Erschienen in Ausgabe: No 125 (07/2016) | Letzte Änderung: 30.06.16 |
Sagen, oder lieber nicht sagen? Das ist hier die Frage. Political Correctness ist das Gebot der Stunde. Die Angst, etwas falsch zu sagen, haben nicht nur Politiker. Auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften treibt sie ihr Unwesen. Und macht vor niemanden Halt. Warum schweigen nicht Gold ist.
von Lisz Hirn
Nichts geht ohne sie. In den 90er Jahren des letzten
Jahrhunderts trat sie auf der US-politischen Bühne in Erscheinung. Das
Besondere an PC (Political Correctness): Sie
kann von jedem auf jeden angewendet werden, sei die Person lebend oder tot, vom
„linken“ oder vom „rechten“ Lager.
In der „Euphemismus-Tretmühle“
Der für seine Provokationen berüchtigte Philosoph Žižek
wies als einer der Ersten darauf hin, dass sich „politisch korrekte“ Begriffe
mit der Zeit „abnutzen“. Was wiederum dazu führt, dass sie schließlich die
Bedeutung des Wortes, das sie ersetzen sollten, bekommen. Außer: Die soziale
Wirklichkeit verändert sich tatsächlich. Neuschöpfungen und Euphemismen allein
verhindern, geschweige denn lösen die tatsächlichen Ursachen von Rassismus,
Sexismus und Behindertenfeindlichkeit nicht, sondern verschieben sie. Fazit:
Wir landen mit PC in einer „Euphemismus-Tretmühle“ (Žižek), in der jeder
Begriff durch den folgenden seinerseits unter Diskriminierungsverdacht gestellt
und entwertet werden kann. Ist an diesem Ansatz etwas dran? Und wenn ja, welche
Folgen hat dieser „Euphemismus-Effekt“ auf den Akt der freien Rede?
Der Wille zur Selbstzensur
Der Akt der freien Rede ist einer, der Mut erfordert,
weil er durch seine rückhaltlose Offenheit riskiert, die Zuneigungen zu
verspielen oder den Zorn bestimmter Personen auf sich zu ziehen. „Genauer gesagt, ist Parrhesia (Hirn: das Wahrsprechen) eine
verbale Aktivität, in der ein Sprecher seine persönliche Beziehung zur Wahrheit
äußert und dabei sein Leben riskiert, weil er das Aussprechen der Wahrheit als
Pflicht erkennt, um andere Menschen zum Besseren zu bekehren oder ihnen zu
helfen (wie auch sich selbst). In Parrhesia verwendet der Sprecher seine
Freiheit und wählt Offenheit statt Überzeugungskraft, Wahrheit statt Lüge oder
Schweigen, das Risiko des Todes statt Lebensqualität und Sicherheit, Kritik
anstelle von Schmeichelei, sowie moralische Pflicht anstelle von Eigeninteresse
und moralischer Apathie.“[1] Was
nicht heißt, dass der Parrhesia nicht Grenzen gesetzt sind. Eine davon lässt
sich eben unter dem Begriff der politischen Korrektheit fassen, die man
durchaus als eine Form der Selbstzensur auffassen kann. Dies kann Dialog ermöglichen,
aber auch Diskussion verhindern. Wenn nämlich der freie Austausch von Ideen
zugunsten eines „Safe Space“ beschränkt werden und der Sprechende angst hat,
seine Meinung (oder z.B. auch wissenschaftliche Ergebnisse) zu äußern, um nicht
unabsehbare Dissonanzen bei dem Zuhörern hervorzurufen.
„Safe Spaces“ oder das „Recht auf Behaglichkeit“?
Niemandes Stimme ist über den Diskriminierungsverdacht erhaben, der den
demokratischen und zivilgesellschaftlichen Wert, alles ansprechen zu dürfen
(Stichwort: Meinungsfreiheit), vergessen lässt. Es ist anzunehmen, dass die
auffallende Stimmlosigkeit in den westlichen Demokratien vom nun geforderten „Recht
auf Behaglichkeit“ (Žižek) zum Schweigen gebracht wird. Der moderne Ausdruck
dafür ist „Safe Space“. Dieser wird unter Berufung auf dieses „Recht auf
Behaglichkeit“ gefordert - auch vermehrt in Forschung, Kunst und an Universitäten.
Da wird dann z.B. darüber diskutiert, ob manche Shakespeare-Stücke aufgrund
obszöner oder brutaler Szenen überhaupt noch im Unterricht gelesen werden
sollen oder Kant nicht aufgrund mehr oder weniger eindeutiger Aussagen des
Rassismus und der Misogynie schuldig ist und damit nicht mehr in den aktuellen,
zeitgemäßen Lehrplan gehört.
Denken ist gefährlich, Political Correctness auch
Political correctness ist dort gefährlich, wo sie
angewendet wird, um Kritik unmöglich zu machen. Diskussion muss in
funktionierenden demokratischen Systemen möglich sein, auch wenn sie manchmal
wehtut. Dies soll jedoch nicht als Freibrief für Beschimpfungen oder aggressive
Äußerung von Frustrationen (vgl. Shitstorms) verstanden werden. Ganz im
Gegenteil. Kritik soll konstruktiv und logisch nachvollziehbar geäußert werden.
Empathie zeigen heißt nicht, alles gutzuheißen, aber andere Meinungen und Urteile
verstehen zu wollen. „Wobei niemand schärfer urteilt als der Ungebildete, denn
der kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht“ (Feuerbach).
Es braucht die Bereitschaft des Einzelnen, seine eigene Meinung und Vorurteile
unbedingt zu hinterfragen. Nur dann kann politische Korrektheit auf lange Sicht
erfolgreich sein, weil sie dann nicht nur eine oberflächliche, sprachpolitische
Maßnahme bleibt. Nietzsche meinte, dass Faulheit und Feigheit die Ursachen
sind, dass die meisten Menschen zeitlebens unmündig blieben und sich wenige
andere zu ihren Vormünder aufwerfen würden. Das ist wohl wahr, denn zu
schweigen ist bequem. Die Frage ist aber nicht, was wir gewinnen, wenn wir
schweigen, sondern vielmehr, was wir damit verlieren.
[1] Michel
Foucault: Discourse and
Truth: The Problematization of Parrhesia. Foucault.info.
Abgerufen am 11. Juni 2016.
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