Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 15.09.16 |
von Michael Lausberg
Rio de Janeiro lockt und
fasziniert alljährlich Millionen Besucher. Die zweitgrößte Stadt Brasiliens
(6,3 Millionen Einwohner, Großraum 12,2 Millionen) ist nun auch Gastgeber für
das größte Sportereignis der Welt: die Olympischen Sommerspiele. Eine Premiere
nicht nur für Rio, sondern auch für Südamerika. Vom 5. bis 21. August treffen
sich rund 1o5oo Athleten zum Wettstreit um Medaillen und Meriten. Die
Olympischen Spiele beschränken sich nicht auf Rio de Janeiro. Partien der beide
Fußballturniere finden ebenso in Brasilia - seit 196o die Hauptstadt des Landes
- in Sao Paulo, Belo Horizonte, Salvador und Manaus statt- allesamt
Austragungsorte der Weltmeisterschaft 2o14.
Streit um Vorgehensweise des
Dopings in Russland
Schon im Vorfeld gab es Streit
über den Dopingskandal in Russland. Der unabhängige Bericht des Juristen
Richard McLaren für die Wada listet Beweise des Staats- Dopings auf. McLaren
empfahl, die russische Mannschaft komplett von den Rio- Spielen auszuschließen.
Das IOC entschied sich jedoch am 24. Juli gegen einen kompletten Ausschluss.
Putin kritisierte den Bericht als Rückfall in den 198oer Jahre und erinnerte an
die Boykotte. Damals sei der Sport als Geisel genommen worden. „Jetzt
beobachten wir einen gefährlichen Rückfall einer Einmischung der Politik in den
Sport.“[1]
Putin kritisierte, dass der Wada-Bericht auf den Aussagen eines einzelnen
Menschen mit einem „skandalösen Ruf“ basiere. Damit spielte er auf den
Whistleblower Grigori Rodschenkow an .Athleten und Funktionäre beklagten mit
Unverständnis und Verbitterung die Entscheidung, eine russische Mannschaft bei
der Eröffnungsfeier einmarschieren zu lassen. Unklar bleibt weiter, welche
russischen Sportler überhaupt antreten dürfen, da sich das IOC das letzte Wort
vorbehalten hat. Schätzungsweise 25o russische Athleten erhielten bisher von
ihren internationalen Verbänden vorläufig grünes Licht. Die Einzelprüfung durch
CAS- Experten und ein Trio von IOC-Mitgliedern zieht sich hin.
Nun begann auch das
Internationale Paralympische Komitee (IPC) Beratungen über einen möglichen
Ausschluss Russlands. Im McLaren- Report stehen 35 positive Dopingfälle aus dem
paralympischen Sport. Für DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen hatdas IOC mit dem Rio-Startverbot für die
russische Doping-Informantin Julia Stepanowa die Chance zu einem machtvollen
Statement gegen Doping“ vertan. Die Entscheidung, Russland nicht komplett
auszuschließen, aber die Athletin aufgrund ethischer Bedenken nicht starten zu
lassen, sei „ein Kniefall vor den Russen und ein dunkler Tag für die ehrliche
Sportwelt“.[2]
Stepanowa müsse die
Entscheidung wie eine „billige Brüskierung“ vorkommen, wenn Athleten wie
US-Sprinter Justin Gatlin oder die kroatische Diskuswerferin Sandra Perkovic,
die beide zweimal positiv auf Doping getestet wurden, am Zuckerhut um die
Goldmedaille kämpfen, meinte Kurschilgen.[3]
Soziale Ungleichheit
Rio de Janeiro ist eine Stadt
radikaler sozialer Ungleichheit. Die Bilder der schillernden Metropole am
Zuckerhut, von brasilianischen Karneval und Copacabana stehen im Kontrast zu
den Lebensrealitäten jener 3 bis 4 Millionen Bewohner der Favelas. Die Favelas
sind Orte mit unsicheren Wohn- und Aufenthaltsrechten und werden durch die
Medien oft als Hort von Krankheit, Elend und Armut transportiert, in denen
Gewalt und Kriminalität an der Tagesordnung ist. In Vorbereitung von Olympia
2016 will sich Rio jedoch herausputzen, um sich positiv im internationalen
Wettbewerb der Städte zu positionieren und potentielle Investoren und
Ferntouristen nicht zu verschrecken. Im Zuge dessen kommt eine Reihe von
repressiven stadtpolitischen Strategien zum Einsatz – von Zwangsräumungen in
Favelas bis hin zu ordnungspolitischen Maßnahmen gegen Aktivisten. Sie richten
sich vor allem gegen arme Bewohner und erinnern an ähnliche Prozesse zu den Olympischen
Spielen in Peking 2008. Mit 140000 ist die Favela Mare eines der größten
Armenviertel Brasiliens. Aber für Olympiabesucher wird sie nicht sichtbar sein.
Die Stadt hat sie hinter einer bunten Sichtschutzwand versteckt. Woanders
werden graue Tunneleingänge mit Begrüßungsbannern verkleidet. Überall in der
Stadt teert man Straßen neu, schüttet Schlaglöcher zu, streicht Gebäude. Rio de
Janeiro bereitet sich auf eine große Partie vor. Man möchte nicht, dass die
Gäste der Spiele die kaputten Ecken und dunklen Flecken sehen.
Orlando Santos Júnior,
Professor am Institut Ippur der Universität UFRJ von Rio, nannte die
Olympischen Spiele "Spiele der Exklusion" und "ein Projekt, um
aus bestimmten Stadtteilen Geschäfte zu machen. Es geht ums Kapital, nicht um
die Menschen", so Santos Júnior.[4]
Die Sportveranstaltung habe einen direkten Einfluss auf noch mehr soziale
Ungleichheit, die Rio ohnehin schon charakterisiere. In einem 190-seitigen
Dossier des Comite Popular ist beispielsweise von über 4000 Familien die Rede,
die wegen der Bauarbeiten für die Olympischen Spiele ihre Häuser verloren haben
und zwangsumgesiedelt wurden.
Korruption und Sicherheit
Die Korruption ist weiterhin
präsent in Rio. Gegen Bürgermeister Eduardo Paes und den ehemaligen Gouverneur
des Bundesstaates, Sergio Cabral, gibt es schwere Vorwürfe. Sie sollen
Baukonzernen beim Bau der olympischen Stätten illegale Vorteile verschafft
haben.Dafür erhielten sie und ihre Partei Zuwendungen. Beide gehören der PMDB
an, derselben Partei die Brasiliens Interimspräsident Michel Temer. Er stellte
sich gegen die demokratisch gewählte Präsidentin Dilma Rousseff, bis diese
unter fadenscheinigen Gründen suspendiert wurde. Viele Brasilianer sprechen
deswegen von einem Putsch.
Die U-Bahnlinie 4, deren Bau
sehr lange gedauert hatte und sehr viel Geld kostete, verbindet das Zentrum mit
dem weiter draußen gelegenen Viertel Barra da Tijuca. Dort steht der
Olympiapark. Allerdings dürfen lediglich Besucher der Spiele die Linie 4
nutzen, was in der Bevölkerung für großen Unmut sorgt. Die Fertigstellung der
Linie war zudem nur möglich, weil die brasilianische Regierung dem Bundesstaat
Rio einen Notkredit gewährte. Rio ist nämlich pleite und hat den finanziellen
Notstand ausgerufen.
Brasilien bietet eine
Rekordzahl von Sicherheitskräften auf. 85ooo Personen, darunter 23ooo Soldaten,
sollen die ersten Spiele auf südamerikanischem Boden schützen. Es gibt auch
Hinweise auf Verbindungen des sogenannten Islamischen Staates nach Brasilien.
Eine konkretere Gefahr für Besucher dürften die Raubüberfälle darstellen, die
zuletzt stark zugenommen haben.
Die Guanabara-Bucht ist im
Vorfeld der Spiele nicht sauber geworden. Sie gleicht immer noch einer Kloake,
weil die Abwässer von Millionen Menschen dort ungefiltert hineinfließen. Auf
der hiesigen Bucht werden die Segelwettbewerbe stattfinden. Zwar wurden an den
Zuflüssen Barrieren errichtet, um den treibenden Müll zurückzuhalten. Dennoch
zeigten sich die deutschen Segler bei ersten Testfahrten schockiert über die
Wasserqualität.
Bedürfnisse der Bevölkerung werden ignoriert
In Brasilien herrscht eine
Wirtschaftskrise. Die Inflation ist auf 8,5 Prozent gestiegen, genauso die
Arbeitslosigkeit auf 6,9 Prozent. Viele Brasilianer haben Angst um ihren Job.
Da spielen die Olympischen Spiele keine große Rolle. Dazu kommt, dass die
Spiele nach der Fußball-Weltmeisterschaft das zweite sportliche Großereignis
innerhalb kurzer Zeit sind. Massive Investitionen in Olympia und Fußball-WM
trotz sozialer und wirtschaftlicher Probleme verärgern viele Brasilianer.
Unter diesen Umständen ist verständlich,
dass die Brasilianer nicht in Partystimmung sind. 63% sagten in einer Umfrage
Mitte Juni, dass die Spiele mehr Nachteile als Vorteile bringen würden. Zwar
zog der Kartenverkauf zuletzt an, aber besonders der arme Teil der Bevölkerung
fühlt sich von den Spielen ausgeschlossen.
Vor der Weltmeisterschaft hat es schon
große Demonstrationen gegeben, weil das Geld statt in Bildungs- und
Gesundheitssystem in Stadien und andere Bauten für die WM gesteckt wurde. Seitdem
hat sich fast nichts geändert, und wieder gehen die meisten Investitionen an
den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei.
[1]
Aachener Nachrichten vom 27.7.2016, S. 17
[2]
Ebd.
[3]
Ebd.
[4]
Aachener Nachrichten vom 1.8.2016, S. 16
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