Erschienen in Ausgabe: No 124 (06/2016) | Letzte Änderung: 10.06.16 |
von Michael Lausberg
Alexej I
Alexej I (1641-1676)
führte einen der entscheidendsten Kriege des russischen Reiches in der Frühen
Neuzeit. Im Westen hätte nach der Vereinigung Polens und Litauens auch die
Vereinigung der beiden Kirchen folgen sollen, die in den beiden Gebietsteilen
des neuen Staates herrschten. In Polen war 1595 beschlossen worden, die
Rechtgläubigen sollen sich dem Papste unterwerfen, aber in ihren Glaubenslehren
sonst unbehelligt bleiben. Das Volk empfand diesen Beschluss als den ersten
Verrat an den Glauben der Väter. Wohl stand der grundbesitzende Adel, ohnehin
langsam mit dem der Polen verschmelzend, zu dem Beschluss, und mancher Bauer
folgte ihm; aber die Masse der Bauern und den Bewohnern der Städte lehnte ihn
leidenschaftlich ab. Ihre Bedrückung wurde dadurch noch schlimmer, da sie von
den Polen als Pöbelbauern beschimpft wurden.
Umso sehnsüchtiger
richteten sie ihre Blicke nach dem rechtgläubigen Herrscher in Moskau, dem sie
mehr vertrauten und zugeneigt waren. Zugleich taten die Polen auch alles, um
die Ukrainer zu erbittern. Die Kosaken waren hier in Kämpfen gegen Tartaren und
Türken selbstbewusst geworden, der König von Polen hatte ihnen unter seiner
Oberherrschaft Selbstverwaltung zubilligen müssen. In Polen aber wuchs mit dem
Wunsch, nur Untertanen eines einzigen Glaubens zu haben, auch die Neigung,
landschaftliche Sonderrechte wie bei den Ukrainern nicht länger zu dulden. Den
Kosaken konnten so durch den Polen ihre Rechte genommen werden, was diese in
Aufruhr versetzte. Ihr Herrscher Bogdan Chmelnitzkij wandte sich deshalb an den
Zaren Alexej I. mit der Bitte, die Kosaken in sein Reich aufzunehmen und ihnen
gleichzeitig rechtliche Freiheiten zu garantieren.
Daraufhin sandte
Alexej seine Truppen gegen Polen, die Bauern in Weißrussland erhoben sich
ebenfalls, in Andrussowo musste Polen im Jahre 1667 Stadt und Gebiet von
Smolensk, die östliche Hälfte der Ukraine und die Stadt Kiew abtreten. Damit
kehrte die alte Hauptstadt des Reiches ins russische Imperium zurück. Die
Rzeczpospolita erkannte die russische Herrschaft über die Woiwodschaften von
Smolensk und Czernihschow sowie Teile der heutigen Ukraine östlich des Dneprs
einschließlich Kiews (Woiwodschaft Kiew) an, beim letzteren allerdings jedoch
nur für zwei Jahre. Das Gebiet der Saporoger Kosaken wurde zu einem
polnisch-russischen Kondominium erklärt. Der Vertrag verpflichtete beide Seiten
zur gemeinsamen Verteidigung gegen das Osmanische Reich und seine Vasallen, die
Krimtataren. Der Vertrag von Andrussowo beendete die jahrhundertelange
polnisch-litauische Dominanz in Osteuropa zu Gunsten Russlands. Das Abkommen
fand seine völkerrechtliche Bestätigung im Ewigen Frieden von 1686.
Alexej, der seinem
Reiche so große Gebiete wieder anfügte, musste daraufhin innenpolitische
Aufgaben nachgehen. Schwer lastete der Druck der Gutsherren auf die Bauern, die
nun leibeigen geworden waren. Aus diesem Grunde flüchteten viele von ihnen in
die Steppe zu den Kosaken am Don. Aber auch hier gab es eine gesellschaftliche
Spaltung. Die Nachkommen der ersten Kosaken waren mit der Zeit wohlhabend
geworden und die Träger der staatlichen Rechte in der Gemeinschaft. Sie
weigerten sich deshalb in privilegierter Position, die neuen Zuwanderer in ihre
Gemeinschaft aufzunehmen, und machten sie zu rechtlosen Landarbeitern. Diese
ließen sich das nicht lange gefallen und suchten nach Möglichkeiten der
Verbesserung ihrer Lebenssituation. In dem Kosaken Stjenka Rasin fand die
Verbitterung der entrechteten Landarbeiter einen Anführer. Die Gruppe brach
nach Astrachan auf und zog die Wolga entlang; überall forderte Rasin zum Kampfe
gegen Gutsbesitzer und Beamte auf, so dass sich seine Truppen immer weiter
vermehrten. Mord, Raub, Plünderung und Konflikte bezeichneten ihren Weg.
Es war freilich kein
Aufstand, der sich gegen den Zaren richtete. Rasin hätte den Einfluss auf seine
Truppen nicht haben können, wenn er nicht versichert hätte, der Sohn des
Herrschers und der Patriarch befinden sich auf seiner Seite. Aber seine Revolte
war dich ein Angriff auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge des russischen
Staates. Seine Gegenspieler erwiesen sich aber auf Dauer als stärker. Nach
vierjährigem Siegeszug wurde Rasin gefangengenommen und 1671 grausam
hingerichtet. Sein Andenken lebte bei den geknechteten Klassen jedoch weiter
als eines Schützers des Rechtes. Zum ersten Mal war vor dem Zarengeschlecht das
blutige Fanal aufgestanden, ein Fanal der Zerstörung, und doch im letzten entzündet
an der Sehnsucht der treuesten Untertanen nach menschlicher Würde und Freiheit.
Mehr noch als der
Aufstand der rechtlosen Landarbeiter bewegte damals ein Kampf um die
Entscheidung des Glaubens die russischen Bürger. Die Kirche war für die meisten
ihrer Angehörigen vor allem die Bewahrerin heiliger althergebrachter Riten.
Aber die Gebräuche hatten sich in den sechshundert Jahren seit Wladimirs
Bekehrung eindeutig gewandelt. Wenige Geistliche konnten Griechisch, daher
vermochten nur wenige die heiligen Quellen zu verstehen. So wurden die Bücher
der Kirche von Geschlecht zu Geschlecht voneinander abgeschrieben und es
schlichen sich Übersetzungsfehler, Irrtümer und Missverständnisse ein. So
machten jetzt die Russen das Kreuzzeichen mit zwei statt mit drei Fingern, so
sprachen sie von Issus, statt Jissus für Jesus.
Als nun vom Westen
her die Buchdruckerkunst nach Russland kam, traten die Abweichungen nun hervor.
Der herrschende Patriarch Nikon machte es sich zu seiner Lebensaufgabe, dies zu
ändern und das ursprüngliche wiederherzustellen. Der Zar unterstützte ihn bei
seiner Aufgabe und gab ihm volle Gestaltungsfreiheit. Dies geschah auch aus dem
Grund, dass ihm die Befreiung der rechtgläubigen Christen von der türkischen
Herrschaft vorschwebte, ein Gedanke, der später so lange die führenden
Schichten Russlands erfüllte.
Völlige Gleichheit
des Glaubens bot die beste Gewähr für die Gleichheit der politischen
Überzeugungen. So wurde befohlen, dass überall auf die griechischen Quellen
zurückgegangen werden sollte. Aber nicht alle im Lande folgten dieser
Vorschrift. Für viele Bauern waren das Kreuzzeichen mit den zwei Fingern und
der Name Issus heilig aufgrund der Tradition. Sie lebten auch in der
Überzeugung, dass die Russen und nicht die Griechen das „auserwählte Volk“
seien, die immer die Reinheit des Glaubens gelebt hätten. Dieser Chauvinismus
und das Festhalten an alte Konventionen führten dazu, dass viele der Gläubigen
sich den neuen Regeln widersetzen. Als dann staatliche Truppen gegen die eigene
Bevölkerung aufmarschierten, war das Land zerrissen. Die Angst um ihr
Seelenheil trieb viele Bauern in einen (sinnlosen) Krieg gegen das eigene
Militär, der Glaube hatte für sie noch eine enorme Bedeutung, dass sie für ihre
Überzeugungen bereit waren zu sterben. Ein Kloster widersetzte sich acht Jahre
lang der Belagerung der zaristischen Truppen, ihre Bewohner starben dann beim
Sturm auf das Kloster.
Schließlich
erkämpften sich die Altgläubigen die Duldung außerhalb der bestehenden Kirchen.
Aber einmal von der Starrheit und der Kraft der kirchlichen Hierarchie
losgelöst, begannen sie, sich in eine Menge von religiösen Sekten aufzulösen,
die untereinander konkurrierten. Dies war ein ungeheurer Verlust für die
rechtgläubige Kirche, denn in diesen freireliösen Gemeinschaften wuchs immer
mehr das Gefühl, der Staat habe sich durch die Hilfe von Nikon zum Antichristen
gemacht. Nikon und der Staat bildete nun das Hassobjekt dieser Gemeinschaften.
Nikon konnte jedoch
mit dem Vertrauen des Zaren nicht umgehen und nahm sich und seine Reformen im
Laufe der Zeit zu wichtig. Dies führte schließlich zum Bruch des
Vertrauensverhältnises mit Alexej I. Al schließlich Nikon davon ausging, das
Priestertum stehe rechtlich über dem Königtum, wurde Nikon endgültig
entmachtet. Alexej verfochte nicht nur seine eigene Position in der
Auseinandersetzung zwischen Kirche und Königtum, sondern auch eine lange, im
russischen Reich gereifte Überlieferung, als er sich gegen Nikon wandte.
Die Kirche hatte
sich nun nach der Entmachtung Nikons endgültig dem Herrscher unterworfen; die
leidenschaftlichsten Kämpfer des Glaubens waren ausgeschieden und lebten nun in
Sekten abseits des Staatsbetriebes ihren eigenen Glauben. Alexej I. konnte nun
ungehindert die Blickrichtung Richtung Westen vollziehen.
Von hier bis zur
Kirchenreform Peters des Großen war es nur noch ein Schritt. Mit der
gleichzeitig gewaltsamen Durchsetzung der Nikonschen Reformen enthob sich die
Autokratie jedoch auch ihrer eigenen religiös-ideologischen Legitimation. Für
Millionen Altgläubige, die seitdem lang anhaltender Verfolgung ausgesetzt
waren, hatte sich der Zar als „Antichrist“ entlarvt, der den Glauben der Väter
nicht achtete.
Wenn auch den
Nikonschen Reformen nur ein später Hauch des in Westeuropa bewegenden
reformatorischen Geistes anhaftete, so ist diese Entwicklung in die
Anfangsphase der Hinwendung Russlands zum Westen hin mit einzubeziehen. Erst
durch die von Nikon eingeleiteten engeren Beziehungen zur griechischen Kirche
und zur Kiewer Geistlichen Akademie war es ja wieder möglich geworden, über den
eigenen engen geistlichen Horizont hinauszublicken. Daher konnte Zar Alexej I.
seine Kinder bereits dem Geistlichen Simeon von Polock anvertrauen, der nicht
nur an der nach dem Vorbild der Jesuitenhochschulen begründeten orthodoxen Akademie
in Kiew, sondern wahrscheinlich sogar am Jesuitenkollegium in Wilna studiert
hatte und der das Lateinische fließend beherrschte. Simeon nahm auch den Kampf
um die Einrichtung einer ähnlichen geistlichen Fortbildungsstätte in Moskau
auf, doch dieses ehrgeizige Projekt konnte infolge zähen Widerstandes der
Kirche erst 1687 verwirklicht werden. Auch dann dauerte es noch einige Jahre,
bis der Unterricht in erwünschter Weise, darunter auch in griechischer und
lateinischer Sprache, erteilt werden konnte.
Über den Handel
hinausgehende Kontakte mit dem Westen, wie sie sich auf diplomatischem Gebiet
seit dem ausgehenden 15. und allgemeiner im 16. Jahrhundert zu entfalten
begannen, beschränkten sich im Wesentlichen auf nur sehr wenige Personen und
wurden von der orthodoxen Kirche mit großem Misstrauen beobachtet. Als die
Aufgeschlossenheit des ersten falschen Demetrius gegenüber dem Westen und die
ausländischen Intervention von 1610 eine neue Woge des Fremdenhasses
aufschäumen ließen, wurde jedoch die Doppelbödigkeit der Beziehungen Russlands
zum übrigen Teil Europas noch deutlicher; auf der einen Seite fuhren Regierung
und Kirche fort, das Leben nach außen hin systematisch abzuschirmen, um durch
Schüren der Spionagefurcht die Bevölkerung vor der „Ansteckung“ durch westliche
Ideen zu bewahren.
Auf der anderen
Seite zwang die Notwendigkeit, nicht zu stark hinter die rapide technische und
militärische Entwicklung der übrigen europäischen Großmächte zurückzufallen,
dazu die Hilfe ausländischer Fachleute weit stärker als bisher in Anspruch zu
nehmen. Dies galt neben der Medizin und dem Arzneiwesen, die vor allem durch
die Bedürfnisse des Hofes mit Beschlag belegt wurden, besonders für den Import
technischer Errungenschaften des Westens nach Russland, so etwa moderner
Methoden der Eisenverhüttung. Mit den zur Anleitung benötigten Spezialisten
kamen zugleich auch ausländische Unternehmer und Inverstoren ins Land, die wie
der Holländer Andreas Winius und der Däne Peter Marselis die Erlaubnis
erhielten, auf eigene Rechnung Eisen zu erzeugen und zu verarbeiten.
Während die
russische Regierung derart versuchte, mit ausländischer Privathilfe ihre
Waffenproduktionen zu vervollkommnen und auf diesem Sektor autark zu werden,
bedurfte sie zur Modernisierung der Armee nicht weniger als die Hilfe fremder
Fachleute. Schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschienen stehende
Truppenteile, die nach westlichem Vorbild organisiert, gegliedert, benannt, von
ausländischen Instrukteuren ausgebildet und zum Teil sogar von ausländischen
Offizieren geführt wurden. Am Ende des 17. Jahrhunderts dienten fast 1000
ausländische Offiziere in der russischen Armee.
Die lange
Kriegsphase nach der Mitte des 17. Jahrhunderts beschleunigte die Aufstellung
von derartigen Verbänden neuer Art. 1681 schließlich ging man dazu über, auch
das Adelsaufgebot und das stehende Heer älteren Datums, die Strelitzen, in die
moderne Organisationsform einzugliedern. Die Strelizen lebten in den Städten in
eigenen Stadtteilen und dienten in Friedenszeiten als Polizei und Wachtruppe,
außerdem wurden sie auch als Feuerwehr eingesetzt. Ihre Ausbildung beschränkte
sich auf Grundelemente des Waffendienstes und die Ausübung der genannten
Aufgaben. Dafür waren sie von denjenigen Abgaben und Diensten befreit, die von
der übrigen Stadtbevölkerung gefordert wurden. Im Vergleich zum Adelsaufgebot
waren sie besser bewaffnet und ausgebildet. Das gab ihnen im Krieg einen
höheren Gefechtswert. Aufgrund dessen und wegen ihrer Garde- und Elitefunktion
werden sie oft mit den römischen Prätorianern oder den türkischen Janitscharen
verglichen.
Einerseits wurden
sie zur Niederschlagung von Unruhen eingesetzt, andererseits traten sie seit
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei Volksaufständen selbst mehrfach als
führende und organisierende Kraft gegen die Regierung auf. Dazu führten auch
die vielen Kriege in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die mit einer
raschen Verarmung einherging, denn die Strelizen erhielten keinen Sold, sondern
waren auf ihre eigenen Gewerbe angewiesen, die ihre Frauen in ihrer Abwesenheit
unzureichend weiterführten. Unter Zar Fjodor verschlechterte sich ihre soziale
Lage rasch; ihre Privilegien, unter anderem Abgabefreiheit für ihren Handel und
ihr Gewerbe, wurden eingeschränkt oder ganz aufgehoben. Hinzu kamen Willkür und
Grausamkeit der Kommandeure, die Strelizen für sich arbeiten ließen, Löhne
zurückbehielten und Prügelstrafen verhängten.
Unerlässliche
Voraussetzung dafür die Aufstellung neuer Verbände war jedoch die Aufhebung der
geltenden „Platzordnung“, die ausschließlich auf dem Prinzip der persönlichen
Leistung aufgebaute und von dem Status des Betreffendenin der allgemeinen Adelshierarchie
unabhängige militärische Karriere verhindert hatte. Nachdem die „Platzordnung“
bereits seit 1653 zunehmend durchlöchert worden war, wurde sie 1682 endgültig
getilgt. Damit war den endlosen Rangstreitigkeiten der Adeligen untereinander
ein Riegel vorgeschoben und tüchtigen Emporkömmlingen die Bahn geebnet. Peter
der Große nutzte diese hier ausgewiesenen Möglichkeiten für sich aus.
Zusammen mit der
engeren politischen und wirtschaftlichen Integration in das europäische
Beziehungsgeflecht unterlagen jedoch zunehmend auch Angehörige der führenden
Schichten in Russland dem Einfluss westlichen Gedankenguts und westlicher
Lebensweise. Dies galt naturgemäß zunächst nur für Teile der Moskauer
Hofgesellschaft, da Moskau mit vielen ausländischen Einwohnern, der Nemeckaja
sloboda, Wißbegierigen die besten Kontaktmöglichkeiten bot. Immerhin fanden
gegen Ende der Regierungszeit Alexejs I. selbst am Zarenhof schon Theater- und
Ballettaufführungen statt.
Welche Wandlungen
sich in Weltoffenheit und Bildungsgrad moskauischer Diplomaten zur Zeit Alexejs
vollzogen, konnte die Pariser Presse an drei Gesandten des Zaren goutieren.
Während sich noch K.G. Mechechnin auf dem Parkett am Hofe des Sonnenkönigs gar
nicht zurecht fand und ein Außenseiter blieb, setzte P. I. Potemkin 1668 und
1680 die Hofgesellschaft durch seinen Wissensdurst und seine guten Manieren in
Erstaunen. In der Fürsten J. F. Dolgorukij begegnete man schließlich 1687 einem
Repräsentanten jener höchsten Moskauer Hofkreise, die wie die Leiter des
Außenamtes, A. L. Ordin-Naschkokin und A.S. Matweew oder der unter der carevna
Sofija leitende Staatsmann Fürst V.V. Golicyn, durch westliche Bildung und
Sprachgewandtheit glänzten.
Doch das darf alles
nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch noch die zweite Hälfte des 17.
Jahrhunderts Russland noch keinen allgemeinen Aufbruch in die westeuropäische
Welt der Frühen Neuzeit bescherte. Die vom Staatsapparat und Kirche nach wie
vor praktizierte Abschirmungspolitik nach außen hin begann ja selbst auf
höchster Ebene Löcher zu zeigen. Der Westen selbst war erwünscht, soweit man
ihn für die eigene Entwicklung in den verschiedensten Ebenen brauchte und kein
bisschen mehr. Wenn das 17. Jahrhundert auch zweifellos die Voraussetzungen für
weitere Europäisierungstendenzen in Russland Peters des Großen geschaffen hat,
so darf man daneben ein zweites Moment nicht übersehen.
Indem sich die
allmählich einsetzende Verwestlichung der staatstragenden Elemente mit der
Verhärtung der sozialen Gegensätze, mit religiösen Spannungen und mit der
Bürokratisierung des selbstherrlichen Regimes verband, wurden schon am Vorabend
der Petrinischen Ära die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass im 18.
Jahrhundert zwischen der aufgeklärten Oberschicht und der breiten Masse des
noch ganz in seinen Traditionen lebenden Volkes jene Kluft wachsen konnte, die
den Verlauf der russischen Geschichte lange begleiten sollte.
Als Alexej starb,
wurde sein 16-jähriger Sohn Fjodor III. sein Nachfolger. Fjodor III. war sowohl
religiös wie auch dem Westen sehr zugeneigt. In seiner Regierungszeit wurden
daher viele Reformen begonnen, jedoch konnten die meisten davon aufgrund seiner
kurzen Regentschaft nicht zu Ende gebracht werden. Die wichtigste Reform war
die Abschaffung der Rangplatzordnung beim Militär (Mestnitschestwo). Weitere
Reformen stärkten die Zentralisierung des Staatsapparats und drängten den
Einfluss des Patriarchen zurück, den dieser auf die Staatsgeschäfte ausübte.
Zugleich hatten die Reformen eine Verschlechterung der sozialen Lage der
unteren Volksschichten zur Folge, die zum Moskauer Aufstand von 1682 führte.
Peter der Große
Diese Anstrengungen
wurden unter Peter dem Großen weitergeführt und teilweise radikalisiert, was
ihm von verschiedenen Seiten verübelt wurde. Peter der Große hat aus dem
russischen Reich keinen genuinen „westlichen Staat“ geformt, sondern einen mehr
oder minder effektiven Militärstaat. Er hat die Staatsraison des Moskauer
Russlands erneuert in dem umfassenden Versuch, durch Unterordnung der Geister
und Heranziehung aller Produktivkräfte mit oder gegen ihren Willen eine
europäische Großmacht aufzubauen. Er wollte durch Eroberungskriege „das Fenster
nach Westen öffnen“ und die immer wieder gefährdete Flanke nach Süden sichern.
Die Verwestlichung mit der Übernahme westlicher Verwaltungsformen und
Organisationsmaximen, der Kampf gegen traditionelle Trachten und Sitte ist nur
in dem Sinne als ein Prozess geistiger Bildung zu verstehen, der das Vertrauen
der frühen Aufklärung in die Möglichkeit einer wohlgeordneten, nach den
Gesetzen der Mechanikerrechenbaren
Regierung und Verwaltung den führenden Geistern gemeinsam war. Der alte
Moskauer Gedanke des technisch-wissenschaftlichen Einholens des auf solche
Weise überlegenen Westens fand hier eine willkommene Bestätigung.
Gewiß gehörte Peter
der Große in die Epoche des europäischen Absolutismus, doch auf eine besondere
abgeleitete Weise. Denn dieser war nicht zuletzt auf den Wirtschafts- und
Finanzstaat aufgebaut, einem gesicherten, überschaubaren ökonomischen
Grundgefüge als Grundlage selbstherrlichen Handelns und seines Werkzeuges, des
stehenden Heeres. Das Moskauer Russland hat im Falle bellizistischer Gefahr auf
Aufgebote zurückgegriffen, war zudem aufgrund seiner schwachen Finanzkraft
nicht imstande, den Schutz des riesigen, nur unzureichend erschlossenen
Territoriums überall erfolgreich zu übernehmen, solange nicht an den Grenzen
die Truppen auch stetig versorgt werden konnten. Im Petrinischen Russland
bedingte allein die Kriegsmacht bei noch unzureichenden ökonomischen Mitteln
die Prinzipien des Staatsaufbaus und ging nicht einher mit der Integration des
Reiches in einen übersichtlichen Verwaltungsstaat mit effektiven
Mittelinstanzen ständischen oder bürokratischen Charakters.
Der moderne Staat
setzt ein gewisses Gleichgewicht zwischen Sozialprodukt und öffentlichem
Aufwand voraus, was oft die europäischen Herrscher jener Zeit nicht
wahrgenommen bzw. nicht beachtet haben. Darüber hinaus stellte sich für
Russland mit neuer Wucht während des Nordischen Krieges das Dilemma der
Relation zwischen dem technisch kaum zu bewältigenden ungeheuren Raum und den
vorhandenen Kräften von Organisation und Verwaltung. Den Staatsaufbau weniger
straff auf ein Machtzentrum auszurichten, war bereits von der Überlieferung
nicht einfach, wieviel schwieriger aber, jene Schichten von Staatsdienern zu
prägen, die auch an der Peripherie des Reiches mit weniger strenger Überwachung
ehrenhaft ihre Pflicht taten, nicht nur im Blick auf eine unvermeidbare
Korruption, sondern auch auf ihre Fähigkeiten und Vorbildung.
Der Neubau Russlands
war nicht zuletzt eine Bildungsaufgabe, und zwar nicht nur Bildung einer
kleinen hochadeligen Schicht, sondern Ausbildung in breiterer Form. Für diese
Aufgabe waren noch kaum die einfachsten Voraussetzungen gegeben, nicht zuletzt
deshalb, weil die Kirche in ihrem liturgischen, nicht katechistischen
Selbstverständnis sich kaum um die breitere Volksbildung gekümmert hatte.
Russland hat weder die Reformation noch die Gegenreformation gekannt, d.h.
keine Herausforderung, die Geistliche und Laien zu Reflexion und einsichtiger
Vermittlung von Heilstatsachen und Glaubensforderungen gezwungen hätte. Aus
welchen sozialen Ständen sich die Masse ausgebildeter und verantwortlicher
Staatsdiener rekrutieren sollte, schien dem Herrscher weniger wichtig. Der
adelige Stand war bereits unter Peter zahlreich genug und von unterschiedlichem
Wohlstand, dass auch seine Angehörigen durchaus im Kanzleidienst unterkommen
konnten, es fragte sich nur, wer geeignet und fähig war. Reichten die
Staatseinkünfte hin, um ein genügend dichtes Netz von Administration, nicht
zuletzt zur umfassenden und gerechten Steuereintreibung, über das riesige Land
auszubreiten und die Leute einigermaßen ordentlich zu besolden.
Die Stadtgründung
des heutigen St. Petersburg ist eine der großen Vermächtnisse Peters des
Großen, der sie seiner zukünftigen Hauptstadt angesehen hat. Die
architektonische Leistung der Bauherren und die der Handwerker sowie anderer
unzähliger Menschen sind beachtlich. Es muss aber auch gesehen werden, unter
welchen unmenschlichen Arbeitsbedingungen dies möglich wurde. Zehntausende von
Arbeitern mussten ihr Leben lassen, damit sich der russische Staat gen Westen
orientieren konnte. Der Ruhm Peters des Großen ist also in dieser Hinsicht auch
aufgebaut auf den Blutzoll von zehntausenden einfachen Arbeitern, die für
dieses Projekt Peters sterben mussten.
Die äußeren
Bedingungen für eine Stadtgründung waren denkbar ungeeignet, soweit stimmt die
Überlieferung. Das Delta wurde häufig von Überschwemmungen heimgesucht, ein
Großteil der Gegend war nicht einmal für die Landwirtschaft geeignet. Nur
einige Fischer hielten sich hier in den Sommermonaten auf. Später sollte es
aufgrund der ungünstigen Lage immer wieder zu Überschwemmungen kommen, bei
denen zahlreiche Bewohner ihr Leben ließen.
Dass Peter der Große
trotz der widrigen Gegebenheiten diesen Ort schließlich für seine neue
Hauptstadt auswählte, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass hier vorzüglich
ein Seehafen angelegt werden konnte und zudem der Anschluss an das
binnenrussische Flusssystem gegeben war. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass
das Stadtwappen neben dem Zepter einen See- und einen Binnenanker zeigt. Des
Weiteren war die Nähe zu Westeuropa ausschlaggebend, ging es Peter dem Großen
doch darum, Russland zu modernisieren.
Erst ab dem Jahr
1706 ist, durch die Zwangsrekrutierung zahlreicher Leibeigener für die
Bauarbeiten an der Newa-Mündung, ein wirklicher Plan für die Errichtung einer
neuen Stadt erkennbar. Sobald dieses Ziel vor Augen stand, wurde es mit großem
Nachdruck und mit Rücksichtslosigkeit von Zar Peter in wenigen Jahren
umgesetzt. Während die Stadt in ihren Grundmauern erstand, verbot er die
Errichtung von Steingebäuden in ganz Russland außerhalb Sankt Petersburgs –
jeder verfügbare Steinmetz sollte an der Erbauung der neuen russischen
Hauptstadt arbeiten. Die Flucht von Arbeitern aus der Stadt und vom oft
tödlichen Bauprojekt wurde mit harten Strafen geahndet.
1706 wurden 30.000
Leibeigene im Zarentum Russland zwangsrekrutiert, 1707 waren es 40.000.
Ungefähr die Hälfte von ihnen schaffte es, auf dem Weg nach Nordwesten zu
fliehen. Schon während der Errichtung der Stadt kamen vermutlich Zehntausende
von Zwangsarbeitern und Leibeigenen ums Leben. Sie starben an Sumpffieber,
Skorbut, an der Ruhr oder einfach an Hunger und Entkräftung. Große Teile der
Stadt sind auf Pfählen im Boden errichtet, aufgrund der großen Zahl von Toten
beim Bau sprechen viele Leute davon, dass sie eigentlich auf Skeletten ruht.
Zudem befand Russland sich noch bis 1721 im Krieg gegen Schweden, mehrere
Gefechte fanden in der Nähe der gerade gegründeten Zarenresidenz statt. Erst
nachdem die Schweden 1709 in der Schlacht bei Poltawa geschlagen worden waren,
konnte die Stadt weitgehend als gesichert angesehen werden.
Da der russische
Adel nicht bereit war, in die Stadt zu ziehen, beorderte Peter ihn nach Sankt
Petersburg. Die Familien mussten mit ihrem gesamten Haushalt in die Stadt
ziehen, in Häuser, deren Stil und Größe genau festgeschrieben waren–
selbstverständlich auf eigene Kosten. 1714 standen in Sankt Petersburg etwa
50.000 bewohnte Häuser, die Stadt war die erste in Russland, die eine offizielle
Polizei sowie eine effektiv funktionierende Feuerwehr hatte. Die Innenstadt
wurde abends und nachts künstlich beleuchtet, die Bewohner dazu angehalten,
Bäume zu pflanzen.
Das Bauprogramm des
Zaren konnte nur mit drastischen Maßnahmen durchgeführt werden. Baumaterialien
waren an der Newamündung ein seltenes Gut. So wurde 1710 ein Erlass
herausgegeben, nach dem jeder Einwohner der Stadt jährlich 100 Steine abliefern
oder aber eine hohe Geldstrafe zahlen musste. Jedes Frachtschiff, das die Stadt
anlief, musste einen bestimmten Prozentsatz der Ladung Steine anliefern. Ein
Erlass von 1714 besagte, dass Steinbauten nur noch in Sankt Petersburg gebaut
werden durften (dieser Erlass wurde erst 1741 wieder aufgehoben). Die
drakonischen Erlasse des Zaren zeigten Erfolg: Schon 1712 erklärte Peter der
Große Sankt Petersburg anstelle von Moskau zur Hauptstadt des Russischen
Zarentums. Bis auf ein kleines Zwischenspiel in den Jahren 1728–1732, als der
Hof in Moskau weilte, blieb Petersburg seitdem und bis 1918 Hauptstadt Russlands.
Beim Adel stieß die Maßnahme auf wenig Begeisterung, nur ungern gab man die
bequemen Wohnsitze in Moskau auf.
Peter ließ
Handwerker und Ingenieure aus ganz Europa, insbesondere aus Deutschland und den
Niederlanden, kommen, die die neue Hauptstadt von Anfang an zu einem Zentrum
europäischer Technik und Wissenschaft machen sollten. Zu dieser Zeit wurde die
deutschsprachige St. Petersburgische Zeitung gegründet, die erste und
inzwischen älteste Zeitung der Stadt.
Die Petrinischen
Reformen sind die zusammenfassende Bezeichnung für die Reformen in
verschiedenen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, die von Zar Peter
I. seit seiner Rückkehr von der Großen Gesandtschaft (1698) bis zum plötzlichen
Tode des Kaisers Peter I. (1725) durchgesetzt worden sind.
Sie wurden unter den
Bedingungen des langjährigen und schließlich siegreichen Großen Nordischen
Krieges mit Schweden eingeleitet und durchgesetzt. Vielfach improvisierte man,
einen Generalplan gab es nicht. Die oft sprunghaften petrinischen Reformen
betrafen das Militärwesen, die Verwaltung, die Steuern, die Wirtschaft und die
Kirche. Die Menschen gleich welcher Schicht, wurden zwangsweise in den Dienst
des Staates gestellt. Im Gegensatz zu früheren Zaren glaubte Peter I., dass
eine wirksame Modernisierung des Landes sich nicht auf das Militärische
beschränken dürfe, sondern das Ganze des zeitgenössischen Lebens umfassen
müsse.
Die petrinischen
Reformen brachen mit den altrussischen Traditionen (Gründung weltlicher
Schulen, Zurückdrängung der Macht der Kirche) und trugen zur Modernisierung des
Russischen Reiches bei, die letztlich zur Großmachtstellung Russlands im 18.
Jahrhundert führte.
Sein
Vater, Aleksej Michajlowitsch (1629-1676), war Zar von Russland. Nach dem Tod
des Zaren im Februar 1676 stieg zunächst sein Halbbruder als Fjodor III.
(1661-1682) auf den Zarenthron. Nach dem Tod Fjodors im Mai 1682 wurde der
10-jährige Pjotr zum Zaren proklamiert. In der Folge brach ein Aufstand der
Strelitzen aus, durch den die vorübergehende Mitregierung von Pjotrs Halbbruder
Iwan V. (1666-1696) und seiner Halbschwester Sofja durchgesetzt wurde. Seine
Kindheit und Jugend verbrachte Pjotr mit Exerzierübungen und ersten Tätigkeiten
im Schiffbau, bei denen er sich von in Moskau ansässigen ausländischen Fachleuten
beraten ließ. Mit Erreichen der Volljährigkeit übernahm Pjotr 1689 als Peter I.
die alleinige Regentschaft.
An der Wende zum 18.
Jahrhundert öffnete Zar Peter der Große das teilweise in mittelalterlichen
Strukturen erstarrte Zarentum Russland westeuropäischen Einflüssen und förderte
Wissenschaft und Kultur. Russland lag technologisch zu dem Zeitpunkt hinter den
meisten Staaten Westeuropas zurück. Dazu beigetragen hatte die
Abschirmungspolitik des Staatsapparates und der Kirche, die nur da Lücken bot,
wo man den Westen benötigte. Auch griff der Moskauer Staat im Falle
kriegerischer Gefahr noch auf Adelsaufgebote zurück und war zudem wegen seiner
schwachen Finanzkraft nicht in der Lage, den Schutz des riesigen, nur
unzureichend erschlossenen Territoriums überall erfolgreich zu übernehmen.
Der junge Herrscher
hatte sich durch Aufenthalte in der Moskauer Ausländer-Vorstadt, der Nemezkaja
sloboda, und seine Aufenthalte während seiner ersten großen Auslandsreise von
März 1697 bis August 1698, der sogenannten Großen Gesandtschaft, in den
Niederlanden und England ein genaues Bild von Westeuropa, seinem Wissen und
seiner Technik gemacht.
Eine umfassende
Reformierungspolitik setzte eine tragende und fähige Bürokratie voraus, die die
Maßnahmen weitergeben konnte. Die vorhandenen Administrationsorgane waren für
diese Zwecke aber unzulänglich. Waren die am Anfang durchgeführten Reformen in
diesem Bereich noch überhastet, wurden diese nach der Schlacht von Poltawa
sorgfältiger ausgearbeitet. Auch wurden vielfach ausländische Fachkräfte und
Gelehrte herangezogen, die Entwürfe und Reglements ausarbeiteten.
·Der erste
Abschnitt begann mit der Stadtreform von 1699 – um den Machtmissbrauch der
Voevoden zu begrenzen, ließ Peter I. am 30. Januar 1699 in einem Ukas Rathäuser
für die Städte errichten. Von den Kaufleuten bestimmte Bürgermeister sollten
sämtliche Steuer- und Rechtsfragen der Handelstreibenden an sich ziehen, um den
Kaufleuten Rechtssicherheit zu gewähren, dem Staat aber ungeschmälerten
Steuerfluss zu sichern.
·der zweite
Abschnitt folgte mit der Gouvernementsreform von 1708/09 – mit einem Ukas wurde
das Staatsterritorium in acht Gouvernements aufgeteilt, deren Steueraufkommen
den jeweiligen Befehlshabern zur Truppenversorgung diente. Durch diese
eingeleitete Dezentralisierung wurde gewährleistet, dass in einem Kriegsfall,
in dem sich ja Russland befand, zumindest Teile des Landes verteidigungsfähig
blieben.
·Die letzte
Phase erfolgte mit dem neuerlichen Umbau des Gouvernements 1719 – der Befehl
zur Neuordnung der Provinzen erging am 29. Mai 1719: zunächst wurde der
Gouverneur vieler Rechte entzogen, so leitete der Voevode unter Umgehung des
Gouverneurs die Steuern direkt nach Petersburg weiter. Die nunmehr 11
Gouverneure behielten im Wesentlichen ihre militärischen Kompetenzen. Zweitens
wurde die Zahl der von Voevoden geleiteten Provinzen auf 50 erhöht. Schließlich
richtete Petersburg in der lokalen Verwaltung eine Vielzahl neuer Ämter ein, um
die Gewaltenteilung zu verankern.
Ab 1711 stand der
Senat als oberste Zentralbehörde im Mittelpunkt der Reformbemühungen. Der Senat
war eine Gruppe der höchsten Würdenträger des Landes, die beratende Funktion
hatten und in der Lage sein sollten, die Regierung bei Abwesenheit Peters zu
führen. Mit dem Ukas vom 22. Februar 1711 wurden neun Männer zu Senatoren,
wobei mit der Leibkanzlei als Teil der alten Bojarenduma auch personelle
Kontinuitäten zutage traten. Der Senat hatte das Justizwesen zu leiten und das
gesamte Feld der Innenpolitik. Die zuvor bestandene Bojarenduma wurde daraufhin
abgesetzt. Der Senat wurde nach Möglichkeit mit Personen besetzt, die aufgrund
ihrer Kompetenz ausgewählt wurden. Das Militär- und Außenministerium hatte
dabei eine Schlüsselstellung, sie waren immer in engem Kontakt mit dem Zaren.
Der Senat bestand mit nur wenigen Änderungen bis 1917.
Die Reform der
zentralen Ämter war lange vorbereitet und im Ausland beobachtet, Gottfried
Wilhelm Leibniz gab beispielsweise nützliche Tipps. Andere Länder wie
beispielsweise Schweden dienten teilweise als Vorbilder. Aufgrund dessen wurden
– als modernste Neuerung – sogenannte Kollegien eingeführt, die in etwa die
Funktion von Ministerien hatten. Peter führte von diesen Kollegien 10 ein, die
folgende Ressorts hatten: Berg (Bergbau), Manufaktur (Manufakturen), Kommerz (Handel),
Staatskontor (Staatsfinanzen), Kammer (Finanzen des Zaren), unterstand dem
Senat, Krieg (Militär), Admiralität (Marine), Außen, Justiz,
Kirchenangelegenheiten (erst 1721 dazugekommen, stand neben dem Senat).
Die Kollegien wurden
vom hohen Adel gebildet. Viele Probleme der Verwaltung entstanden mit den
Kollegien aufgrund von Ressortüberschneidungen und Konkurrenzdenken. Doch
dieses Verwaltungssystem blieb prinzipiell bis 1917 erhalten. Große
Veränderungen gab es vor allem in den Bereichen Kultur, Kirche, Wissenschaft
und Bildung.
Die neue Hauptstadt
galt im russischen Volk als Symbol des fremden, unverständlichen, unnützen und
abgöttischen Neuen. Die ablehnende Haltung wurde hervorgerufen durch die großen
Opfer, die der Bau der Stadt forderte, und durch die Anwendung von
Zwangsmitteln bei der Peuplierung der Stadt.So wurde bald nach dem
Tod PetersI. die Hauptstadt für kurze Zeit wieder nach Moskau verlegt.
Für eine
erfolgreiche und nachhaltige Reorganisation des Verwaltungsapparates bedurfte
es aber eines bedeutenden Signals, um mit den festgefahrenen Moskauer
Traditionen zu brechen. Dieses Signal bot sich an, nachdem russische Truppen am
1. Mai 1703 bis zur Newa-Mündung vorgestoßen waren. Der Zar ließ nun nach
eigenem Plan ab dem 16. Mai die Peter-und-Paul-Festung errichten mit dem Ziel,
ein dauerhaftes „Fenster zum Norden“ zu etablieren und damit die Öffnung für
die Modernisierung deutlich zu machen. Im November traf das erste holländische
Handelsschiff ein, zugleich entstand die erste russische Waren- und
Wechselbörse.
In den folgenden
Jahren wurde der Ausbau der neuen geplanten Hauptstadt, Sankt Petersburg
exzessiv vorangetrieben, ungeachtet aller Opfer. Dafür beorderte Zar Peter seit
1704 für die Sommermonate 24.000 Arbeitskräfte in die Sümpfe des neu eroberten
Mündungsdeltas der Newa. Seit 1708 stieg die Zahl auf bis zu 40.000. Es kam zu
Unruhen, vor allem in Südrussland. 1712 wurde die Regierung von Moskau nach St.
Petersburg verlegt. Um die neue zentrale Rolle der Stadt als Fenster nach
Norden zu fördern, erzwang Zar PeterI. seit 1720 die Umleitung fast
des gesamten russischen Außenhandels vom bis dato bedeutendsten russischen
Außenhandelshafen Archangelsk nach St. Petersburg.
Um St. Petersburg zu
stärken, mussten viele russische Adelige dort, in einer Stadt ohne Hinterland
und mit ungesundem Sumpfklima, diese aufbauen. Denn wer in Peters Reich
vorankommen wollte, musste sich seiner Meinung nach der notwendigen
Modernisierung anpassen. Unter Peter stiegen viele Leute aus dem Landadel oder
bescheideneren Verhältnissen auf, so etwa Heinrich Ostermann, Alexander
Menschikow, Peter Schafirow. Doch auch die alten Bojarenfamilien, die
Scheremetjews, Dolgorukis, Apraxins und Peter Tolstoi nahmen westeuropäische
Titel wie Fürst oder Graf an. Andere Leute, die einen unerwartet schnellen
Aufstieg erlebten, waren Zarin Katharina I., die eine litauische Magd gewesen
war, Menschikow, der Pastetenbäcker gewesen sein soll, Lefort, ein Bürgerlicher
aus Genf. Ostermann, einer von Peters besten Diplomaten, war ein Gastwirtssohn
aus Westfalen und Peter Schafirow ein konvertierter Jude. Es gibt viele
Beispiele dafür, dass Peter fähige Leute nach Verdienst beförderte. Er machte
einmal einen Leibeigenen, der anonym einen guten Verbesserungsvorschlag gemacht
hatte, zum Leiter der Kanzlei. Doch Peter konnte natürlich nicht den Adel
ignorieren und er konnte ebenso wenig alle Schlüsselstellungen in
Administration und Armee nur mit Emporkömmlingen und Ausländern besetzen. Peter
wollte, dass der Adel die ihm gebührenden Stellen in Verwaltung und Armee
besetzte und aktiv seinen Staat mitgestaltete, das allerdings natürlich in
Peters Sinne der Modernisierung. Die Bojaren sollten natürlich die nötigen
Qualifikationen besitzen. Sie mussten Arithmetik, Sprachen, Geometrie und
Ballistik erlernen, ihre Söhne ins Ausland schicken und vieles mehr. Wer sich
bewährte und die Politik des Zaren mitmachte, konnte sehr hoch steigen. So war
auch der konservative Adelige gezwungen mitzumachen, wollten er nicht
gesellschaftlich und politisch ins Abseits geraten und von Ausländern
überspielt werden. In Russland besaß der Adel noch einen großen Einfluss im
ländlichen Raum.
Während der
Regierungszeit des Zaren Peter I. 1689 bis 1725 wurden durch Patrick Gordon,
François Le Fort und Andere die Grundlagen einer modernen Armee nach
westeuropäischem Vorbild geschaffen. Als Initialzündung für die grundlegende
Reformierung erwies sich die Katastrophe infolge der Schlacht bei Narva im
Großen Nordischen Krieg im Jahr 1700, bei der sich die russische Armee als deutlich
unterlegen gegenüber einer viel kleineren schwedischen Streitmacht erwies. Zu
der Zeit verfügte der Zar über ein Heer von 100.000 Mann, das durch die
Auflösung der Strelitzen-Regimenter 1698 und die Verstoßung der Strelitzen aus
dem Heer um 30.000 Mann geschwächt wurde.
Da die schwedische
Hauptarmee auf dem polnischen Kriegsschauplatz gebunden war, nutzte Zar Peter
I. die Situation und baute Schritt für Schritt die Armee wieder auf. Durch
Rekrutierungen konnte die Armee wieder gestärkt werden und umfasste 1705
bereits wieder 200.000 Soldaten, nach 34.000 im Jahr 1700.Peter I.
ernannte ausländische Experten, die die Truppen – ausgestattet mit modernen
Waffen – in den Methoden der westeuropäischen Kriegsführung schulen sollten. Um
die bei Narva verloren gegangene Artillerie schnell wieder aufzubauen, ließ
Peter I. Kirchenglocken konfiszieren, um aus ihnen Kanonen herzustellen. So
verfügte im Frühjahr 1701 die russische Armee wieder über 243 Kanonen, 13
Haubitzen und 12 Mörser. Danach wurden weitere Anstrengungen unter der Leitung
geschickter holländischer Geschützgießer unternommen, um die Artillerie weiter
zu modernisieren. In Lüttich, Europas ältester und wichtigster Waffenfabrik,
wurden 15.000 neue Musketen gekauft.
Weitere Punkte der
Heeresreform von 1705 und davor waren:
·Die alte
Moskowiter Reiterei wurde durch Dragonerverbände ersetzt, die keine reinen
Adelsverbände mehr darstellten.
·Weitere
Anstrengungen wurden für den Aufbau von militärischen Ausbildungsstätten
unternommen. Ferner wurden die ehemaligen Spielregimenter Peter des
Großen, das Preobraschenski- und das Semjonowski-Regiment als privilegierte
Eliteeinheiten der Zaristischen Garde errichtet.
·Der Adel,
der bisher im Rahmen des Adelsaufgebotes dienstverpflichtet war und als
Gefolgsleute Dienstlehen erhalten hatten, wurde von nun an als regelmäßig
besoldete Offiziere in die Armee eingebunden. Das Unteroffizierskorps und die
Mannschaften wurden durch Bauern und Bürger der Städte gestellt. Die Dienstzeit
betrug 15–20 Jahre.
·Als
Spezialisten wurden ausländische Fachleute in die Organisation des russischen
Heeres integriert, wobei die Schlüsselpositionen von Russen besetzt blieben.
Die Zaristische
Armee konnte zwischen 1701 und 1706 von 40 auf 78 Regimenter vergrößert, und
bis 1709 von Grund auf erneuert und reorganisiert werden, so dass sie in der
Lage war, mit den disziplinierten schwedischen Truppen mitzuhalten und in der
Schlacht bei Poltawa einen entscheidenden Sieg zu erringen, und die Wende des
Krieges herbeizuführen.
Die Schlacht bei
Poltawa am 27. Juni war die entscheidende Schlacht des Russlandfeldzugs von
Karl XII. im Großen Nordischen Krieg zwischen Russland unter Peter I. und
Schweden unter Karl XII. Die Schlacht stellte den Wendepunkt des Krieges zugunsten
der antischwedischen Koalition dar. In der Schlacht kämpften 37.000 Soldaten
der russischen Armee mit 28 Artilleriegeschützen. Ihnen gegenüber standen
26.000 schwedische Soldaten mit vier einsatzfähigen Geschützen.
Frühe schwedische
Siege bei Kopenhagen und in der Schlacht bei Narva 1700 warfen Russland und
Dänemark zeitweilig aus dem Krieg. Allerdings war König Karl XII. nicht fähig,
den Krieg zu Ende zu bringen. So benötigte der schwedische König weitere sechs
Jahre, um den verbliebenen Gegner August von Sachsen-Polen zum Frieden zu
zwingen. In der Zwischenzeit baute Zar Peter I. seine Armee wieder auf. Die
neue russische Armee verfügte jetzt über gut ausgebildete Infanterie, wie sie
für die Anwendung der Lineartaktik notwendig war, und zeitgemäße Feuerwaffen.
Seit Ende Februar
1709 stand die schwedische Hauptarmee zwischen dem Psjol und der Worskla, den
nördlichen Nebenflüssen des Dnepr, mit dem Hauptquartier in Budischtschi
nördlich der Festung Poltawa. Den Vorschlag der Berater Karls, sich aufgrund der
vielen Ausfälle und des Munitionsmangels nach Polen zurückzuziehen, wollte der
König nicht annehmen. Im Frühjahr begann Karl XII. stattdessen die Offensive
wieder aufzunehmen. Seine erste Aktion war die Belagerung der Stadt Poltawa
Anfang April 1709, die er mit 8000 Mann durchführte. Der strategische Sinn der
königlichen Kampftaktik bestand darin, dass von hier aus der Vormarsch über die
Worskla ostwärts in Richtung Charkiw-Belgorod-Kursk auf Moskau erfolgen sollte.
Poltawa liegt am
Fluss Worskla etwa 300 Kilometer ostsüdöstlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew
und etwa 100 Kilometer südlich der russischen Grenze. Durch den Winter war das
Schießpulver unbrauchbar geworden und es fehlte auch an brauchbarer Munition
für die Kanonen. Folglich konnten die Schweden die Festung nicht bombardieren,
wodurch sich die Belagerung hinzog. Die Garnison der Festung hatte eine Stärke
von 4200 Soldaten unter dem Befehl des Obersten Alexei Stepanowitsch Kelin.
Diese wurden durch ukrainische Kosaken und die bewaffnete Bevölkerung
(insgesamt 2600 Mann) unterstützt. Es gelang ihnen während der folgenden 87
Belagerungstage die schwedischen Angriffe abzuwehren. Peter hatte so genug Zeit
zum Entsatz der Festung eigene überlegene militärische Kräfte zusammenzuziehen.
Peter befand sich in
der Zeit vor der Schlacht in einer akuten Notlage: Er musste seine Kräfte und
seine Aufmerksamkeit zwischen der schwedischen Bedrohung im Westen und der des
Aufstandes im ganzen Süden und Südwesten teilen. Sein Erscheinen auf dem
Hauptkriegsschauplatz verzögerte sich durch eine erneute Erkrankung, die sich
von Ende April bis Anfang Juni 1709 hinzog. Schließlich kamen die russischen
Streitkräfte mit insgesamt 42.500 Mann in 58 Infanteriebataillone und 17
Kavallerieregimenter und 102 Geschützen. Ende Mai auf der gegenüberliegenden
Seite des Flusses Worskla an. Das russische Kommando fasste auf dem folgenden
Kriegsrat am 16./27. Juni den Beschluss, die Schlacht mit den Schweden zu
führen. Am gleichen Tag überquerte die russische Vorhut den Fluss nördlich der
Stadt Poltawa, in der Nähe des Dorfes Petrowka, und sicherte damit den Übergang
der Hauptgruppe ihrer Armee, der am 20. Juni/1. Juli erfolgte. Zar Peter der
Große lagerte in der Nähe des Dorfes Semjonowka.
Während der rechte
Flügel der Schwedischen Armee von der russischen Artillerie zurückgedrängt
wurde, überwältigte die russische Kavallerie die linke, von der schwedischen
Hauptarmee getrennten Flanke der Schweden unter Roos. Mit über 1000 Toten und
wenig Munition war General Roos dazu gezwungen, sich in den Süden
zurückzuziehen. Seine Truppen suchten Zuflucht im Wald nördlich von Poltawa, wo
sie von der Kavallerie Menschikows zerschlagen wurden. Nachdem die schwedischen
Truppen unter Schlippenbach und Roos kapituliert hatten, drang die Kavallerie Menschikows
in Rücken und Flanke der schwedischen Hauptarmee vor. Die schwedische
Kavallerie versuchte vergebens, für die Infanterie Zeit zu gewinnen. Die
Schweden waren der russischen Übermacht nicht gewachsen und begannen den
Rückzug, der sich in eine regelrechte Flucht verwandelte. Unter dem
unaufhaltsamen Andrang der russischen Infanterie und Kavallerie gerieten die
Schweden in Panik und ergriffen in chaotischem Durcheinander die Flucht.
Noch am Abend der
Schlacht veranstaltete Peter ein Bankett. Zu Ehren der gefangenen schwedischen
Generäle seinen Pokal erhebend, dankte er Ihnen als seinen Lehrmeistern auf dem
Gebiet der Kriegsführung. Die Träger, die Karl XII. auf einer Bahre
herumtrugen, fielen im russischen Feuer, die Bahre zerbrach und der König entkam
erst im letzten Augenblick mit heftig blutender Wunde, von Masepa begleitet,
vom Kampfplatz.
Über die russischen
Verluste in der Schlacht bei Poltawa gibt es kaum Unklarheiten. Sie beliefen
sich auf insgesamt 1345 Tote und 3290 Verwundete. Hingegen gibt es zu den
schwedischen Verlusten unterschiedliche Angaben. Robert Massie gibt genau
Angaben: 6901 Tote und Verwundete (darunter 300 Offiziere), sowie 2760
Gefangene (darunter 260 Offiziere). Unter den Gefangenen befanden sich auch
Fürst Max von Württemberg, der Oberkommandierende Feldmarschall Carl Gustaf
Rehnskiöld, der Premierminister Graf Carl Piper.Andere Autoren
halten ihre Angaben allgemeiner und geben die schwedischen Verluste in der
Schlacht mit ungefähr 10.000 Mann an.
Nach der Schlacht
sammelten sich die zurückflutenden Schweden im Lager bei Puschkariwka.
Insgesamt bestand die Armee mit den Truppen, die noch vor Poltawa und an den
verschiedenen Flussübergängen lagen, noch aus etwa 15.000 Mann (zum größten
Teil Kavallerie) und 6.000 Kosaken Als einzige Rückzugslinie stand der Weg nach
Süden zur Verfügung, der ins Gebiet der Krimtataren führte. Unter deren Schutz
hoffte Karl XII. seine Truppen reorganisieren und auffrischen zu können, bevor
sie durch osmanisches Gebiet nach Polen zurückgeführt würden.
Man beschloss daher
im schwedischen Hauptquartier, dass Karl XII., die Verwundeten sowie eine
Eskorte aus Schweden und Kosaken den Dnepr überqueren und durch die Steppe zum
Südlichen Bug auf osmanisches Gebiet ziehen sollte. Das Heer hingegen sollte die
Worskla wieder hinauf marschieren und nach Überwindung des Flusses an einer
Furt nach Süden zur Krim einschwenken. Von dort sollte es in Otschakow am
Schwarzen Meer wieder zum König stoßen. Um 8 Uhr traf jedoch eine russische
Kolonne von 6.000 Dragonern und 3.000 Kalmücken unter General Menschikow ein.
Angesichts der
überall zutage tretenden Demoralisierungs- und Auflösungserscheinungen sowie
des aktuellen Mangels an Lebensmitteln und Kriegsmaterial hielt Lewenhaupt
einen erneuten Waffengang für aussichtslos und leitete sofort Verhandlungen
ein, in deren Verlauf Menschikow ihm normale Kapitulationsbedingungen stellte.
Nur die Kosaken würden nicht als Kriegsgefangene, sondern als Verräter
behandelt werden. Lewenhaupt beriet sich mit den verbliebenen Generalen und
Obristen und man einigte sich schließlich, zu kapitulieren, obwohl man den
gegenüberstehenden russischen Truppen zahlenmäßig fast doppelt überlegen war.
Am Morgen des 30.Juni um 11 Uhr kapitulierte das schwedische Heer mit
rund 14.000 Soldaten, 34 Geschützen und 264 Fahnen. Die verbliebenen Kosaken
flüchteten größtenteils auf ihren Pferden, um der Bestrafung als Verräter zu
entgehen. Die Kolonne König Karls XII. erreichte wenige Tage später am 17. Juli
den Südlichen Bug, wo sie jedoch zwei Tage lang aufgehalten wurde, bis der
Pascha von Otschakow seine Erlaubnis erteilte, das Osmanische Reich zu
betreten. Eine Nachhut von 600 Mann schaffte das Übersetzen über den Bug nicht
mehr und wurde von 6.000 russischen Reitern unter General Wolkonski eingeholt und
niedergemacht.
Die schwedische
Hauptarmee wurde völlig vernichtet, und Karl XII. war für die nächsten sechs
Jahre im Exil im Osmanischen Reich außer Gefecht gesetzt. Durch die Niederlage
Karls verlor dieser in wenigen Stunden das Ansehen, das er sich mit seinen
Siegen bis dahin in Europa erworben hatte. Die Siegesmeldungen erreichten durch
spezielle Kuriere alle gekrönten Häupter in Europa. Für die europäische
Öffentlichkeit war die Meldung vom Schlachtfeld bei Poltawa eine Nachricht, die
anfangs ungläubiges Staunen hervorrief. Macht und Ansehen in Europa gingen
fortan von Karl auf Peter über. Russland erschien nun als Großmacht der Zukunft
und trat als ernsthafter Gegner aller europäischen Mächte hervor.
Die Niederlage
bedeutete für Schweden den völligen Zusammenbruch des strategischen Konzepts
Karls XII., die Gegner Schwedens nacheinander durch Anwendung überlegener
Kriegskunst auszuschalten. Dies bedeutete einen Wendepunkt des Krieges. Dennoch
blieb Schweden am Tage nach der Schlacht noch immer die dominierende Großmacht
in Nordeuropa mit einer Vorherrschaft im Ostseeraum. Peter nutzte den erlangten
Vorteil und befahl gleich nach der Schlacht die schwedischen Ostseeprovinzen zu
erobern. Es folgte zugleich die Wiederherstellung der Tripelallianz zwischen
Russland, Dänemark und Sachsen-Polen. Von nun an hatten Russland und seine
Verbündeten Dänemark-Norwegen und Sachsen die strategische Initiative und
begannen weiter beziehungsweise wieder, später gemeinsam mit ihren neuen
Verbündeten Preußen sowie Braunschweig-Lüneburg, in schwedisches Territorium
einzudringen.
Der Größe des Sieges
entsprachen die Feiern, die der Zar in ganz Russland veranstalten ließ. Ein
einprägsames Schauspiel lieferte der Triumphzug, der am 21. Dezember 1709 in
Moskau veranstaltet wurde. Unter dem Donner der Geschütze von den Mauern und
Wällen der Stadt herab und dem Geläut der Kirchenglocken setzte sich die
Marschkolonne in Bewegung, begleitet von Trompetenschmettern und Paukenschlag,
voran marschierten russische Garderegimenter mit den erbeuteten Trophäen,
Fahnen und Standarten, dann folgten die gefangenen schwedischen Offiziere in
aufsteigendem Rang bis zum Feldmarschall und dem Premierminister, alle zu Fuß.
Der Abend schloss mit einem großen Feuerwerk.
Der 200. Jahrestag
des Sieges wurde besonders aufwendig begangen. Zar Nikolaus II. erschien an den
Gedächtnisorten, um die Toten zu ehren und zahlreiche Gedenkstätten
einzuweihen, darunter die Weiße Rotunde, ein Aussichtsplateau an der Stelle, wo
sich die alte Festung befunden hatte. Im selben Jahr wurde ein Museum zur
Geschichte der Schlacht gestiftet, davor steht heute Zar Peter in voller
Lebensgröße. Und auch der 250. Jahrestag, der in die Tauwetter-Periode unter
Chruschtschow fiel, wurde mit Salutschüssen und einem Feuerwerk begangen.
Monographien, Festveranstaltungen, Sammelbände und Aufsätze komplettierten die
Erinnerung an die 250-Jahr-Feier 1959.
Die Anfänge des
Alexander-Newski-Klosters in St. Petersburg sollen laut einer alten russischen
Sage mit dem Sieg Peters über die Schweden zusammenhängen. Ob dies tatsächlich
so zutrifft, kann nicht genau beantwortet werden. Peter der Große soll daher
nach seinem wichtigen Sieg über die Schweden bei Poltawa bewusst diese
symbolträchtige Stelle ausgesucht haben und ordnete am 20. Februar 1712 den Bau
eines Klosters an. Am 25. März 1713 wurde eine Holzkirche eingeweiht. Geplant
und ausgebaut wurde der Komplex in den Jahren 1715 bis 1722 unter Domenico
Trezzini. Die Überführung der Gebeine Alexander Newskis ordnete Peter der Große
in einem Ukas am 29. Mai 1723 an. Am 30. August 1724, genau drei Jahre nach dem
Frieden von Nystad, wurden die Beine des Nationalheiligen in Anwesenheit Peters
im Kloster beigesetzt.
Am 10. September
1721 trat Schweden im Friedensvertrag von Nystad die Gebiete Ingermanland,
Livland, Estland, die Inseln Ösel und Dagö sowie Südkarelien an Russland ab.
Dafür erhielt es Finnland zurück, das Peter I. 1714 erobert hatte. Zudem
leistete Russland Schweden Reparationen in Höhe von 2 Millionen Reichstalern.
Im Zuge der
Friedensverhandlungen am Ende des Krieges bot Königin Ulrika Eleonora am 7.
Januar 1720 auch August dem Starken einen Waffenstillstand an. Obwohl August
II. mit einer Revision des Altranstädter Friedens die Anerkennung seiner
polnischen Königswürde zu verknüpfen hoffte, kam es jedoch zu keinem Abschluss.
An den den Großen Nordischen Krieg beendenden Friedensschlüssen war
Sachsen-Polen, obwohl aktive Kriegspartei, damit nicht beteiligt. Eine
beiderseitige Bekräftigung des faktischen Friedenszustandes zwischen Sachsen
und Schweden fand erst im April 1729 statt. Der polnische Sejm hatte zuvor 1726
zu Grodno beschlossen, in Friedensgespräche mit Schweden einzutreten und
frühere Friedensabkommen, in erster Linie den Vertrag von Oliva, zu bestätigen.
Nach einer ersten Absichtsbekundung 1729 begannen erneut Verhandlungen, in
deren Verlauf Schweden im Februar 1730 und Polen im September 1732 Entwürfe
vorlegten, die in einer beidseitigen Friedensdeklaration mündeten.
Der Große Nordische
Krieg hatte eine grundlegende Verschiebung im europäischen Mächteverhältnis zur
Folge. Schweden verlor seine Besitzungen im Baltikum und in Deutschland (bis
auf Wismar und Vorpommern nördlich der Peene).Dadurch verlor Schweden seine Stellung als nordische Großmacht, auch
wenn manche in Schweden dies noch nicht wahrhaben wollten – so wurde 1741 ein
Krieg gegen Russland vom Zaun gebrochen, der in einem weiteren Desaster endete.
An die Stelle
Schwedens als nordische Großmacht trat fortan das Russische Kaiserreich, das
nicht nur zur neuen Vormacht an der Ostsee aufstieg, sondern auch eine
entscheidende Rolle bei der Neuordnung Europas spielte. Der Nordische Krieg
hatte dem russischen Volk jedoch das Äußerste an Leistung abverlangt.
Zeitweilig wurden 82 Prozent der Staatseinnahmen für den Krieg ausgegeben.
Allein zwischen 1705 und 1713 gab es zehn Musterungen, die rund 337.000 Männer
zu den Waffen riefen. Die Dienstbedingungen waren dabei so schlecht, dass
während des Großen Nordischen Krieges 54.000 russische Soldaten an Krankheiten
starben und nur etwa 45.000 tödlich verwundet wurden. Peters neue Hauptstadt
Sankt Petersburg entstand an der Ostsee, geschützt durch breite Küstengebiete –
eine Entwicklung, welche die um ihren Ostseehandel besorgte Seemacht
Großbritannien unwillig mit ansehen musste. Mitten im Krieg schuf Peter der
Große so die Grundlagen der russischen Großmachtstellung; um den neuen Anspruch
zu unterstreichen, ließ er das Russische Zarentum in Russisches
Kaiserreich umbenennen und seinen Titel offiziell von Zar in Kaiser
ändern. Russland war nach der jahrhundertelangen Entfremdung, bedingt durch die
Tatarenherrschaft, wieder ein festes Glied des europäischen Staaten- und
Bündnissystems.
Mit Russlands Aufstieg
war gleichzeitig der Abstieg Polens verbunden, das in die Anarchie abglitt und
in die Einflusssphäre des Zarenreichs geriet, ab 1768 de facto zu einem
russischen Protektorat herabsank und bis 1795 von seinen Nachbarn vollständig
aufgeteilt wurde. Der Nordische Krieg hinterließ das zu Litauen zählende Gebiet
Weißrusslands vollkommen verwüstet. Das russische Heer verließ das Land erst
1719. Landwirtschaft, Handwerk und Handel lagen am Boden. Infolge der Pest
starben Tausende Einwohner, so dass die Bevölkerungszahl Weißrusslands nahezu
um ein Drittel reduziert wurde.
Der Niedergang
Schwedens und Sachsen-Polen-Litauens wiederum befreite Brandenburg-Preußen von
zwei starken potentiellen Gegnern in der Region und fiel mit seinem Aufstieg
zur Großmacht zusammen, auch wenn auf englische Intervention hin Schweden den
nördlichen Teil Schwedisch-Pommerns behalten konnte und im Schlepptau von
England fortan ein Gegengewicht gegen Brandenburg bilden sollte. Nachdem sie im
Verlauf des Großen Nordischen Kriegs aus der zweiten in die erste Reihe der
europäischen Staaten aufgerückt waren, komplettierten Russland und Preußen in
den folgenden Jahrhunderten neben Frankreich, Österreich und Großbritannien die
Pentarchie der europäischen Großmächte.
Neben den teilweise
drastischen Kriegsauswirkungen auf einzelne Staaten wurde der gesamte
Ostseeraum während des Großen Nordischen Krieges im Zeitraum von 1708 bis 1712
von einer Pestepidemie gewaltigen Ausmaßes heimgesucht. Ausgehend von dem
Seuchenzug in Polen erreichte die Pest innerhalb weniger Jahre eine tödliche
Dynamik, die bis in den hohen Norden nach Stockholm ausgriff. Wesentlicher
Katalysator der Pest war der Große Nordische Krieg, der eine bedeutende Anzahl
Menschen innerhalb kurzer Zeit weite Teile Nord- und Osteuropa durchschreiten
ließ und so ganz entscheidend zur Ausbreitung der Pest beitrug.
Die schwedische
Militärmaschine wurde unter Karl XI. nach den enttäuschenden Ergebnissen aus
dem Nordischen Krieg von 1674 bis 1679 einer umfassenden Reformierung
unterworfen. Schweden verfügte über 50 Festungen und 40 Redouten an seinen
Außengrenzen. Da die Ostsee weitestgehend ein schwedisches Gewässer war,
sollten an den Grenzen des Reiches Festungen gegnerische Angriffe aufhalten
solange, bis die schwedische Flotte (Seeherrschaft vorausgesetzt) ein
Entsatzheer vom Mutterland über das Meer transportierte. Diese Strategie kam
insbesondere am Anfang gegen Seeland, vor Narwa und vor Riga sehr erfolgreich
zum Einsatz.
Eben um diese
Seeherrschaft in der Ostsee wurde erbittert gekämpft. Bis 1720 wurde Russland
zur stärksten Seemacht in der Ostsee. Neben Gefechten zwischen Kriegsschiffen
mit großem Tiefgang gab es auch Kämpfe zwischen Galeerenflotten. Diese waren
besonders praktisch in flachen und inselreichen Gewässern wie sie in der Ostsee
häufig vorkommen, z.B. im Finnischen Meerbusen. Auch Kämpfe auf Seen, in
Lagunen und auf Flüssen hatten ihre Bedeutung. So bekämpften sich zum Beispiel
auf dem Ladogasee und dem Peipussee zu Anfang des Krieges schwedische und
russische Flottillen.
Der russische
Kriegsführungsansatz setzte auf die Verfügbarkeit der größeren Ressourcen.
Insbesondere in den Schlachten bis 1709 beruhten die russischen Siege vor allem
auf der zahlenmäßigen Überlegenheit, da die nach 1700 durchgeführten
Militärreformen erst langfristig ihre volle Wirkung erzielten. Zum Beispiel
konnte zu Anfang des Krieges die sich erst entwickelnde russische Metallurgie
bis 1712 den Bedarf der Armee an Musketen nicht decken, sodass 1707 der Anteil
der Pikeniere gegenüber den Musketieren sogar erhöht wurde. Die Bemühungen
Peters, eine Armee westlichen Stils wiederaufzubauen bezogen sich vor allem auf
die militärische Organisation und Verwaltung.
Er erschuf einen Generalstab, führte als
Antwort auf die ungestümte Angriffsweise der Schweden den Infanterieangriff mit
aufgesetztem Bajonett als Schocktaktik ein. Insgesamt wuchs die russische Armee
zu einer kampfstarken Organisation heran, die der schwedischen oder anderen
Armeen in nichts nachstand. Die russische Militärmacht betrug 1700 nach der
Schlacht bei Narwa 34.000 Mann, 1705 betrug die Gesamtstärke 200.000 Mann.
Da Peter der Große
in seinen 36 Regierungsjahren nur in 2 Jahren keinen Krieg führte, gab es eine
Vielzahl von Aushebungen. Allein zwischen 1705 und 1713 während des Großen
Nordischen Krieges gab es 10 Musterungen, die rund 337.000 Männer zu den Waffen
riefen. Die Dienstbedingungen waren allerdings so schlecht, dass während des
Großen Nordischen Krieges etwa 45.000 russische Soldaten tödlich verletzt
wurden, aber 54.000 an Krankheiten starben.
Eine weitere Reform
Peters, die auch für die Erhöhung der Effizienz der Armee sehr wichtig war, war
die Reform der Rangtabelle 1721. Ursprünglich durfte nach der alten Rangtabelle
niemand in der Armee unter jemandem dienen, dessen Rang niedriger war als der
Rang des eigenen Vaters. Dies führte dazu, dass geeignete Militärs keine
Führungsaufgaben in Verbänden übernehmen konnten, sofern in diesen Verbänden
Söhne ranghöherer Adeliger dienten. Dadurch wurde die Schlagkraft der
russischen Armee massiv geschwächt. Dieses System wurde von Sofia Alexejewna
zwar außer Kraft gesetzt, aber erst durch die neue Rangordnung 1721 ersetzt.
Vor allem in den Garderegimentern, die aus den Spielregimentern Zar Peters
entstanden waren, wurde der Adel verpflichtet. Die Dienstpflicht wurde streng
gehandhabt. Jeder männliche erwachsene Adelige musste im Regiment aktiv werden.
Die Dienstzeit des Adels betrug ungefähr 25 Jahre.
Peter leitete die
Organisation der neuen russischen Armee und der neu gegründeten russischen Flotte
ein. Er wollte Russland modernisieren und auf den technischen Stand Westeuropas
bringen. Dazu war ein reger technologischer, kultureller und wirtschaftlicher
Austausch erforderlich, und er war entschlossen, dafür die Kommunikation mit
Europa über den Seehandel zu intensivieren. Der Zar selbst befasste sich
intensiv mit dem Schiffbau und erlernte das Handwerk während seiner Großen
Gesandtschaft im Rahmen einer viermonatigen Ausbildung in einer holländischen
Schiffswerft. Russland war zum Ende des 17. Jahrhunderts fast völlig von den
Weltmeeren abgeschnitten und besaß nur einen internationalen Seehafen in
Archangelsk.
Bereits im Januar
1696 hatte Peter eine Delegation junger russischer Adeliger in den Westen
geschickt, um dort die Techniken der modernen Wirtschaft, Kriegsführung und
Staatslenkung zu studieren. Peter I. war insbesondere an der handwerklichen und
technischen Seite der europäischen Bildung interessiert. Peter der Große
versuchte daher, diese Reise noch nutzbarer zu machen, indem er jedem seiner
Reisebegleiter eine besondere Mission zuteilte, welche hauptsächlich darin
bestand, sich mit diesem oder jenem Zweig der Industrie bekannt zu machen und
die geschicktesten Industriellen jener Zeit zur Übersiedlung nach Russland zu
bewegen. Der Blick des Zaren richtete sich somit auf die reichen Staaten
Westeuropas, um deren staatliche Strukturen und Gesellschaft kennenzulernen und
später einzuholen. Außerdem ging es ihm darum, militärische oder diplomatische
Bündnispartner gegen das Osmanische Reich zu finden.
Am 6. Dezember 1696
gab der Zar seine Pläne der Bojarenduma bekannt. Die Bojaren reagierten mit
Bestürzung auf die Pläne des Zaren, was ihn jedoch nicht von seinen Reiseplänen
abhielt. Am 10. März 1697 brach das Gefolge von Moskau über Nowgorod nach Riga
ins schwedische Livland auf. Der Zar reiste inkognito als Unteroffizier des
Preobrachensker Regiments im Gefolge mit. 14 Tage später kam die Gruppe in Riga
an, das seit 1629 zu Schweden gehörte.
Am 10. April 1697
erreichte der Zar die Stadt Mitau, wo er sich zwei Wochen aufhielt. Friedrich
Kasimir Kettler, Herzog von Kurland, bot dem russischen Staatsoberhaupt eine
besonders freundliche Aufnahme, so dass die Identität des Monarchen der breiten
Öffentlichkeit nicht länger verborgen blieb.
Nach den Aufenthalten
in Livland und am kurländischen Hof schiffte Peter sich im April 1697 in Libau
ein und begab sich über Pillau ins preußische Königsberg, wohin auch die
Gesandtschaft unter der Leitung von Lefort, aber auf dem Landweg über die
Memel, reiste. Der Aufenthalt in Königsberg dauerte vom Mai bis Juli 1697. In
Königsberg besuchte Peter I. beim Fachingenieur Steitner von Sternfeld einen
Artilleriekurs. Am Ende dieses Kurses erhielt Peter von seinem Lehrer ein
Diplom auf Pergament, das bescheinigte, dass „Pjotr Michailow“ in überraschend
kurzer Zeit tiefe Kenntnisse im Bereich der Artillerie erworben hatte und dass
er als ein kluger, zuverlässiger und mutiger Meister dieser Branche betrachtet
werden konnte. Im August folgte ein Aufenthalt in Berlin. Als erster Erfolg der
Gesandtschaft sind die Verhandlungen in Preußen zu nennen, die unter anderem
die zukünftige antischwedische Nördliche Allianz zwischen Sachsen-Polen,
Dänemark und Russland 1699 vorbereiteten. Peter wartete bis zur polnischen
Königswahl, die für die Position der Adelsrepublik innerhalb der Heiligen Liga
besonders wichtig war, und reiste danach nach Amsterdam, wo er von August 1697
bis Januar 1698 auf den Werften der „Ostindischen Kompanie“ in Zaandam
arbeitete. Peter I. erhielt als Pjotr Michalow ein Zertifikat, das bestätigte,
dass er für vier Monate und fünf Tage als Schiffszimmermann unter Aufsicht des
Meisters Pool gearbeitet hatte, dass er sorgfältig alle Zweige des Handwerks
erlernt hatte und dass er sich anständig benommen hatte. Anschließend folgte
ein Aufenthalt in Nimwegen. Die holländischen verwendeten große Mühe darauf,
den Aufenthalt der Gesandtschaft so angenehm und prunkvoll wie möglich zu
gestalten. Am 21. September 1697 kam es zu einem inoffiziellen Treffen zwischen
Peter I. und dem Statthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien. Es
schlossen sich weitere Gespräche und Geschäfte an.
Im Januar 1698 fuhr
Peter I. mit einem kleinen Gefolge (25 Personen) über den Ärmelkanal nach
England. Im April 1698 wurde eine Verbindung zwischen England und Russland
beschlossen. Da ein Abkommen mit den Generalstaaten nicht erreicht werden
konnte, konzentrierte sich die Gesandtschaft auf den Erwerb von dringend
benötigten Waffen und die Anwerbung von Fachleuten. So konnten in den ersten
Monaten des Jahres eine große Anzahl von Fachleuten für die Schwarzmeerflotte
verpflichtet werden, nachdem in Livland, Kurland und Preußen nur vereinzelt
Experten geworben werden konnten. Die Zahl soll bei etwa 1100 gelegen haben.
Die Gesandtschaft organisierte damit gewissermaßen einen Technologieschub und
Wissenstransfer von Westeuropa nach Russland. Schließlich waren rund 640 der
etwa 1100 Personen Holländer. Im Mai 1698 erfolgte die unverbindliche Abreise
des Zaren aus London und der Gesandtschaft aus den Niederlanden, da ein Frieden
zwischen dem Habsburgischen Kaiser und der Hohen Pforte drohte und damit der
wichtigste Verbündete im Kampf gegen die Osmanen und die Krimtartaren
wegzubrechen drohte. Innerhalb weniger Wochen reiste die Gesandtschaft über
Hamm, Bielefeld, Halle an der Saale, Leipzig und Dresden nach Wien
Der Besuch bei
Kaiser Leopold I. in Wien war der politische Höhepunkt. Natürlich hatte er,
obwohl er starrsinnig daran festhielt, nirgends sein Inkognito aufrechterhalten
können, denn die in Moskau akkreditierten ausländischen Diplomaten hatten ihre
Regierungen über die Abreise der Großen Gesandtschaft nach Westeuropa und die
Teilnahme Peters I. unterrichtet. Die Gesandtschaft langte Anfang Juni 1698 in
Wien an und zog nach längeren Zwangsaufenthalten in der Vorstadt offiziell am
26. Juni in Wien ein. Der Aufenthalt Peters I. stellte sich als
außenpolitisches Fiasko dar. Ende Juli wurde die Gesandtschaft zwar zur
offiziellen Audienz vorgelassen, dennoch konnte die kompromisslose Haltung des
Kaisers gegenüber einer Fortführung des Krieges gegenüber der Hohen Pforte
nicht geändert werden. Noch während die Gesandtschaft ihre Weiterreise nach
Venedig und Rom plante, änderte Peter die Pläne und entschloss sich zur
unverzüglichen Rückkehr nach Moskau. Grund war der Ausbruch des zweiten
Strelizenaufstandes, der sich gegen die Ausländer in Moskau richtete. In Polen
traf Peter am 10. August den polnischen König August II., bei dem er sich drei
Tage aufhielt und dabei erste Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen gegen
Schweden im Baltikum führte. Die Rückreise von Polen nach Moskau, wo der Zar
völlig unvermutet eintraf und den Aufstand der Strelizen blutig niederschlug,
dauerte weitere drei Wochen.
Das Zarenreich galt
zu dem Zeitpunkt daher als klassische Landmacht und besaß keine
Seefahrertradition. Dafür verfügte Russland in überreichem Maße über alle
Materialien und Rohstoffe, die für den Schiffbau erforderlich waren. Der
Schiffbau im eigenen Land war sehr viel billiger als in den Niederlanden und
England, was auch die Vorgänger Peters wussten. So hatte Zar Alexei I. 1662 im
Ausland sondieren lassen, in welchem Maße es dort möglich wäre, Schiffe zu
kaufen und Seehandelsplätze für russische Kaufleute in Pacht zu nehmen. Es
wurden holländische Werftarbeiter angeworben, die in russische Dienste traten
und für den Seedienst auf dem Kaspischen Meer ein großes Schiff, die Orjol, zu
bauen, die 1669 in Astrachan von Stapel gelassen wurde.
Russlands
Konkurrenten Schweden und das Osmanische Reich versuchten, Russland vom Zugang
zu den Meeren fernzuhalten. Die Notwendigkeit des Baus einer eigenen
Kriegsflotte ergab sich für den jungen Zaren Peter schon nach seinem ersten
militärischen Misserfolg im Kampf um Asow im Jahr 1695, als deutlich wurde,
dass die Osmanen mit ihrer kampfstarken Flotte allein mit den Mitteln des
Landkrieges nicht zu schlagen waren. Vor der Festungsstadt Asow mündete der Don
in das Asowsche Meer. Damit sollte der Zugang zum Schwarzen Meer gewährleistet
und das Tor zum Mittelmeer aufgestoßen werden. Federführend beim Aufbau der
neuen Marine war François Le Fort. Für die Durchführung der zweiten
Asow-Kampagne von 1696 ließ Peter als erste Flotte in der Geschichte Russlands
die Asow-Flotte bauen, die aus zwei Schlachtschiffen, vier Brandern, 23 Galeeren
und 1300 als Strug bezeichnete Kanonenruderboote mit Hilfssegeln
bestand, die auf den Werften in und um Woronesch gebaut worden waren. Diese
nahmen als Unterstützung der Armee im zweiten der Asowfeldzüge erfolgreich an
der Belagerung und Eroberung von Asow teil. Der langfristige Plan sah vor,
weitere Festungen am Schwarzen Meer zu erobern, weshalb der Zar seiner
Bojarenduma eine Aufstellung von Umlageregelungen zur Beschaffung der zum
Flottenbau benötigten Mittel vorlegte, die daraufhin am 20. Oktober 1696 einen
Beschluss zum Aufbau einer Marine fasste. Dieses Datum gilt als offizieller
Geburtstag der regulären russischen Marine.Russland hatte zwar mit der zweiten Asowkampagne einen Zugang zum
Schwarzen Meer erkämpft, besaß aber immer noch keinen Zugang zu den Weltmeeren,
da der unter osmanischer Kontrolle stehende Bosporus den Zugang verhinderte und
eine Weiterführung des Krieges gegen die Türken durch die Ereignisse im Norden
nicht möglich war. Im Nordwesten führte der Finnische Meerbusen in die Ostsee,
dieser war aber seit 1617 mit dem Frieden von Stolbowo Hoheitsgebiet des
Schwedischen Reiches.
1700 brach der Große
Nordische Krieg aus. Um einen Zugang zur Ostsee zu erhalten, musste zunächst
das Newaumland erobert und militärisch gesichert werden. In diesen Kämpfen
wurden auch Flussboote auf dem Ladogasee, Onegasee und Peipussee gebaut und
eingesetzt. Es folgten die Belagerung von Nyenschanz und die Belagerung von
Nöteborg. Zur Sicherung der neu eroberten Gebiete wurde die
Peter-und-Paul-Festung angelegt. Jetzt hatte Peter sein Fenster zum Westen und
einen Marinestützpunkt an der Ostsee. Der Bau der geruderten Flotte erfolgte in
den Jahren 1702–1704 auf Werften im Delta der Flüsse Sjas, Luga und Olonka
statt. Daraus entwickelte sich nach und nach die Baltische Flotte. Um die
eroberte Küstenlinie verteidigen und die feindlichen Seeverbindungen in der
Ostsee angreifen zu können, schufen die Russen eine Flotte aus russischen und
importierten Segelschiffen. Beim Bau der Flotte kamen Tausende russische Bauern
zum Einsatz, die von hunderten Schiffsbauern und Offizieren angeleitet wurden,
welche Peter aus Westeuropa zum Dienst anwarb.
Westliche
Mathematiker, Schiffsbauer und Wissenschaftler schufen die Grundlage für die
Seefahrtausbildung und Schiffsbautechnik in Russland. Zunächst war der
Wladimirskij Prikas für den Schiffbau zuständig, später der Admiraltejskij
Prikas. Die Marineoffiziere kamen aus dem Adel und die gemeinen Seeleute aus
den Reihen der Rekruten der Armee. Der Dienst in der Flotte war lebenslang. Im
Jahre 1701 wurde die „Schule für mathematische und navigatorische
Wissenschaften“ eingerichtet, an der ausländische Lehrer wirkten (z.B. Prof.
Farwharson aus Aberdeen); an ihr stellten allerdings Kinder adliger Familien
eine Minderheit dar. Die Schüler wurden häufig ins Ausland geschickt, um den
Dienst in fremden Flotten zu lernen.
Nachdem man sich in
St. Petersburg etabliert hatte und die Angriffe der Schweden abgewehrt hatte,
wurde der Erwerb eines Hafens weiter südlich zum neues strategischen Ziel für die
russische Marine, da der Hafen von St. Petersburg oft vereist und nicht nutzbar
war. Dennoch blieb St. Petersburg der Hauptstützpunkt, und im Vorfeld der neuen
Hauptstadt wurde die Seefestung Kronstadt erbaut. In St. Petersburg wurde auch
die erste Marineakademie des Landes gegründet. Weitere Stützpunkte wurden in
Wyborg, Helsinki, Reval und Åbo geschaffen. Erster Oberkommandierender der
Baltischen Flotte wurde Cornelius Cruys. 1718 wurde die oberste Marinebehörde
Russlands geschaffen: das Admiralitätskollegium.
Die junge russische
Marine bestand in der Seeschlacht von Hanko im Juli 1714 eine wichtige
Bewährungsprobe gegen die schwedische Marine. Bis zu dem Zeitpunkt hatte
Schweden die Herrschaft in der Ostsee, danach konnte die russische Marine bis
Dänemark vorstoßen.
1722 hatte die
Kaiserliche Russische Marine 130 Segelschiffe, darunter 36 Linienschiffe, 9
Fregatten, 3 Schnauen, 5 Bombardierschiffe und 77 Hilfsschiffe. Die geruderte
Flotte bestand aus 396 Schiffen, darunter 253 Galeeren und Halbgaleeren
(modifizierte dreimastige Brigantine) und 143 Brigantinen. Die Schiffe wurden
in 24 Werften auf Stapel gelegt, darunter die in Woronesch, Kasan, Perejaslaw,
Archangelsk, Olonez, Sankt Petersburg und Astrachan.
Die
organisatorischen Prinzipien der Kaiserlichen Russischen Marine sowie die
Erziehungs- und Übungsmethoden zur Vorbereitung des zukünftigen Kaders und die
Methoden zur Durchführung militärischer Aktionen wurden in Anlehnung an
Dienstvorschriften und seerechtliche Bestimmungen führender Seemächte im
„Seereglement“ zusammengefasst. Peter der Große, Fjodor Apraxin, Akim Senjawin,
Naum Senjawin, Michail Golizyn und andere werden allgemein als besonders
wichtig für die Entwicklung russischer Kriegführung zur See betrachtet. Die
Hauptprinzipien der Seekriegführung wurden ferner von Grigori Spiridow, Fjodor
Uschakow und Dmitri Senjawin entwickelt. Bedingt durch die schlechten
Bedingungen in der Armee, nahm zu der Zeit die Desertion große Ausmaße an. Eine
von der russischen Administration unternommene Zählung ergab 198.876 Deserteure
in der Zeit von 1719 bis 1727.
Peter baute eine
merkantilistische Wirtschaft auf. Dazu zählt besonders seine starke Förderung
der Manufakturen. Beim Amtsantritt Peters existierten in Russland nur zehn
Manufakturen.
Merkantilismus ist
ein nachträglich geprägter Begriff für ein stark durch staatliche Eingriffe
geprägtes Wirtschaftsmodell zur Zeit des Absolutismus. Im Zentrum stand die
Förderung der Wirtschaft im Lande und des Exports bei gleichzeitiger Eindämmung
von Einfuhren. Durch das Merkmal der „uneingeschränkten staatlichen
Regulierung“ unterscheidet sich dieses Modell von den modernen Vorstellungen
des Freien Marktes. Der Merkantilismus war in Europa die vorherrschende
wirtschaftliche Lehrmeinung der Frühmoderne (vom 16. bis zum 18. Jahrhundert),
er war ein Spektrum verschiedener wirtschaftspolitischer Konzepte, welche
sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber
auch finanzwirtschaftliche Ansätze verband.
Mit dem Bedürfnis
der absolutistisch regierten Staaten nach wachsenden, sicheren Einnahmen zur
Bezahlung der stehenden Heere und des wachsenden Beamtenapparats und nach
repräsentativen Bauten und Mäzenatentum der Fürsten entwickelte sich in den
verschiedenen europäischen Staaten eine vom Interventionismus und Dirigismus
geprägte wirtschaftspolitische Praxis, der eine geschlossene
wirtschaftstheoretische und -politische Konzeption noch fehlte. Gemeinsam ist
dieser Praxis das Streben nach Überschüssen im Außenhandel zur wirtschaftlichen
Entwicklung des eigenen Staats. Die Kapitalmenge, die durch die staatlichen
Goldreserven repräsentiert wird, werde am besten durch eine aktive
Handelsbilanz mit hohen Exporten und niedrigen Importen erhöht. Regierungen
unterstützten demnach diese Ziele, indem sie Exporte aktiv förderten und
Importe durch Anwendung von Zöllen hemmten.
In der
Binnenwirtschaft führte dies zu signifikanten staatlichen Eingriffen und zur
Kontrolle über den Außenhandel und das Wirtschaftssystem, während gleichzeitig
wichtige Strukturen des modernen kapitalistischen Systems entstanden. Der
Merkantilismus belastete die damaligen zwischenstaatlichen Beziehungen durch
zahlreiche europäische Kriege, der Imperialismus entstand. Gegen Ende des 18.
Jahrhunderts wurde der Merkantilismus durch die klassische Nationalökonomie des
schottischen Ökonomen Adam Smith verdrängt. Heute wird der Merkantilismus (als
Ganzes) von der Mehrzahl aller Ökonomen abgelehnt, obwohl einige Elemente
weiterhin Beachtung finden.
Fast alle
europäischen Ökonomen, die zwischen 1500 und 1750 publizierten, werden heute im
Allgemeinen als Merkantilisten betrachtet, obwohl diese sich selbst nicht als
Anhänger einer gemeinsamen Ideologie begriffen. Der Begriff „merkantiles
System“ wurde vom Marquis de Mirabeau 1763 geprägt und von Adam Smith 1776 allgemein
verbreitet. Das Wort stammt vom lateinischen mercari (Handel treiben) mercator
bzw. merx (Ware) bzw. italienisch/französisch mercantile
(kaufmännisch) ab. Ursprünglich nur von Kritikern wie Mirabeau und Smith
verwendet, wurde der Begriff bald auch von Historikern übernommen.
Der Merkantilismus
als Ganzes kann nicht als eine einheitliche, geschlossene Wirtschaftstheorie
betrachtet werden. Es gab keinen merkantilistischen Autor, der ein umfassendes
Modell für ein ideales Wirtschaftssystem vorlegte, wie Smith dies später für
die klassische Nationalökonomie tat. Stattdessen betrachtete jeder
merkantilistische Autor einen anderen Teilaspekt der Wirtschaft. Einzelne
problembezogene Ideen und unterschiedliche Ansätze in den europäischen Staaten
stehen häufig unverbunden nebeneinander.
Der Merkantilismus
betrachtet Außenhandel als Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt,
was der andere verliert. Deshalb ist es per definitionem unmöglich, den
gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu maximieren. Merkantilistische Schriften wurden
eher dazu erstellt, politische Vorgehensweisen zu rechtfertigen, als zu
untersuchen, welche Politik am nützlichsten sei.
Ausgehend von der
Überlegung, dass eine permanent aktive Zahlungsbilanz eine Steigerung des
Edelmetallschatzes einer Nation bewirken würde, was mit dem Reichtum der Nation
gleichgesetzt wurde, kamen Forderungen nach Förderung einer aktiven Handels-
und Dienstleistungsbilanz auf. Als wirtschaftspolitisches Instrumentarium
bediente man sich in England des Protektionismus: Die Einfuhr von Rohstoffen
wurde durch günstige Zölle erleichtert, die Ausfuhr von Fertigwaren und
Nahrungsmitteln durch hohe Zölle erschwert. Letzteres sollte das inländische
Angebot an Fertigprodukten und Nahrungsmitteln erhöhen und damit die Preise
senken in der Erwartung, dass mit sinkenden Nahrungsmittelkosten auch die Löhne
fallen und letztlich die Produktionskosten gesenkt werden könnten.
Die Einfuhr
günstiger Rohstoffe sollte die inländische Produktion zusätzlich anreizen. Ein
Verbot des Exports von Geld und Edelmetall ins Ausland um 1600 sollte zusammen
mit rigider Devisenbewirtschaftung den Abfluss von Edelmetall ins Ausland
erschweren. Zudem wurde in der Navigationsakte von 1651 festgelegt, dass der
Transport aller Export- und Importgüter durch englische Schiffe zu erfolgen
habe, was die Kontrolle erleichtern und die Dienstleistungsbilanz aktivieren
sollte. Dass diese Wirtschaftspolitik gleichzeitig aber die Konkurrenz der
Produkte (Erfindungen) und Produktionsmethoden (Innovationen) mit dem Ausland herabsetzte,
wurde zu einer entscheidenden Überlegung der Freihändler.
Die
merkantilistischen Maßnahmen zur Förderung der Binnenwirtschaft waren weniger
eindeutig als ihre Außenhandelspolitik. Während Adam Smith die Merkantilisten
so darstellte, als würden sie strikte Kontrollen über das Wirtschaftssystem
befürworten, widersprachen dem viele Merkantilisten. Die Frühmoderne war die
Zeit der Patente und gesetzlich auferlegter Monopole. Aus der Tradition
fürstlicher Regalien, wie z.B. dem Münzregal oder dem Salzregal, also
Einnahmequellen der fürstlichen Schatzkammer, entwickelte sich die Vorstellung,
durch die Verleihung von Monopolen an einen dem Fürsten ergebenen Unternehmer
einen sicheren Markt zu verschaffen und den daraus resultierenden Reichtum gut
kontrollieren und gezielt abschöpfen zu können. Einige Merkantilisten
befürworteten die Monopole, andere erkannten die Korruptionsanfälligkeit und
Ineffizienz solcher Systeme. Viele Merkantilisten erkannten auch, dass die
unausweichliche Folge von Quoten und Preisregulierungen Schwarzmärkte seien.
Ein Punkt, in dem
sich die Merkantilisten einig waren, war die Unterdrückung der Arbeiterklasse.
Arbeiter und Bauern hatten am Existenzminimum zu leben, damit die Güter
kostengünstig hergestellt werden konnten. Ziel war es, die Produktion zu
maximieren; der Verbrauch und Genuss der Arbeiter wurde nicht berücksichtigt.
Nur wenn sie durch harte Arbeit ihr Existenzminimum sichern konnten, war
sichergestellt, dass eine maximale Produktion erreicht werden konnte. Höhere Löhne,
Freizeit oder Bildung für die Unterschichten würden unausweichlich zu Lastern
und Faulheit führen und wirtschaftlichen Schaden anrichten.
Der Merkantilismus
entwickelte sich zu einer Zeit, in der sich die europäische Wirtschaft in einer
Übergangsphase befand. Mit dem Vordringen des Geldes und seinem Austausch von
Gütern, Dienstleistungen und Zahlungsbilanzmitteln über Grenzen hinweg
veränderten sich die Bedürfnisse sowohl der Fürstenhaushalte, als auch der
Kaufleute. Technische Verbesserungen in der Schifffahrt und das Wachstum der
großen Städte führten zu einem schnellen Wachstum des internationalen Handels.
Durch die Einführung der doppelten Buchführung und der modernen Bilanzierung
konnten Zu- und Abflüsse von Geld leicht nachvollzogen werden. Die isolierten,
auf Naturalwirtschaft beruhenden feudalen Grundherrschaften wurden durch
zentralisierte, auf Geldwirtschaft beruhende Nationalstaaten ersetzt. Dies
veränderte auch die Betrachtung der Einnahmen der Fürstenhaushalte: Hatte sich
im Frühmittelalter der Monarch von einer Königspfalz zur anderen begeben, um
die Realabgaben seiner lokalen Untertanen zu verzehren, bzw. für Bauprojekte
ihre reale Arbeitsleistung in Anspruch genommen und sich ansonsten mit den
Einnahmen aus den Regalien begnügen müssen, konnte der Staat im Zeitalter des
Absolutismus in einer Geldwirtschaft auf Steuern zurückgreifen. Mit der
Einführung indirekter Steuern war die Durchsetzung ihrer Erhebung auch nicht
mehr zwangsläufig mit der Ausübung von individueller Gewalt verbunden.
Vor dem
Merkantilismus strebten die mittelalterlichen Scholastiker ein
Wirtschaftssystem an, das zur christlichen Lehre von Gerechtigkeit und
Frömmigkeit passte. Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf Tauschvorgänge
zwischen Individuen, die Mikroökonomie. Der Merkantilismus gehörte zu den
Theorien und Ideen, welche das mittelalterliche Weltbild ersetzten. Die
merkantilistische Idee, dass jeglicher Handel ein Nullsummenspiel sei, in
welchem jede Seite den anderen in skrupellosem Wettbewerb zu betrügen versuchte,
wurde in die Arbeit von Thomas Hobbes integriert. Diese dunkle Seite der
menschlichen Natur passte ebenfalls gut in die puritanische Weltsicht, und
einige der schärfsten merkantilistischen Gesetze, wie die Navigations-Akte,
wurden von der Regierung Oliver Cromwells eingeführt.
Basis des
Merkantilismus war der steigende Geldbedarf des absolutistischen Staates. Es
zeigte sich, dass die Plünderung von Kolonien weniger Rentabel war als die
Entwicklung der Produktivkräfte der Volkswirtschaft des Mutterlandes. Daraus
erwuchs ein Interesse an Volkswirtschaftslehre. In der Praxis des
Merkantilismus drehte sich der Schwerpunkt der Überlegungen weniger um die
Nutzenmaximierung für alle Untertanen, als vielmehr um die Stärkung der
wirtschaftlichen und finanziellen Basis des Staates. Daraus folgern einige
Historiker, dass der Merkantilismus nicht nur zeitgleich mit dem politischen
Absolutismus auftrat, sondern dass Merkantilismus die ökonomische Ausprägung
des Absolutismus war. Dagegen wird argumentiert, dass z.B. der französische und
brandenburgisch-preußische Merkantilismus zwar durchaus von staats- und
planwirtschaftlichen Elementen durchsetzt war, dass das letztendliche Ziel aber
nicht eine Staatswirtschaft war, sondern die Privatisierung international
wettbewerbsfähiger Unternehmen. In diesem Sinn wird der
brandenburgisch-preußische Merkantilismus auch als Vorbereiter des
Privatkapitalismus interpretiert. Die Geldknappheit des absolutistischen
Staates zwang dazu nur Kernbereiche der jeweiligen Volkswirtschaft zu fördern.
In Frankreich war das die Luxusgüterindustrie, in England der Handel, in
Deutschland das Gewerbe und der Agrarsektor. Das war gleichsam eine Vorwegnahme
der Führungssektor-Konzeption.
Der Merkantilismus
war nur Mittel zum Zweck der Stärkung der Finanzkraft eines Landes. Daraus
erklärt sich, dass sich keine geschlossene kohärente Theorie entwickelte,
sondern Theorie und Praxis von Pragmatismus dominiert wurden. Direkte
Nutznießer des Merkantilismus waren neben den Landesfürsten die Unternehmer,
Verleger und Großhändler. Deren Aufstieg ging mit einem Bedeutungsverlust der
Zünfte und Gilden sowie des Landadels einher.
Die Förderung der
Industrie durch Peter stand in engem Zusammenhang mit den Bedürfnissen der
Armee während der langen Kriegsjahre. Aber darüber hinaus entstanden auch viele
Manufakturen und Fabriken, die Gebrauchsgüter herstellten. Einige Fabriken,
unter ihnen die Spiegelfabrik Menschikows, arbeiteten schon für den Export.
1716 wurde das Spinnrad in Russland eingeführt. Noch ein Jahr vor seinem Tod
ordnete PeterI. an, dass alle Findelkinder zu Handwerkern und Fabrikanten
erzogen werden sollten. In seinem letzten Regierungsjahr gab es etwa 100
Fabriken, darunter einige mit mehr als 3000 Beschäftigten –herausragend
die Waffenfabrik von Tula. Am Ende der Regierung registriert die Statistik
einen ausgeglichenen Staatshaushalt von etwa 10 Millionen Rubel.
Das Verhältnis
zwischen Zar und Kirche war seit Peters Thronbesteigung angespannt. Zar Peter
I. spürte hinter den Strelizen die Hände der Kirche. Auch in den Klöstern
vermutete er verschwörerische Kräfte der Mönche. Der Klerus stand geschlossen
(Gläubige und Altgläubige) gegen die Neuerungen Peters. Der Klerus hatte eine
große Macht im Volk, so dass Zar Peter I. die Kirche in seine Reformen integrieren
musste. Der Tod des Patriarchen Adrian (1628–1700) am 16. Oktober 1700 kam ihm
dabei gelegen. Zar Peter I. unterband die Wahl eines neuen Patriarchen und
setzte stattdessen einen Patriarchatsverweser ein, der im Gegensatz zum
Patriarchen nicht die Würde der russisch-orthodoxen Unfehlbarkeit verkörperte.
Erst nach dem Großen Nordischen Krieg begann Zar Peter I. die Reformierung der
russisch-orthodoxen Kirche.
Am 25. Januar 1721
wurde durch das Geistliche Reglement eine Staatsbehörde geschaffen, der Heiligste
Dirigierende Synod (das Geistliche Kollegium), der die Stelle des Patriarchats
einnahm. Die Mitglieder schworen dem Zaren einen Amtseid, so dass diese
Institution vom Zaren abhängig wurde. Zar Peter I. hatte sozusagen ein
Ministerium für kirchliche Angelegenheiten geschaffen und gleichzeitig die
kirchliche Eigenständigkeit abgeschafft. Die kirchliche Gerichtsbarkeit wurde
eingeschränkt, genauso wie der Besitz der Klöster, denen er auch die Zahl der
Mönche beschnitt.
Energisch setzte
sich Peter der Große für die Förderung von Kultur, Bildung, und Wissenschaft in
seinem Reich ein. Bei der Verwirklichung seiner Reformabsichten – die ihn
insbesondere bei seinen kürzeren Auslandsaufenthalten im Heiligen Römischen
Reich 1711 und 1712/3 geprägt hatten, bediente sich der Zar vor allem der
Deutschen Frühaufklärung, die in Russland im 18. Jahrhundert zur
vorherrschenden Denkrichtung werden sollte. Insbesondere die ersten bedeutenden
russischen Wissenschaftler Wassili Nikititsch Tatischtschew, Michail Wassiljewitsch
Lomonossow und Wassili Kirillowitsch Trediakowski waren in höchstem Maße von
deutschen Gelehrten wie Leibniz und Wolff beeinflusst.
Der hohen Bedeutung,
die der Zar der Bildung für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft beimaß,
zeigten seine zahlreichen Erlasse, durch die Schulen der verschiedensten Typen
ins Leben gerufen wurden. Dennoch blieb das weltliche Schulwesen im Argen, weil
es an Geld und Lehrern fehlte. Ein weiteres Projekt, das Zar Peter in Angriff
nahm, war die Etablierung einer Akademie der Wissenschaften, die im Dezember
1725 nach seinem Tod von seiner Nachfolgerin KatharinaI. als Russische
Akademie der Wissenschaften gegründet wurde. In enger Verbindung mit der
Akademiegründung standen die von ihm befohlene Erkundung und Erforschung seines
riesigen Reiches. Die von PeterI. inspirierten Forschungsexpeditionen bis
in den Fernen Osten, wie z. B. die Expeditionen Berings vermittelten der
russischen Wissenschaft wichtige Impulse und förderten die wirtschaftliche und
kulturelle Entwicklung des Reiches.
Eine Veränderung der
alten Ordnung (starina) erfolgte beispielsweise durch eine Kalenderreform,
wobei der byzantinische Kalender abgeschafft wurde. So wurde der 1. September
1699, der in Moskau der Anfang des Jahres 7208 hätte sein sollen, nicht
gefeiert, sondern stattdessen auf weltliche Weise der 1.Januar 1700. Es
kam damit zur Einführung des julianischen Kalenders (er war in protestantischen
Ländern im Vergleich zum gregorianischen Kalender üblicherweise 11 Tage
zurück).
Um die Besteuerung
zu rationalisieren, wurde 1718 die Kopfsteuer eingeführt, wonach allen
männlichen Landbewohnern gleichmäßig die gesamte Steuerlast eines Dorfes
aufgebürdet werden sollte. Eigentlich als Erleichterung für die Bauern gedacht,
hatte sich durch die ständigen Finanzforderungen des Zaren und die häufigen
Rekrutenaushebungen die Lage der Bauern erheblich verschlechtert. In allen
Bevölkerungsschichten gab es erheblichen Widerstand gegen die Reformpolitik,
der sich in verzweifelten Volksaufständen äußerte, die wiederum auf Befehl des
Zaren mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurden. Dass die drückende
Steuerlast, die Schollenbindung und Leibeigenschaft der Bauern Hauptursachen
für die nur langsamen Fortschritte im Russischen Reich waren, wurde von Zar
PeterI. nicht gesehen.
Zar Peter der Große
hatte den Eindruck, dass im Russland seiner Zeit zu sehr an althergebrachten
Traditionen festgehalten werde und das Land auf manchen Sektoren einer
Modernisierung bedürfe. In seiner Meinung bestärkten ihn Eindrücke, die er auf
seiner Reise ins westliche Europa gewonnen hatte. Unter anderem waren wallende
Vollbärte in den von ihm besuchten Ländern eher selten zu sehen und auch die
Kleidung der bereisten Länder erschien ihm funktioneller, als die Gewänder
seiner Untertanen. Er nahm sich daher vor, Verschiedenes in seinem Reich zu
ändern.
Als er vom
Auslandsaufenthalt heimgekommen war, wurde im Schloss von Preobraschenskoje, zu
jener Zeit der Zarensitz vor Moskau, ein Empfang gegeben, zu dem viele
Würdenträger erschienen. Peter der Große erschien die Gelegenheit günstig,
gleich ein Zeichen für neu anbrechende Zeiten zu setzen. Er ließ sich
Barbierzeug geben und schnitt eigenhändig die langen Bärte seiner Besucher ab.
Nur drei Personen entgingen ihrem Bartverlust: Sein früherer Vormund Tichon
Strešnev (1644–1719), der russisch-orthodoxe Patriarch Adrian I. und der schon
sehr alte Fürst Čerkasskij. Einige Tage danach gab der Zar seinem Hofnarren den
Auftrag, die Prozedur des Bartabschneidens bei Hofe fortzusetzen. An der Tafel des
Zaren war nunmehr stets ein des Barbierens kundiger Bediensteter eingesetzt,
der jedem erscheinenden Bartträger noch während der Dauer des Mahls die Haare
stutzte.
Damit nicht genug,
gab Peter am 5. September 1698 einen Ukas heraus, der Männer, ausgenommen
Geistliche und tendenziell Bauern, anhielt, sich ihren Vollbart abzurasieren.
Doch Widerstände von Betroffenen blieben. Daraufhin belegte er Vollbartträger
mit einer Abgabe, die 1701 und 1705 vom Zaren erneut angeordnet wurde. Bauern,
die in eine Stadt kamen, mussten die Abgabe bezahlen, wollten sie ihren Bart
behalten.
1722 wurde im Zuge
der Adelsreform eine Rangtabelle eingeführt. Sie ermöglichte den
unmittelbaren Vergleich ziviler und militärischer Dienstgrade, sollte die
Vormachtstellung des alten Erbadels, der Bojaren, brechen und einen von der
Krone abhängigen Dienstadel schaffen. Nur ein Drittel des Adels durfte sich dem
zivilen Dienst widmen; das Militärische genoss Vorrang.
Um St. Petersburg,
die Stadt an der Ostsee, zu stärken, mussten viele russische Adelige dort, in
einer Stadt ohne Hinterland und mit ungesundem Sumpfklima, diese aufbauen. Denn
wer in Peters Reich vorankommen wollte, musste sich seiner Meinung nach der
notwendigen Modernisierung anpassen. Unter Peter stiegen viele Leute aus dem
Landadel oder bescheideneren Verhältnissen auf, so etwa Andreas Ostermann,
Alexander Menschikow, Peter Schafirow. Doch auch die alten Bojarenfamilien, die
Scheremetjews, Dolgorukis, Apraxins und Peter Tolstoi nahmen westeuropäische
Titel wie Fürst oder Graf an. Andere Leute, die einen unerwartet schnellen
Aufstieg erlebten, waren Zarin Katharina I., die eine litauische Magd gewesen
war, Menschikow, der Pastetenbäcker gewesen sein soll, Lefort, ein Bürgerlicher
aus Genf. Andreas Ostermann, einer von Peters besten Diplomaten, war ein
Gastwirtssohn aus Westfalen und Peter Schafirow ein konvertierter Jude.
Doch Peter konnte
natürlich nicht den Adel ignorieren und er konnte ebenso wenig alle
Schlüsselstellungen in Administration und Armee nur mit Emporkömmlingen und
Ausländern besetzen. Peter wollte, dass der Adel die ihm gebührenden Stellen in
Verwaltung und Armee besetzte und aktiv seinen Staat mitgestaltete, das
allerdings natürlich in Peters Sinne der Modernisierung. Die Bojaren sollten
natürlich die nötigen Qualifikationen besitzen. Sie mussten Arithmetik,
Sprachen, Geometrie und Ballistik erlernen, ihre Söhne ins Ausland schicken und
vieles mehr. Wer sich bewährte und die Politik des Zaren mitmachte, konnte sehr
hoch steigen. So war auch der konservative Adelige gezwungen mitzumachen,
wollten er nicht gesellschaftlich und politisch ins Abseits geraten und von
Ausländern überspielt werden. In Russland besaß der Adel noch einen großen
Einfluss im ländlichen Raum.
1722
führt er für alle Beamten und Würdenträger in Staat und Militär eine
"Rangtabelle" mit 14 Klassen ein. Nicht Abstammung und
Familien-Nimbus allein sollen über die gesellschaftliche Stellung entscheiden,
sondern persönliche Fähigkeiten und Verdienste: Der Dienstadel tritt dem
Erbadel zur Seite. Während der Zar auch noch diese Reform auf den Weg bringt,
brechen seine Soldaten 1722 zum persischen Feldzug auf. Es ist der Versuch, am
Kaspischen Meer Fuß zu fassen. Die Russen besiegen die Perser, Baku wird
russisch.
1724
gründet der Monarch in St. Petersburg die russische Akademie der
Wissenschaften. Gespräche darüber hat er wohl schon 1711 mit dem Göttinger
Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz geführt. Die neue Institution soll
"unter den Russen solche ausfindig machen, die gelehrt sind", was
zunächst ziemlich schwierig ist. Unter den ersten 17 Akademiemitgliedern
befindet sich kein einziger Russe. Im Mai 1724 krönt Peter seine Frau Katharina
zur Kaiserin, ohne sie ausdrücklich als seine Nachfolgerin auszurufen, was sie
dann aber 1725 für zwei Jahre wird.
Für die
Zukunft wichtiger war auch wichtig, dass Peter nach dem Tode des Patriarchen
Adrian 1700 den Sitz vakant ließ. Erst viel später richtete er an seiner Stelle
ein Geistliches Kollegium ein, d.h. eine effektive Verwaltungsbehörde, in die
kein Hierarch allein bestimmen sollte. Vielleicht hat das Wissen um Nikon und
die von ihm beschworen Staatskrise hier mitgewirkt. Dieses Gremium hoher
geistlicher Würdenträger wurde als oberstes Organ neben dem Senat gestellt. Die
Reformurkunde, das Geistliche Reglement 1721 stellt die Bildungsaufgabe der
Kirchen in den Vordergrund, Tatsächlich ist durch diese Reform die orthodoxe
Kirche in der Folge oft kurzsichtigen Interssen des Staates in einer Weise
zugeordnet worden, die die verhängnisvolle Kluft zwischen ihr und einer mündig
werdenden Bildungsschicht für lange Zeit unüberbrückbar erscheinen ließ.
Es ist
nicht ohne weiteres festzustellen, wie viele Neulinge sich in den Adel in der
Petrinischen Zeit hinausgedient haben. Peter hatte dem Senat aufgetragen,
tausend Adelsdiener, die lesen und schreiben konnten, zur Musterung für die
Offiziere auszuwählen. Eine Übersicht gibt es nur über ausländische Anwärter:
Nach der Eingliederung der Ostseeprovinzen sind viele Deutsche in russische
Dienste getreten, daneben Schweden, Schotten und andere. Die neue Bürokratie
hat sich ausgedehnt und eine ganze Reihe von Nichtadeligen zuerst in die
Kanzleikarriere aufgenommen. Auch im Süden des Reiches kam es zur Ansiedlung
von Serben, Rumänen und Griechen, die staatstragende Aufgaben übernahmen.
Peter
der Große war verantwortlich für den Bau der Isaakskathedrale, die noch heute eines der kulturellen Highlights St.
Petersburg und ganz Russland darstellt.
Die Isaakskathedrale
(Kathedrale des Heiligen Isaak von Dalmatien) ist die größte Kirche Sankt
Petersburgs und einer der größten sakralen Kuppelbauten der Welt. Die Kirche
ist 111 Meter lang, 97 Meter breit und 101,50 Meter hoch. Der Durchmesser der
vergoldeten Hauptkuppel beträgt 26 Meter. In der Kirche finden mehr als 10.000
Menschen Platz.
Der Gedenktag des
hl. Isaak von Dalmatien fiel mit dem Geburtstag Peters des Großen zusammen.
Daher wurde bereits im Jahr 1707 kurz nach der Gründung von Sankt Petersburg
mit dem Bau einer ersten Isaakskirche aus Holz begonnen. 1717 wurde die
Holzkirche durch einen Steinbau ersetzt und als Kathedrale geweiht. Die
Architekten waren Johann Georg Mattarnovi und Nikolas Härbel. 1735 wurde die
Kathedrale durch ein Feuer zerstört. 1764 beauftragte Katharina II. den
italienischen Architekten Antonio Rinaldi mit dem Bau einer dritten
Isaakskathedrale. 1790 verließ Rinaldi Russland, ohne sein Werk vollendet zu
haben. Der Bau kam ins Stocken und wurde 1796 eingestellt.
1798 unternahm
Vincenzo Brenna einen Versuch, die Kathedrale fertigzustellen, musste jedoch
aus Kostengründen auf vier von fünf geplanten Kuppeln und auf den Glockenturm
verzichten. 1802 wurde die Kathedrale geweiht. Nach dem Sieg über Napoleon I.
im Vaterländischen Krieg wollte Alexander I. die Isaakskathedrale zu einem
Nationaldenkmal umgestalten. Er schrieb 1816 einen Architektenwettbewerb aus,
den der Franzose Auguste Ricard de Montferrand für sich entscheiden konnte.
1818 begannen die Bauarbeiten. Zunächst wurde der Vorgängerbau teilweise
abgebrochen; nur der Altarraum blieb bestehen. In den nächsten Jahren wurde der
sumpfige Bauplatz fundamentiert. Dazu wurden etwa 11.000 Baumstämme in die Erde
gerammt. Von 1822 bis 1825 wurden die Bauarbeiten auf Drängen der Akademie der
Künste eingestellt, da es zu statischen Problemen gekommen war. Zudem wurde
Montferrands fachliche Kompetenz angezweifelt. Montferrand verstand es jedoch,
seine Gegner mit einem überarbeiteten Entwurf zu überzeugen.
1827 waren die
Arbeiten am Fundament abgeschlossen, 1828 Fertigstellung der Unterkirche.
Zwischen 1828–1830 wurden die 48 Portikus-Säulen (je 17 Meter hoch)
aufgestellt. 1835 kam es aufgrund von weiteren statischen Problemen zu einer
erneuten Planänderung. Die Errichtung der 101 Meter hohen Hauptkuppel zog sich
von 1837 bis 1841 hin. Sie war die erste große Kuppel in Metallbauweise
weltweit.1848–1858 kam es zur Vollendung des Innenraums.
Nach der
Oktoberrevolution wurden in der Isaakskathedrale bis 1928 Gottesdienste
abgehalten. Danach wurde in der Kirche ein antireligiöses Museum eingerichtet,
das 1931 seine Pforten öffnete. Damals wurde ein 91 Meter langes Foucaultsches
Pendel in die Kuppel gehängt. Im Zweiten Weltkrieg diente die Isaakskathedrale
als Depot für Kunstgegenstände aus den um Leningrad liegenden Zarenresidenzen.
1942 wurden die fünf vergoldeten Kuppeln mit einem grünen Tarnanstrich
überzogen. Die Kathedrale hatte dennoch erheblich unter dem deutschen
Artilleriebeschuss zu leiden. Nach dem Krieg begannen aufwändige
Restaurierungsarbeiten. Die Restaurierung war 1960 abgeschlossen. Mit der zunehmenden
Religionsfreiheit in der Sowjetunion konnte erstmals 1990 wieder ein festlicher
Gottesdienst abgehalten werden. Eine erneute Restaurierung erfolgte in den
Jahren 1994 bis 2003. Heute werden an hohen Feiertagen Gottesdienste in der
Isaakskathedrale zelebriert.
Den Außenbau
gliedern insgesamt 112 Granitsäulen, die einzeln bis zu 114 Tonnen wiegen.
Bedeutend sind die vier großen Giebelreliefs, von Iwan Vitali und Francois
Lemaire geschaffen. Das südliche zeigt „Die Anbetung der Könige“ von Iwan
Vitali, das östliche den „Hl. Isaak von Dalmatien, dem Kaiser Valentian sein
nahes Ende vorverkündend“. Das nördliche Giebelrelief zeigt die „Auferstehung
Christi“, das westliche „Die Begegnung des hl. Isaak von Dalmatien mit dem
Kaiser Theodosius“ – wobei Kaiser Theodosius mit den Gesichtszügen Alexanders
I. ausgestattet ist.
Bedeutend sind auch
die drei großen Bronzetüren, die in das Innere der Kathedrale führen. Das
Westportal ist den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet, das Nordportal dem hl.
Isaak von Dalmatien und dem hl. Nikolaus von Myra, das Südportal dem hl.
Wladimir und dem hl. Alexander Newskij.
Im Inneren der
Kirche befinden sich über 200 meist großformatige Gemälde und Mosaiken sowie
zehn große Säulen aus Malachit und zwei aus Lapislazuli. Die Wände sind mit
verschiedensten Marmorarten, Edel- und Schmucksteinen geschmückt. Insgesamt
wurden 43 verschiedene Baustoffe benutzt, was der Kirche den Beinamen „Museum
der russischen Geologie“ einbrachte. Alle beim Bau der Kathedrale verwendeten
Materialien finden sich bei der im Inneren der Kirche stehenden Büste
Montferrands wieder, die geschaffen wurden.
Die Kathedrale wurde
von Karl Brüllow (1799–1852), Fjodor Antonowitsch Bruni, Peter Bassin, Johann
Konrad Dorner, Wassili Schebujew und Nikolaj Alexejew ausgemalt. Die 39 Gemälde
der Attika stellen Szenen aus der Bibel dar, von der Erschaffung der Welt bis
zur Kreuzigung Christi. Die 22 halbrunden Lünettenbilder zeigen Taten
russischer Heiliger. Die Hauptkuppel schmückt das Gemälde „Gottesmutter in
Ruhm“ von Karl Brüllow. Es zeigt die Gottesmutter Maria, umgeben von Heiligen,
Aposteln und Evangelisten.
Die
dramatische Art, wie der Zar Anfang 1725 stirbt, passt zu seinem turbulenten
Herrscherleben: Auf einer Inspektionstour nahe der Newa-Mündung entdeckt Peter
ein Boot, das der Sturm auf eine Sandbank geworfen hat. Einige Soldaten, die
nicht schwimmen können, kämpfen in der rauen See um ihr Überleben, andere
versuchen, den gekenterten Kahn wieder flottzumachen. Peter lässt sich zur
Sandbank rudern, ungeduldig springt er schon vor der Sandbank über den
Bootsrand, um schneller helfen zu können.
Das
eiskalte Wasser bekommt ihm schlecht: In der Nacht quälen ihn Fieber und
Schüttelfrost, sein notorisches Blasen- und Nierenleiden meldet sich heftig
zurück. Scheinbar erholt er sich wieder und erlaubt sich noch auf einem
nachweihnachtlichen Fest exzessiven Alkoholgenuss. In der Nacht zum 8. Februar
ruft er nach seiner Tochter Anna, der späteren Herzogin von Holstein-Gottorf.
Als sie kommt, ist er schon bewusstlos, er stirbt gegen sechs Uhr morgens.
Das
Thronfolgesetz von 1722 stellte im ausdrücklichen Hinweis auf den unbegrenzten
Willen des Selbstherrschers diesem anheim, wen er zu seinem Nachfolger
bestimmen werde. Auf dem Totenbett hat Peter der Große nicht mehr die Kraft
besessen, einen Nachfolger zu benennen. Dies war verhängnisvoll im
autokratischen Russland – die Entscheidung über den Thron ging in die Hände
unkontrollierbarer Wirren über, die Russland noch lange Zeit beschäftigen
sollten.
Die Einschätzung des
Reformwerks Peters I. ist nicht einheitlich, brachte er doch bei seinen
Modernisierungsversuchen die Kräfte der Unterschichten an den Rand der
Erschöpfung. Seine lange Zeit hervorgehobene Pionierrolle bei der
Modernisierung Russlands wurde relativiert: Viele seiner Reformen wurzelten in
den Vorstößen seiner Vorgänger des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Peters I.
Nachfolger setzten die von ihm intensivierte Modernisierung Russlands
grundsätzlich fort, wenn auch viele seiner Reformen zunächst rückgängig gemacht
wurden. Die Kraft der petrinischen Umgestaltungen war aber so groß, dass der
Prozess der Modernisierung in Russland selbst unter den späteren, schwachen
Kaisern unumkehrbar wurde. Vor allem Kaiserin Katharina II., gebürtige deutsche
Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, knüpfte an die
petrinischen Reformen an und setzte zugleich die ambivalenten Tendenzen von
Peters Reformwerk, als aufgeklärte Herrscherin unter Anwendung autokratischer
Machtmethoden, fort.
Viele Neuerungen
Peters verletzten jedoch das konservative Russland, das noch nicht für seine
Reformen empfänglich war. Der Aufstand der Strelizen war nicht der einzige in
Peters Regierungszeit, alle waren sie freilich für seine Macht ungefährlich. So
groß war doch wieder die ererbte Verehrung für den Namen des Zaren, dass sie
sich kreuzte mit dem Abscheu selbst vor dem Antichrist und ihn lähmte, so hart
und zupackend war Zar Peter überall da, wo er Gefahr für seine Macht und seine
Erneuerungspläne witterte. Seine heute noch in Pracht erstrahlende Leistung war
die neue Hauptstadt des Reiches, Petersburg. An der Mündung der Newa in die
Ostsee war die an der äußersten Grenze des russischen Reiches gelegene Stadt
entstanden, um einen verbindenden Weg nach Westen zu schaffen und um die Hoheit
über das Meer zu gewährleisten.
Das ursprüngliche
Gebiet war Sumpf, so dass Tausende von Pfählen eingerammt werden mussten, was
zehntausenden von Arbeitern das Leben kostete. Der Adel und die Behörden
mussten auf Geheiß Peters von Moskau nach Petersburg umsiedeln, was den meisten
gar nicht schmeckte. Entblößt der hohen Reichsämter, stand nun die alte
Hauptstadt Moskau inmitten des russischen Reiches, ein Sinnbild der
Schicksalswende, die der Zar heraufbeschworen hatte. Durch den Sieg bei Poltawa
1709 gegen die Schweden wurde Russland zur europäischen Großmacht. Für die
Ukrainer selbst war es eine schlimme Neuigkeit. Peter hatte schon vorher die
Selbständigkeit der Donkosaken aufgehoben, jetzt wurden auch noch die
Freiheitsrechte der Ukraine beschnitten. Dieser Vorgang wurde von Katherina II.
weiter fortgesetzt. Als Einheitsstaat dehnte sich das russische Reich vom
Eismeer bis an die türkische Grenze aus. 1721 wurde nach 20jähirger Dauer der
Nordische Krieg mit dem Friedensvertrag von Nystad beendet. Die Gebiete Karelien,
Ingermanland, Livland und Estland musste Schweden an das russische Reich
abtreten. Der Weg zum Meer war für Peter den Großen damit endgültig gewonnen.
Es war eine nicht
unberechtigte Ehrung, wenn der russische Senat dem Zaren auf seinen Antrag hin
den Beinamen den Großen verlieh und ihn zum ersten Male als Kaiser von Russland
begrüßte. Neben die alte ehrwürdige Kaiserwürde, die von den Deutschen in
Verwahrung genommen worden war, trat jetzt die neue der Russen. Wie die alte in
sich den Anspruch auf die politische Vormachtstellung im mittleren und
westlichen Europa begründete, so enthielt die neue von Beginn an den Willen,
Ausdruck des Vorkämpfertums für alles zu sein, was slawisch und rechtgläubig
war.
Was die
Regierungszeit Peters im Nachhinein verdunkelt, war die Grausamkeit des Mordes
an seinem Sohn Alexej, was auch mit der Angst Peters um den Fortbestand seiner
Reformen nicht entschuldigt werden kann.
Seinen Sohn scheint
es auch aus dem Grund nicht geliebt oder wenigstens respektiert zu haben, da er
auch Alexejs Mutter Jewdokija nicht geliebt hatte. Dazu war Alexej ein ganz
anderer Typ als sein Vater, ein Gelehrter, der in den Augen seines Vaters
unsoldatisch und „unmännlich“ erschien. Das Schlimmste aber für Peter war, dass
sein Sohn in sich zu viel Anschauungen des alten Zarentums verkörperte, die
strenge Gläubigkeit, das Abgeschlossensein gegenüber dem Westen und seinen
Werten, das Ruhen des Russentums in der Überlieferung. Kein Zweifel konnte darüber
sein, dass Alexej alle Neuerungen seines Vaters rückgängig machen würde, wenn
er an die Regierung käme. Peter bemerkte auch, dass viele Bojaren und
Geistliche in Alexej Hoffnungen setzten, dass sich die Neuerungen seines Vaters
nicht grundsätzlich durchsetzen würden.
All dies führte
letztlich dazu, dass Peter beschloss, sich von seinem Sohn loszusagen. In
bitteren Anklageschriften wandte er sich gegen den Thronfolger. Immer wieder
unterwarf sich der junge Prinz demütig seinem Vater. Schließlich forderte der
Zar den Sohn auf, dem Throne zu entsagen und Mönch fernab von Petersburg zu
werden. Auch diesmal wich Alexej dem Machtkampf mit seinem resoluten Vater aus,
auch jetzt bejahte er allzu rasch das, was sein Vater von ihm forderte. Bald
spürte Alexej, dass sein Vater den Entschluss fasste, ihn endgültig
loszuwerden. Daraufhin floh er nach Neapel, doch auch dort fanden ihn die
Häscher des Zaren. Ihrer Überredung, ihren Drohungen und ihren Versprechen
gelang es, den flüchtigen Zarensohn zur Heimreise zu bewegen. Kaum war er
zurückgekehrt, wurde er von Peter in den Kerker geworfen und dann gefoltert,
wobei der junge Prinz die Namen seiner Helfershelfer der Flucht namentlich
nennen musste. Diese wurden auch zugleich verhaftet und in den Kerker geworfen,
bis ein Massenprozess gegen diese und Alexej begann. Der wütende Argwohn des
Zaren witterte nun überall Aufstände und Verschwörungen gegen sich und sein
Werk, wo sich nur Unzufriedenheit geäußert hatte. Schwer traf die Wut des Zaren
auch seine Gattin. Peters Argwohn hatte sie auch mit in jenem Kreis der
unzufriedenen Restauration gesehen. Die Untersuchung von diesen Anschuldigungen
ergab nichts davon, aber dafür die Tatsache, dass die seit Jahren von allen
Freuden der Welt getrennte Gattin in ihrer Zelle ein Verhältnis mit einem
Offizier eingegangen war.
In seiner Wut ließ
Peter den Offizier am Pfahl hinrichten, seine Frau wurde in Gegenwart ihres
Sohnes ausgepeitscht. Dann wurde sie in Einzelhaft in den Kerker geworfen. Ihre
angebliche Schuld gegenüber Peter soll darin bestanden haben, dass sie ihre
unverschuldete Einsamkeit nicht mehr ertragen konnte und sich deswegen Trost
bei anderen Männern suchte. In einem letzten Prozess wurde Peters Sohn zum Tode
verurteilt. Jedoch bevor das Urteil vollstreckt werden konnte, starb Alexej in
seiner Zelle. Die genaueren Umstände seines Todes bleiben bis heute im Dunkeln.
Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der nicht widerstandfähige Alexej durch
die Folgen der vorherigen Folter starb.
Diese grausame Seite
Peters des Großen muss erwähnt werden; er blieb zeitlebens misstrauisch
gegenüber Vertretern alter Konventionen in seiner Umgebung, die seine
Modernisierung des Reiches torpedieren würden. Der Prozess gegen seinen Sohn
war nicht nur eine persönliche Sache für Peter, er wollte auch möglichen
anderen in seinen Augen Aufständischen zeigen, wie er mit solchen
Machenschaften umgeht und ein Exempel statuieren.
Bis zum Jahre 1700
lässt sich eine Geschichte Europas schreiben, ohne dass der Staat Russland
darin vorkäme. Von da an ist es nicht mehr möglich. Peter führte Russland an
die Ostsee und machte das Land vor allem nach dem Sieg über die Schweden zu
einer Großmacht in Europa und führender Macht an der Ostsee. Für das innere
Leben in seinem Staat hat er die Tore nach dem Westen weit aufgerissen. Dabei
vernachlässigte er die Wohlfahrt der Massen und die Lebensumstände in seinem
Riesenreich. Die Ausweitung der Macht Russlands geschah auf dem Rücken der
einfachen Leute, zehntausende von ihnen kamen beim Bau Petersburgs ums Leben. Diese
Hinterlassenschaft bedeutete für die Dynastie der Romanows eine Hypothek für
die nächsten Jahrzehnte.
Schon zu Lebzeiten
ließ sich Peter der Große ein zeitgemäßes Schloss (Schloss Peterhof) errichten,
wo er viel Zeit seines Lebens verbrachte. 1714 begannen die Planungen für das
neue Schloss, an denen Peter, der sich auf einer langen Rundreise durch Europa
bereits mit verschiedenen Handwerkskünsten beschäftigt hatte, aktiv
mitarbeitete und für die er sich Rat von Andreas Schlüter und dessen Schüler
Johann Friedrich Braunstein einholte.
Im August 1723
konnte das Schloss Peterhof eingeweiht werden. Die Bauarbeiten an dem großen,
doch recht schlichten Schloss waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig
abgeschlossen. Neben dem eigentlichen Palast waren die Goldene Kaskade und ein
großer Teil des Unteren Parks angelegt, der 400 Meter lange Kanal zur Ostsee
ausgehoben sowie die Arbeiten an den Lustschlössern Monplaisir und Marly,
eine Reminiszenz an das Schloss Marly-le-Roi von Ludwig XII. weitgehend beendet.
Die Vorliebe für den Prunk des französischen Absolutismus war ein
entscheidendes Merkmal des neu errichteten Schlosses und ein Höhepunkt der
europäischen Architekturkunst. Nach der Einweihung nutzte Peter I. den im
barocken Stil dekorierten Palast als seine Sommerresidenz, während er die
restlichen Jahreszeiten weitgehend im Winterpalast verbrachte. Das Schloss und
die Parkanlagen wurden in der Folgezeit ständig erweitert und verschönert.
Nach dem Tod Peters
I. 1725 stand der Palast einige Jahre leer. Erst 1730 ließ die Zarin Anna die
Arbeiten an dem Schloss wieder aufnehmen. Unter Zarin Elisabeth wurden dem
Großen Palast, der bisher nur etwa so breit wie die vorgelagerte Kaskade war,
durch Bartolomeo Francesco Rastrelli die kurzen Seitenflügel angefügt, das
Hauptgebäude verlängert und aufgestockt und die Pavillonbauten an den Enden des
Baukörpers errichtet, wovon einer die Schlosskirche aufnahm. Diese Arbeiten
dauerten von 1747 bis 1752 und verliehen dem langgestreckten, gelb getünchten
Bau mit den weißen Dekorationen seine heutige Gestalt. Des Weiteren nahm noch
Katharina die Große einige Verschönerungen vor. Bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein bauten die russischen Zaren an dieser Residenz, die sie in
unregelmäßigen Abständen immer wieder bewohnten und die mit prächtigen
Paradezimmern, wie dem Goldenen Saal, dem Thronsaal und dem mächtigen
Treppenhaus aufwarten kann, in der sich aber auch die intimeren Wohnräume der
russischen Herrscherfamilie finden, wie das Schlafzimmer Peters des Großen.
Nach dem Tod Peters
des Großen 1725 legte sich der Enthusiasmus der russischen Herrscher für das Fenster
nach Europa. Im Jahr 1727 wurde Moskau für kurze Zeit wieder Hauptstadt.
Erst Kaiserin Anna kehrte nach Sankt Petersburg zurück. Diese machte St.
Petersburg erneut zur Hauptstadt, Annas stadtplanerische Entscheidungen prägen
Petersburg bis in das 21. Jahrhundert. Sie verlegte zum einen das Stadtzentrum
von der heute so genannten Petrograder Seite auf die Admiralitätsseite der
Newa, zum anderen legte sie die wichtigsten Hauptstraßen, den Newski-Prospekt,
die Gorochowaja Uliza und den Wosnessenski-Prospekt an. Trotzdem
residierte sie weiterhin lieber und öfter in Moskau.
Kaiserin Elisabeth
(1741–1762) und vor allem Katharina II.(1762–1796) öffneten das Reich wieder verstärkt nach Westen, indem sie
Künstler und Architekten nach Sankt Petersburg holten. Durch das
Einladungsmanifest Katharinas wurden unter anderem Religionsfreiheit und die
Selbstverwaltung auf lokaler Ebene mit Deutsch als Sprache zugesichert.
außerdem auch eine finanzielle Starthilfe. Unter diesen Künstlern war wohl
italienischen Baumeister Bartolomeo Francesco Rastrelli der bedeutendste für
das Zarenreich der damaligen Zeit.
In der Zeit
Elisabeths entstanden die meisten der Prunkbauten, die noch immer das Stadtbild
bestimmen. Sie ließ unter anderem den Winterpalast und das Smolny-Kloster
bauen. Den Katharinenpalast ließ sie zu Ehren ihrer Mutter umgestalten, der
Stil Francesco Rastrellis begann die Stadt zu prägen.
Der Standort des
Klosters Smolny war ein ehemaliges Gelände einer Teerfabrik, gelegen an einer
Newa-Biegung im Nordosten Sankt Petersburgs. Heute liegt das Kloster am
Rastrelli-Platz, welcher zu Ehren des Architekten des Smolny-Klosters so
benannt worden ist.
Das Kloster wurde
von Zarin Elisabeth I. als Altersruhesitz geplant und von dem italienischen
Baumeister Bartolomeo Francesco Rastrelli in den Jahren 1748 bis 1757 erbaut.
Das Kloster ist in Form eines griechischen Kreuzes angelegt, in dessen vier
Ecken einkupplige Kirchen integriert worden sind. Es wird weithin als
Meisterwerk des Elisabethanischen Barocks angesehen und die für Rastrelli
typischen weiß-blauen Farbtöne dominieren. Der von ihm entworfene 160m hohe
Glockenturm hätte das höchste Gebäude Russlands der damaligen Zeit werden
sollen. Der Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs verhinderte jedoch den weiteren
Ausbau und mit dem Tode Elisabeths im Jahre 1762 wurden Pläne für den
Glockenturm und den weiteren Innenausbau auf Eis gelegt. Da die neue Zarin, Katharina
II., zudem den Klassizismus bevorzugte, erhielt der vormalige Hofarchitekt
Rastrelli keine weiteren Aufträge mehr.
Der weitere
Innenausbau geschah erst gut 70 Jahre später unter dem Baumeister Wassili
Petrowitsch Stassow im Auftrag des Zaren Nikolaus I. im Jahre 1828. Stassow
lehnte sich dabei eng an Rastrellis Entwürfen an. Die Kathedrale wurde von ihm
im damals vorherrschenden neoklassizistischen Stil prunkvoll ausgestaltet und
enthält ein Silbertabernakel, der einem Tempel mit 24 Säulen und einem Altar in
der Mitte ähnelt. Am 22. Juli 1835 wurde die Kathedrale gesegnet. In den Jahren
1873 bis 1875 entstand die Ikonostase nach Vorbild des Petersburger Barocks.
Die den Heiligen Elisabeth und Maria Magdalena geweihten Seitenaltäre wurden im
Jahre 1885 errichtet. Obschon die Kathedrale geweiht worden ist, war das
Kloster als solches nie in Betrieb.
Heute dient der
Innenraum der Kathedrale unter anderem als Konzertsaal. In den Gebäuden des
Klosterkomplexes befinden sich zudem die Fakultäten der Soziologie,
Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen der staatlichen Universität
Sankt Petersburg.
Katharina ließ im
Jahre 1764 zunächst Teile des Klosters zu einer höheren Bildungsanstalt für
Mädchen umfunktionieren. Nachdem die Zahl der Schülerinnen stieg, wurde auf dem
Gelände des Klosters das Smolny-Institut errichtet, um die älteren Mädchen
aufzunehmen. Das Gebäude wurde 1806 bis 1808 nach streng klassizistischen
Plänen des Architekten Giacomo Quarenghi errichtet. Formgebend ist ein
zentraler Portikus mit acht Säulen, der vor der eigentlichen Halle mit
zahlreichen weißen Säulen errichtet wurde.
Das Institut diente
im 19. Jahrhundert als Bildungsanstalt für adelige Mädchen, die auf das Leben
in der höheren Gesellschaft als Hofdame vorbereitet wurden und hauptsächlich
Fremdsprachen und gutes Benehmen erlernten. Es war die erste
Bildungseinrichtung für Frauen in Russland überhaupt und stand bis zum Jahre
1917 unter dem persönlichen Schutz der Zarin.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.