Netzwerke weit ins Abseits gedrängt. Ob A B C, Z-Promis oder Teenager,
der Selfie-Wahnsinn regiert die Welt. Und die meisten User wollen lediglich
performieren, unterhalten. Statt Selbsterkenntnis Selbstreferenz satt. Mediale
Präsenz wird so zur universalen Heilsbotschaft, meist mit bescheidenem Inhalt.
Es regiert nicht der Inhalt als vielmehr und manchmal ausschließlich die Form.
Während
die Vielzahl der User von Unsterblichkeit, von einer steilen Karriere und von
medialer Berühmtheit träumen, ihr „zweites Ich“, ihr Profil, wie eine große
Liebe pflegen, liebkosen, ständig aktualisieren und wie ein Baby umhegen, verkümmert
dabei zunehmend das reale Ich und wird durch das virtuelle aufgehoben. Der
Schritt in die Tristesse des virtuellen Alltags ist dann nicht mehr weit –
Einsamkeit inkludiert.
Flusser
zum Trotz, bleiben Facebook und die anderen Netzwerke in Sachen Glückssuche auf
der Strecke. Wahre Freundschaft vermögen sie nicht zu stiften; sie dienen eher
der Kompensation von Identitätsverlusten, sind Surrogate von subjektiver und
egoistischer Selbststilisierung.
Nie
waren wir göttlicher
Ob
Facebook, Instagram, Tumblr oder Twitter – die Selbstinszenierung kennt keine
Grenzen. Gab es früher einen Gott, wimmelt es in der virtuellen Welt heute von
Göttinnen und Göttern, alle mit Allseligkeits- und Allmachtsanspruch, deren
Markenzeichen eine gläserne Selbsttransparenz ist, inszeniert mit den schnöden
Insignien subjektiver Selbstgefälligkeiten und gekürt mit dem Hauch des
Banalen. Das Internet hat einen neuen Götterhimmel geschaffen, sei es Dagi Bee,
Chiara Ferragni oder andere, die dank sozialer Netzwerke tatsächlich zu Ruhm
und vor allem zu viel Geld gekommen sind. Doch das Gros der User kämpft
verzweifelt, wie einst Sisyphos den verzweifelten Kampf um Sinn und
Anerkennung; postet und postet, doch das Netz geriert nicht Anerkennung,
sondern Ablehnung – und schlimmer noch mit gar keiner Reaktion, Haß, Neid und
Mißgunst. Facebook und Co haben eben auch eine Realität, und die kann bitter
sein.
„Wir
steuern auf einen kollektiven Burn-out zu"
Nach
Ansicht des Jenaer Entschleunigungspapstes und Soziologieprofessors Hartmut
Rosa steuert in einem Interview mit der “Die Welt” die moderne Gesellschaft mit
ihrem Inszenierungswahn sukzessive auf ein kollektives Burn-out zu. Die Welt
verkümmert und wird nur noch via Bildschirm auf dem Computer oder dem
Smartphone wahrgenommen. Auch für Rosa gaukeln soziale Netzwerke Nähe lediglich
vor, was bei vielen Netzenthusiasten leider das dumpfe Gefühl auslöst, „einer
stummen, gleichgültigen Welt“ gegenüber zu stehen.
Schon
Emmanuel Levinas und Victor Frankl wußten, dass zu einem gelungenen Glück mehr
als blanke Materie, Ressourcen, gehört, beide sahen sie im Anderen, im anderen
Menschen, denn der Mensch als soziales Wesen benötigt eine lebendige Verbindung
zu seiner Umwelt. Wer diese Beziehungen jedoch über sein Handy zu konsumieren,
sein In-der-Welt-Sein zu bestätigen sucht, muss sich stets und ständig davon
überzeugen und vergewissern, dass die Welt ihn nicht vergessen hat. „Wenn ich
auf ein Posting oder einen Tweet mehr Likes bekomme als das Mal zuvor, deute
ich das als stärkere Resonanz. Wenn ich dagegen weniger Rückmeldungen erhalte,
habe ich die Sorge, von der Welt ‚vergessen’ zu werden. Wer seine
Resonanzvergewisserung über die sozialen Medien sucht, muss sich deshalb alle
paar Stunden oder gar Minuten von Neuem seiner Verbundenheit mit der Welt
versichern. Das kann leicht zu einem suchtförmigen Verhaltensmuster führen“, so
Hartmut Rosa in der “Die Welt”.
Wir
brauchen eine „libidinöse Weltbeziehung“
Ein
glückliches Leben kann für Rosa aber nur dann gelingen, wenn wir eine
„libidinöse Weltbeziehung“ herstellen. Statt Ressourcenverwaltung tritt
Resonanz, statt dem Selbstverlust durch Tastaturen oder Daumendruck
entgegenzusteuern, brauchen wir „nicht einzelne resonante Oasen, sondern einen
resonanten Alltag.“ Bildschirme sind und bleiben für den Soziologen
„Resonanzkiller, wenngleich er die Digitalisierung an sich nicht verteufelt.
Was er kritisiert, ist die Verkümmerung der „leiblichen Dimension“, weil „wir
immer mehr medial und digital auf die Welt bezogen sind.“ Was den sozialen
Netzen darüber hinaus fehlt, ist die „Verflüssigung des Weltverhältnisses“,
eine Art Abwehrmechanismus des virtuellen Ich, dass sich dem Fremdem,
Unbekannten, nicht mehr öffnet und damit eine echte Selbstverwandlung nicht
mehr erlaubt. Gesucht wird nur eine Art „Bestätigung für das, was wir schon
sind. Wir lassen uns kaum berühren von dem, was uns erreicht, und wir erreichen
und bewegen auch auf der anderen Seite kaum etwas.“
Aber
virtuelle Distanz als Form von Weltverweigerung bleibt für Rosa nur die eine
Facette, eine andere ist eine ungestillte Sehnsucht nach interessanteren
Optionen. Die ewige Suche, die Welt auf die maximalen Optionen zu scannen,
hatte bereits Sören Kierkegaard als „Verzweifelt nicht man selbst sein wollen“
charakterisiert. Hinter diesem Nicht-Selbst-Sein-Wollen steckt dann auch die
Angst, etwas irgendwo zu verpassen. Diese ständige Sehnsucht und Unerfülltheit
vernichtet nicht nur die Resonanzstiftung, die voraussetzt, „dass man
Aufmerksamkeit fokussiert und alles andere losläßt“, sondern verstellt einem den
Augenblick und damit den Genuß des „Verweile doch, Du bist so schön“, wie
Goethe im Faust einst dichtete.
Quellen:
Interviews mit der Zeitung Die
Welt und mit der “Ostthüringer
Zeitung”
1.https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article153977398/Wir-steuern-auf-ein-kollektives-Burn-out-zu.html?wtrid=crossdevice.welt.desktop.vwo.google-referrer.home-spliturl&betaredirect=true
2.http://www.otz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Soziologe-Hartmut-Rosa-aus-Jena-Soziale-Medien-gauckeln-Resonanz-nur-vor-641870910
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