Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 04.04.09 |
von Bischof Joachim Wanke und Daniel Deckers
Bischof Wanke, woher kommt das Böse in der Welt?
Die Frage nach der Herkunft des Bösen angesichts eines guten Gottes bleibt
für den Menschen ein dunkles Rätsel. Manche Begleitumstände einer bösen Tat,
wie jetzt wieder der Amoklauf in Winnenden, mögen sich begreiflich machen
lassen. Doch vor dem harten Kern der Fragen Was ist das Böse? Woher kommt es?
bleiben wir ratlos.
Wenn wir Christen ein dualistisches Weltbild ablehnen, in dem das Böse
gleich ursprünglich wäre wie das Gute, aber auch ein Weltbild, in dem das Böse
seinen Ursprung in Gott selbst hat, dann bleibt nur der Weg, eine auf Freiheit
und Entscheidung ruhende Verneinung des Guten als Quellgrund des Bösen
anzusehen. Dieser „Mangel“ an Bejahung des Guten kann unterschiedliche Gestalt
annehmen, nicht nur eine individuelle, sondern auch eine strukturelle, die man
mit dem Stichwort „Verblendungszusammenhang“ kennzeichnen könnte.
Gibt es nur „das Böse“ oder auch „den Bösen“?
Wenn eine Freiheitstat am Anfang des Bösen steht, wird verständlich, dass im
christlichen Glauben „das Böse“ immer auch eine personale Dimension hat. Doch
ist die Rede von der Personalität des Bösen, etwa als Satan oder Teufel, nicht
mit menschlichem Person-Sein gleichzusetzen. Wo es nur noch reine Verneinung
gibt, kann es an sich keine Personalität, keine Kommunikation geben. Für mich
ist das Böse so etwas wie ein „schwarzes Loch“, das alles in sich verschlingt,
aber keinen Lichtstrahl aus sich herauslässt.
In allen europäischen Sprachen ist das Wort für „Teufel“ aus dem
griechisch-biblischen Wort „diábolos“ abgeleitet. Gäbe es ohne das Christentum
den Teufel nicht?
Religionsgeschichtlich gesehen, ist der Teufel kein Eigengut des
Christentums. Auch das, was mit dem Wort Sünde bezeichnet wird, ist anderen
Religionen durchaus bekannt. Für das Christentum eigentümlich ist die
Einordnung der mit Teufel und Sünde bezeichneten Wirklichkeiten in das Ganze
der christlichen Welt- und Heilssicht.
Das „Vater unser“, das von Jesus überlieferte Grundgebet der
Christenheit, endet mit der Bitte um Erlösung „von dem Bösen“. Warum?
Weil Jesus – wie der Evangelist Johannes bemerkte – „wusste, was im Menschen
ist“. In jedem Menschen, auch dem heiligsten, steckt eine Potenz der Verneinung,
eine Möglichkeit, sich dem Leben zu verweigern.
Was ist mit der Rede von der „Erbsünde“ gemeint? Ist das Böse immer schon
als Möglichkeit im Menschen, oder kommt es von außen in ihn hinein?
Die Rede von der Erbsünde, als theologisches Denkmodell besonders von
Augustinus entwickelt, will die grundsätzliche Erlösungsbedürftigkeit jedes
Menschen festhalten. Übrigens hat Erbsünde nichts mit Geburt und Fortpflanzung
zu tun. Die Heilige Schrift will mit ihren Erzählungen vom Paradies aussagen,
dass der Mensch von seinem Schöpfer ohne Sündenanfälligkeit gedacht ist. Durch
eine Anfangsentscheidung des freien Menschen, wie immer diese auch zu denken
ist, sind alle Menschen in „Mithaftung“ genommen. Dieses Phänomen der
„Einschließung unter die Sünde“ (wie Paulus das nennt) ist uns nicht fremd,
denken wir nur an politische und sonstige Mithaftung für Verhältnisse, die ich
persönlich nicht verursacht habe, die ich aber mitzutragen habe.
Im Johannes-Evangelium heißt es von dem Teufel, er sei der „Herrscher
dieser Welt“. Was ist damit gemeint?
In der Sprache des Johannes ist „Welt“ die Chiffre aller Gottfeindlichkeit.
Jesus entmachtet durch sein Kommen jede gottwidrige Herrschaft. Die Bibel rechnet
mit der Herrschaft Satans, weiß ihn aber durch Jesus besiegt, so wie ein
feindliches Heer besiegt ist, aber man durchaus noch im Nachhutgefecht mit dem
schon besiegten Gegner fallen kann.
Während der Feier der Taufe und der Feier der Osternacht werden die
Gläubigen gefragt, ob sie „dem Satan widersagen“. Warum?
Weil die Unterstellung unter das schon hier und jetzt in jedem Glaubenden
angebrochene Reich Gottes einer Entscheidung bedarf. Der Ruf in die Nachfolge
Christi spricht die Freiheit des Menschen an, die von Gottes zuvorkommender
Gnade umfangen wird. Darum gehört von Anfang an das Taufgelöbnis mit der Absage
an den Satan zum Taufritus. In der Feier der Osternacht wird dieses Gelöbnis
gleichsam aktualisiert.
Die Auferweckung Jesu von den Toten deutet die Kirche als Sieg über Sünde
und Tod. Die Geschichte der Menschheit spricht eine andere Sprache.
Hier mag der Vergleich mit dem helfen, was 1989/90 politisch im Osten
passiert ist. Die Bedingungen für ein freies, selbstbestimmtes Leben waren nach
der friedlichen Revolution gegeben, aber nicht alle haben die damit gegebenen
Möglichkeiten ergriffen. Ostern ist für mich so etwas wie ein
„Herrschaftswechsel“. Natürlich hinkt der Vergleich, weil er innerhalb
menschlicher Geschichte bleibt. Diese ist noch nicht in Gottes Welt endgültig
eingemündet, wie manche Ideologien, auch manche Terroristen uns glauben machen
wollen. Trotz der bitteren Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart gilt für
den Christen: Gott hat im Auferstandenen einen schöpferischen Neuanfang gesetzt:
Das Alte ist vergangen – siehe, Neues ist geworden. Das kann freilich nur Gott.
Aus dieser Perspektive vermag man auch in der Dunkelheit österlich zu leben.
Im Neuen Testament ist weitaus häufiger als im Alten Testament von
„Dämonen“ die Rede und von Menschen, die von unreinen Geistern „besessen“ sind.
Ist das eine zeitbedingte, einem längst überholten Weltbild verpflichtete Rede
oder eine heute noch gültige Einsicht in die Befindlichkeit des Menschen?
Die Bibel ist kein Lehrbuch der Psychologie, und natürlich ist ihre Sprache
von zeitbedingten Vorstellungen geprägt. Auch wir haben heute „Vorurteile“, die
anzufragen sind, etwa den grassierenden Unschuldswahn. Dass freilich ein Mensch
„besetzt“ sein kann, ist für mich außerhalb jedes Zweifels. Man muss jedoch
aufpassen: Die Rede von Besessenheit streift schnell die Grenze zum
Aberglauben. Wir wissen um die furchtbaren Folgen etwa des Hexenwahns.
Kardinal Ratzinger hat 1983 vor einer „rationalistisch verflachten
Theologie des Teufels und der Welt der Dämonen“ gewarnt, sollten beide nur noch
als Chiffre für die inneren Gefährdungen des Menschen dienen. Ist diese Warnung
noch immer aktuell?
Ohne Zweifel, wie mein Hinweis auf den „Unschuldswahn“ zeigt. Der Mensch ist
nicht nur durch persönliche Schuld gefährdet, sondern auch durch „Strukturen
des Bösen“. Was das sein könnte, erahnt man als aufmerksamer Betrachter des
Zeitgeschehens durchaus. Die Rebellion gegen Gottes Schöpfungsordnung ist alles
andere als ein Kavaliersdelikt. Sie gibt dem Bösen gleichsam ein Gesicht.
Freilich geht das Böse nicht völlig in Einzelpersonen und deren Bosheit auf.
Für mich ist die Redeweise vom Teufel ein bleibendes Festhalten am Geheimnis
des Bösen, das letztlich unerklärbar ist. Aber noch einmal: Wer verloren in
einer Eisspalte liegt, sinnt nicht über deren Ursprung nach. Er müht sich
vielmehr, mit allen Kräften die rettende Hand zu ergreifen, die sich ihm
entgegenstreckt.
In welchen Gestalten begegnet Ihnen das Böse?
Vor allem im eigenen Leben, in dem sich immer wieder die Täuschung
breitmacht, selbst Gott sein zu können. Es begegnet in Taten der Inhumanität,
die menschliche Würde, die das Leben selbst zerstören. Es begegnet in
Verhältnissen, in denen Freiheit unterbunden, die Wahrheit unterdrückt und jede
Hoffnung auf Veränderung zum Guten geraubt wird. Freilich ist zu bedenken:
Dort, wo das Licht stärker wird, werden auch die Schatten tiefer. Das Böse ist
ein Epiphänomen. Es begleitet das Gute, das es gottlob nie verschlingen kann.
Wie kann man diese Wirklichkeit überwinden?
Durch die Demut, von jedem ideologischen Experiment zu lassen, die Welt mit
Gewalt gut zu machen. Bischof Franz Kamphaus hat das Wort geprägt: Religion ist
dazu da, Gott zu verehren, nicht Gott zu spielen. Die Anerkennung Gottes und
das Vertrauen auf ihn als Quelle alles Guten ist eine Hilfe, an der Welt, so
wie sie ist, nicht zu verzweifeln, sondern im Gegenteil: immer wieder neu
Biotope des Guten zu bauen.
Mit freundlicher Genehmigung der FAZ (faznet.de).
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diego48 20.10.2010 13:50
Das sogenannte Böse hat ganz natürliche, evolutionsbedingte Ursachen. Stark verkürzt hört sich das so an: Es gibt genetisch verankerte Grundverhaltenskomponenten in jedem Lebewesen, auch dem Menschen, die sich sehr logisch ab den frühesten Anfängen der Evolution ableiten lassen. Man kann zeigen, dass sie detailliert darstellen, was wir pauschal als "die Natur des Menschen" beschreiben. Weil sie nur und schon immer das Individuum bevorteilen, züchten sie Egozentriker unter dem Motto: EIGENER VORTEIL ZU LASTEN ANDERER.(Ausgenommen in der Nachwuchsfürsorge). Diese Grundverhaltenskomponenten sind die wahren, softwaremäßigen Treiber für die Evolution: sie halten die Replikationsbilanz hinreichend hoch. Gehirne, Intelligenz, Speicher- und Lernfähigkeit arbeiten als Verstärker und Diener der genetisch verankerten Antriebe (so lang nicht ethisch kompensierende Inhalte gespeichert sind). Insbesondere das ebenfalls aus diesem Grund entstandene Bewusstsein steigert die Raffinesse und Variationsbreite der Wirkung "EIGENER VORTEIL ZU LASTEN ANDERER" ganz massiv. In einer Gesellschaft solcher egozentrischer Individuen werden daher wahrgenommen: "eigener Vorteil" (meist positiv) und "zu Lasten anderer" (immer negativ). Diese zweite Auswirkung der Grundverhaltenskomponenten in der Gesellschaft ist nichts anderes als das, was wir als "das Böse" und die Religionen als "Sünden" bezeichnen.Das ist aber erst dann erkennbar, wenn unsere Software-Struktur mit den Grundverhaltenskomponenten verstanden ist. Vgl. auch www.gesellschaftsevolution.de und den dort skizzierten Büchern. diego48
Bernd 01.04.2010 12:06
Das Problem, woher das Böse in der Welt kommt, auch als Theodizeeproblem bekannt, ist im Grunde schon in der Antike gelöst worden. Siehe auch den Beitrag "Die verbotene jüdisch-christliche Theologie, die objektive Wahrheitsansprüche erfüllt" und das Theodizeeproblem löst unter: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_1933/ Auch von der Evolutionstheorie gibt es hier eine umfassende Antwort und Lösung, siehe den Beitrag "Die Antwort eines evolutionären Humanismus auf heutige Menschheitsprobleme wie dem Klimawandel" unter: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_1751/ Eigentlich ist es schon lange an der Zeit, den Glauben an Geister und übernatürliche Kräfte endgültig zu überwinden, so wie es schon in und durch die moderne Naturwissenschaft äußerst erfolgreich vollbracht wurde.