Erschienen in Ausgabe: No 124 (06/2016) | Letzte Änderung: 10.06.16 |
Glaubt man manchen aktuellen „Asylkritikern“, haben wir es in der aktuellen Flüchtlingspolitik gerade mit einem Ausnahmezustand zu tun. Diese ist jedoch nicht mit Abschottungspolitik und Grenzfestungen zu begegnen. Migration ist nicht als Bedrohung zu verstehen, sondern als etwas ganz Normales, was es seit Menschengedenken gibt.
von Michael Lausberg
Der
sich in allen Ebenen seit dem Ende des Kalten Krieges durchsetzende
Globalisierungsprozess brachte eine größere Heterogenität und Fragmentierung
von Weltbildern mit sich und schließt Individuen oder Gruppen unterschiedlicher
kultureller Herkunft zu einer Menschheit zusammen.
Kulturen
wird dabei als heterogene, dynamische Entitäten betrachtet, was auch auf die in
ihr vertretenen Religionen und Philosophien gilt. Ein einheitlicher und
statischer Kulturbegriff sowie die Konservierung des jeweiligen gegenwärtigen
kulturellen Zustandes gab es niemals, gibt es nicht und wird es auch niemals
geben. Zu allen Zeiten fand trotz mancher spannungsreicher Kulturbegegnungen
ein interkultureller Austausch statt; die räumliche Annäherung
unterschiedlicher Traditionen und Weltanschauungen haben für eine ständige
Erneuerung und Anpassung gesorgt.
Interkultureller
Austausch als Paradigma
Die
zahlreichen politischen, gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen
Auseinandersetzungen der Vergangenheit und Gegenwart hatten und haben den
Hintergrund, dass die jeweiligen politischen Ideologien, Religionen oder
Philosophien glauben, allein im Besitz der einen einzigen Wahrheit zu sein.
Daher ist eine kulturübergreifende Kommunikation notwendig, die die Ebene
zivilisatorischer Koexistenz überschreitet und zur gewaltfreien interkulturellen
Verständigung führt:
Zu
allen Zeiten ein interkultureller Austausch stattfand, der bis heute andauert
und auch die Zukunft prägen wird. Die Geschichte der Ein- und Auswanderung nach
bzw. aus Deutschland zeigt eindeutig, dass es immer wieder zu einer Vermischung
und Neuschöpfung von Kultur in jeglicher Form gab. Als eines von vielen
Beispielen soll hier die Einwanderung der Hugenotten aus Frankreich in der
Frühen Neuzeit genannt werden. Gerhard Paul bemerkt richtigerweise:
„‘Autochtone‘ Kulturen gibt es nicht. So gibt es keine reine oder ‚wahrhaft‘
deutsche Kultur.“ Das humanistische Bemühen um eine der Menschenwürde und
Persönlichkeitsentfaltung entsprechenden Gestaltung des Lebens und der
Gesellschaft durch Bildung und Erziehung ist für die Gegenwart von höchst
aktueller Bedeutung.
Die
Bedeutung von Nationalstaaten schwindet
Nationalstaaten
werden in der immer weiter schreitenden Globalisierung immer unwichtiger. Der
Glaube an universale Werte und der Respekt vor der Verschiedenheit
nicht-westlicher Weltanschauung im postnationalen Zeitalter werden entscheidend
sein für die Herausbildung einer gewaltfreien und demokratischen Zukunft sein.
Die Weltanschauung des neokonservativen Politikwissenschaftlers Samuel
Huntington, von dem die Theorie des „Clash of Civilisations“ stammt, die von
einer homogenen Summe von Weltkulturen und deren unwandelbaren Eigenschaften
ausgehend einen „Kampf der Kulturen“ prognostiziert, entbehrt den Glauben an
universale Grundhaltungen und regionalen Verschiedenheiten.
Der
Philosoph Kwame Anthony Appiah stellt zu Recht fest „Eine Welt, in der sich
Gemeinschaften klar gegenüber abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr
zu sein, falls sie es denn jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in
unserer ständig umherreisenden Spezies schon immer etwas Anormales.“
In
der Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen und Weltbildern kommt es ganz
entscheidend darauf an, die eigenen Vorstellungen zurückzunehmen, um die
Erfahrungen anderer Kulturen im Kontext ihrer eigenen Ideen zu betrachten. Im
Eigenen sollte nicht länger das einzig Mögliche, das schlechthin Wahre und
Notwendige gesehen werden. Es existiert eine kulturelle Pluralität, da die Welt
des Menschen intern vielfältig dimensioniert und ausdifferenziert ist.
Abschottung
ist keine Lösung
Grenzen
und Abschottung wie nun in vielen Debatten der „Flüchtlingskrise“ gefordert
sind Anormales. Die nochmalige Verschärfung des Asylrechts ist keine Antwort
auf weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen. Gerade im Zeitalter der
Globalisierung ist Migration etwas Selbstverständliches. Zu allen Zeiten fand
trotz mancher spannungsreicher Kulturbegegnungen ein interkultureller Austausch
statt, der bis heute andauert und auch die Zukunft prägen wird.
Flucht
und Migration sind Folgeerscheinungen von Kriegen, zu deren Entstehung die
Bundesrepublik und andere westliche Staaten auch durch Waffenlieferungen
beigetragen haben. Es gilt also auf dem Parkett der internationalen Politik für
ein Ende der Kriege oder wenigstens einen vorzeitigen überprüfbaren Frieden zu
sorgen.
Die
Transformationsprozesse seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus führten
dazu, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit in der BRD einer kosmopolitanen
Einwanderungsgesellschaft entspricht. Durch globale Öffnungsprozesse mit allen ihren
Vor- und Nachteilen verlieren das nationale Denken und die nationalen Grenzen
zunehmend an Bedeutung zugunsten einer Weltgesellschaft. Diese neuen
Öffnungsprozesse im Zuge der Globalisierung etablieren einerseits neue
Ungleichheiten und Machtverhältnisse, was sich an dem augenblicklichen
Siegeszug der radikalen neoliberalistischen Politik zeigt. Andererseits
eröffnen sich neue Chancen und Möglichkeiten für die Entstehung einer globalen
Zivilgesellschaft mit interkulturellem Charakter.
Die
Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge
Als
weiteres gilt, das was Aydan Ösuguz, Bundesbeauftragte für Migration,
Flüchtlinge und Integration, bemerkte: „Die EU ist multikulturell,
multiethnisch und multireligiös. Unsere Grundwerte verpflichten uns und diejenigen,
die bei uns eine neue Heimat suchen. Besonders schutzbedürftige Personen, wie
die syrischen Flüchtlinge, sollten bereits im Libanon oder Nordafrika
aufgenommen und auf sicheren und legalen Wegen nach Europa gebracht werden. Sie
dürfen sich nicht mehr länger in Lebensgefahr begeben, um bei uns Asyl zu
beantragen. Der aktuelle Zustrom an Flüchtlingen ist die Folge dramatischer
Entwicklungen in unserer Nachbarschaft. Doch die Krisen in den Herkunftsstaaten
der Flüchtlinge – wie Bürgerkriege, zerfallende Staatlichkeit, Terrorismus oder
Armut – werden wir nicht mit Zäunen an den Außengrenzen der EU oder
Patrouillenbooten im Mittelmeer lösen. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen,
nicht die Flüchtlinge!“
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