Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 28.07.16 |
Eine Reihe von Beiträgen in „ZEIT Campus“ zeigt: Linkssein zählt in der Jugend immer noch zum guten Ton. Doch manchmal ist es an der Zeit, erwachsen zu werden.
von Oliver Weber
Manchmal glaube ich, Linkssein
ist in Jugendjahren eine Art Reflex. Man wird in eine fremde Welt geworfen und
ihre Schlechtigkeit au fondbekommt man als durch und durch medialisierter Mensch von Anfang an vor
die Nase gesetzt. Hungernde Kinder im Afrika, von Hartz-IV-Armut geplagte deutsche
Familien und Kriege allerorten, wer damit aufwächst, der kann nur wegsehen,
oder links werden. Denn wer möchte schon, dass alles so bleibt wie es ist und
immer war? Wer möchte schon bewahren, wo weit und breit nur Leid und Not zu
sehen sind? Noch hinzu kommt, dass Erziehung, Tradition, Sitten, Religion kaum
eine Rolle spielen. Diese, bei Linken immer noch unbeliebte
Menschheitsbegriffe, stehen für das Ältere, das Hergebrachte, für das, was die
Eltern ihrem Kind vergeblich eintrichtern wollen. Kein Wunder, dass sie eher
einen schlechten Ruf genießen.
Und so kommt es, dass die
Jugend, soweit sie überhaupt irgendetwas ist, sich überwiegend auf der linken
Seite des politischen Spektrums verortet. Sich progressiv nennen,
Fundamentalkritik üben, Autoritäten anzweifeln – ach: verhöhnen -,
protestieren, aufklären immer und überall, Antifaschist und Antikapitalist
sein, von einer besseren Welt träumen; all diese Dinge gehören in jungen Jahren
einfach dazu. Man möchte verändern, ausbrechen, verbessern. Und geht in seinem
revolutionären Geist über alles Tradierte hinweg, als hätte es keine Bedeutung,
als sei es weder von Wert, noch eines einzigen konservativen Gedankens würdig.
Die Veränderung wird zum Selbstzweck, das Neue nolens volens zum
visionären Lebensziel. Marktwirtschaft und Eigentum? Weg damit! Kirche und
Tradition? Hinfort! Nation und Kultur? Wer braucht das schon? Auf jede Werte-
und „Das-haben-wir-immer-schon-so-gemacht"-Beschwörung reagiert der Linke
mit pawlowschen Reflexen. Stattdessen: Kommunismus? Machen wir! Multikulti?
Versteht sich doch von selbst! Die erträumte neue Welt wird für den
Linken zu einem größeren heilsgeschichtlichen Sehnsuchtsort, als das heilige
Land für den Abendländer in seinen konservativsten Zeiten je sein konnte.
Je mehr das eigene Leben
voranschreitet, desto eher gewinnt die Skepsis Raum in der eigenen schön-linken
dogmatischen Welt. Ist das Privateigentum vielleicht aus historischer Sicht
eher ein zivilisierender Faktor, als die Wurzel allen Übels? Wie soll die
Knappheit der Güter in einer verplanwirtschaftlichen Nationalökonomie gemessen
werden, wie sollen Anreize für Investitionen, Gründungen, Produktivität
entstehen? Liegt in der quasi-religiösen Theorie des Marxismus, der alles
Arbeiten, alles Leben, ja sogar alles Historische zu kennen und zu bestimmen
meint, bereits sein totalitärer Kern? Muss, wer vom neuen sozialistischen
Menschen träumt, nicht schon zwangsweise Umerziehungslager bauen? Wer diese
Fragen stellt, zeigt erste Anzeichen von persönlicher Restauration, der entdeckt
den alten Metternich in sich. Vielleicht ist der Kapitalismus doch gar nicht so
übel und das Elend der dritten Welt sowie der Abgehängten in unseren Breiten
entsteht durch Korruption, Oligarchie, fehlende Infrastruktur, kaputte
Institutionen und fehlende Bildung. Gründe gibt es viele – auch viele die
dringend beseitigt werden müssen -, doch die Marktwirtschaft gehört wohl nicht
dazu, sie hat, im Gegenteil, seit dem 19. Jahrhundert eine enorme
Wohlstandsexpansion zu verantworten.
Auch in kultureller Hinsicht
wachsen Zweifel. Vielleicht ist die Religion, in alter marx'scher Manier, gar
nicht das „Opium des Volkes", sondern gibt Halt und stiftet Sinn, gerade
in wirren Zeiten. Ja, es gibt sogar Grund zu der Annahme, der Mensch braucht
wie eh und je „metaphysisches Obdach“ (Heidegger), das der Linke seit jeher von
innen her einzureißen versucht.Vielleicht gilt es auch Abstand zu nehmen von
der Sicht, Nation und Nationalstaat seien überholte Realitäten, wie die
„Star-Trek-Kommunistin" Laura Meschede vor kurzem bei ZEIT Online
verkündete. Sie war sich dessen so sicher, weil der israelische Historiker Yuval Noah von der „Wandelbarkeit" des
menschlichen Daseins sprach und deswegen, so die Logik, müsse man doch auch
einfach einen Weltstaat bauen können. Dass es schon Jahrhunderte und Millionen
von Menschenleben gekostet hat aus absolutistischen Kleinsaaten politische
Großkörper namens Nationen zu formen, fällt in der linken Träumerei mal eben
unter den Tisch. Und nun wird eben einfach mal Supranationalität und One-Earth-Menschelei
gepredigt, ob das machbar, möglich, wünschenswert ist, bleibt bis auf weiteres
ungeklärt, ja im idealistischen Wahn werden skeptische Fragen, die den linearen
Progressivismus in Frage stellen, sogar durchweg ignoriert.
Tradition und
Sittengesetz, die natürlichen Feinde linken Denkens, sind ähnlicher Ignoranz
ausgesetzt – als seien sie beliebig wählbare Konstrukte, statt das das innere
Band einer Gesellschaft, das alles zusammenhält. Wer in bester robespierres'scher Tradition den In-die-Welt-Geworfenen
fallbeilartig von seiner Herkunft trennt, der gefährdet Zusammenhalt und
gemeinschaftliche Solidarität, also auch genau jene Werte, die der Linke für
ureigenes Gedankengut hält.
Soldat und Polizei, in linken
Kreisen gerne als „Mörder" und „Bullen" beschimpft, sorgen nicht nur für Recht und Ordnung – im
Übrigen auch, wenn Nazis Flüchtlingsheime anzünden wollen -, sondern beschützen
auch die Demokratie und Menschenrechte dieses Landes nach außen hin. Gottlob es
gibt noch solch ehrenwehrte Mitbürger, es wäre schlimm, es sähe anders aus.
Und die Ästhetik, ach, auch hier
fällt es schwer ein Linker zu bleiben. Wer sich noch ein schöngeistiges
Bewusstsein bewahrt und schon einmal einen „gegenderten" Text gelesen hat,
der kann auf derartige Sotissen nur allergisch reagieren. Sternchen,
Unterstriche und Binnen-Is in Texten? Man stelle sich einmal vor Goethe,
Schiller, Storm, Heine, Kafka oder Thomas Mann hätten so geschrieben, kein
Ausländer käme heute noch auf die Idee, uns„Kulturnation" zu nennen.
Alles in allem passt das
Klischee, jung und links gehörten untrennbar zusammen, immer noch. In der
Pubertät möchte man alles anders machen, alles verändern, ringt mit Autoritäten
jeder Art, ob Schule, Polizei oder Eltern. Es gehört allerdings auch zur Wahrheit,
dass einem, ist der Erwachsenenzustand einmal erreicht, die eigenen pubertären
Aufwallungen der letzten Jahre eher peinlich sind. So oder so ähnlich ergeht es
auch einem Ex-Linken, hat er mit seinem Revoluzzerdasein abgeschlossen.
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