Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 15.09.16 |
von Hugo Müller-Vogg
Keine
andere Parteineugründung war so schnell so erfolgreich wie die AfD: Seit
Sonntag sitzt sie in neun Landtagen, in knapp zwei Wochen wird sie dasselbe in
Berlin schaffen. Im Bund liegt die Partei in den Umfragen auf Platz drei,
deutlich vor Grünen und Linken und mehr als doppelt so stark wie die FDP. Der
Erfolg der Rechtspopulisten geht zu Lasten aller anderen Parteien. Besonders
geschadet aber hat sie der CDU. Ohne AfD hätte es in Thüringen nicht für
Rot-Rot-Grün gereicht, in Rheinland-Pfalz nicht für die Fortsetzung von
Rot-Grün mit der FDP als Mehrheitsbeschaffer. Gut möglich, dass die SPD in
Mecklenburg-Vorpommern auf Rot-Rot setzt. Auch in Berlin spricht alles dafür,
dass die AfD der CDU so viele Stimmen wegnimmt, dass es für Rot-Rot-Grün
reicht. So grotesk es auch klingt: Die AfD schwächt die Union und macht damit
Links-Bündnisse erst möglich.
Jetzt rächt sich, dass die CDU – im
Gegensatz zur CSU – das Aufkommen der neuen Kraft am rechten Rand sträflich
unterschätzt hat. „Nicht einmal negieren“, lautete die Parole im
Konrad-Adenauer-Haus. War es Naivität oder Überheblichkeit, was die CDU zu
dieser Strategie verleitete? CDU-Generalsekretär Peter Tauber war sich im
September 2014 ganz sicher, die AfD werde der CDU nicht gefährlich werden. „Jetzt
mag sie vielleicht noch in ein oder zwei Landtage einziehen, aber ich bin mir
ziemlich sicher, dass sie den Weg der Piraten gehen wird“, sagte Tauber Anfang
September 2014. Und lag völlig falsch. Wenige Tage später erzielte die
„Alternative für Deutschland“ bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg
und Thüringen den Durchbruch. Ein paar Monate später schaffte sie in Hamburg
und Bremen ebenfalls locker die Fünf-Prozent-Hürde.
Der CDU-Generalsekretär sah die AfD
„verschwinden wie die Piraten
Der CDU-Generalsekretär erkannte da
immer noch nicht die Gefahr. Im Mai 2015 gab er der „Huffington Post“ ein
Interview. Hier ein Auszug: „HuffPost: Bei Landtagswahlen hat die AfD
vergleichsweise gut abgeschnitten. Tauber: Aber das war doch bei den Piraten
zunächst auch so. HuffPost: Ist die AfD denn jetzt die neue Piratenpartei, was
den Weg des politischen Niedergangs angeht? Tauber: Sie sehen ein wenig
verkniffener aus und sind stellenweise braun lackiert, aber ansonsten: ja.“ Nun
ja, Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.
Zwischendurch, als die AfD sich im Sommer 2015 spaltete, keimte bei der
Union neue Hoffnung auf, dieser Konkurrent werde sich selbst erledigen. Doch
dann entpuppte sich die Flüchtlingspolitik Angela Merkels als
Konjunkturprogramm der neuen rechten Kraft. Obwohl alle Umfragen
signalisierten, die AfD werde im Frühjahr 2016 bei den Landtagswahlen in
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt abermals zulegen, wollte
die CDU das nicht wahrhaben. „Nicht einmal negieren“, lautete weiterhin die
Parole.
Nicht
über die AfD zu sprechen, war die falsche Strategie
Volker Kauder, der mächtige Vorsitzende
der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, begründete diese Strategie mit seinen
Erfahrungen, die er als Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg Anfang der
1990-er Jahre gemachte hatte. 1992 nutzten die rechtsradikalen „Republikaner“
den großen Zustrom von Balkan-Flüchtlingen für ihre Agitation. Die CDU habe
sich damals auf eine Auseinandersetzung eingelassen, so Kauder im Rückblick,
und damit den „Republikanern“ indirekt geholfen. Sie kamen auf 10,9 Prozent.
Mehr als ein Jahrzehnt später wollte
Kauder diesen Fehler nicht wiederholen. Im Dezember 2015 sagte er mit Blick auf
die Landtagswahlen 2016 und die AfD: "Aus Erfahrung weiß ich, je mehr wir
über
Auch der CDU-Hausdemoskop lag völlig falsch
Die erschreckende Selbsttäuschung der
CDU im Umgang mit der AfD basiert nicht nur auf den Erfahrungen eines Volker
Kauder oder den „Befehlen“, die Peter Tauber, der Sekretär der Generalin
Merkel, ausführt. Dies alles basiert auch auf den Einschätzungen von Matthias
Jung, dem Chef der Forschungsgruppe Wahlen und Hausdemoskopen der CDU. Jung
hatte schon vor der Gründung der AfD stets die These vertreten, die
konservativen Wähler würden mehr oder wenig „automatisch“ CDU wählen, allem
Grummeln über die „Sozialdemokratisierung“ ihrer Partei zum Trotz. Mit dieser
Begründung hatte im Herbst 2012 Taubers Vorgänger Hermann Gröhe den Mitgliedern
des konservativen „Berliner Kreises in der CDU“ zu verstehen gegeben, zum Kurs
der Merkel-CDU gebe es keine Alternative. Der „Berliner Kreis“ sei somit
überflüssig. Zwei Mitgliedes dieses Kreises, die Publizisten Alexander Gauland
und Konrad Adam, zogen daraus die entsprechenden Schlüsse: Kurz darauf gehörten
sie zu den Mitbegründern der AfD. Sie blieben nicht die einzigen ehemaligen
Parteigänger der CDU, die in der AfD die Alternative für konservative CDU-Wähler
sahen und sehen.
Die CDU-Spitze übersah alle diese
Alarmsignale oder nahm sie nicht ernst. Selbst nach den spektakulären
Wahlerfolgen der AfD bei den Landtagswahlen im Herbst 2014 blieb die Partei bei
ihrer Marschroute: „nicht einmal negieren“. Der Wahlforscher Jung bestärkte sie
darin. In einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Oktober 2014,
also kurz nach den ersten drei Landtagswahlerfolgen, räumte er zunächst einmal
mit dem Glaubenssatz von Franz Josef Strauß auf, „Rechts von der CSU darf es
keine demokratisch legitimierte Partei geben!“ Jung: Das habe nur in einem
„Parteiensystem mit eindeutiger Lagerorientierung“ gegolten. Diese
Lagerorientierung gebe es aber nicht mehr.
Sodann sprach Jung zur Freude seiner Zuhörer
von den „Chancen für die Union durch AfD“. Programmatisch erhalte der
„Modernisierungsprozess und der Kurs der Mitte“ durch die AfD eine „größere
Glaubwürdigkeit“. Zudem böte die AfD „mehrheitstechnisch“ neue Chancen für die
Union. Jungs steile These: Wegen der AfD würden „Mehrheiten ohne die Union
schwieriger.“
Es gab also scheinbar gute Gründe für die CDU,
die Herausforderung durch die AfD nicht allzu ernst zu nehmen. Doch die
„Wirklichkeit ist real“, wie Merkel gerne im DDR-Duktus zu spotten beliebt.
Sehr real ist in diesem Fall eines: Die CDU-Strategie, die AfD analog zu den
Piraten einfach auszusitzen, ist krachend gescheitert. „Nicht einmal negieren“
war kein Rezept – jedenfalls kein gesundheitsförderndes.
Veröffentlicht in „Tichys Einblick“ vom
7. September 2016.
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