Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 18.09.16 |
von Hans Gärtner
Liebe!Thomas
Bernhard bezichtigte das Salzburg der Sommer-Festspiele als Heuchlerin von
Universalität. „Das Mittel der sogenannten Weltkunst“ sei nur eines, das über
den „Ungeist als Perversität“ hinwegtäusche, schrieb er, „wie alles … hier nur
ein Wegtäuschen und ein Wegheucheln und ein Wegmusizieren und ein Wegspielen“
sei. Geschäftssinn triebe die Salzburger an, die die Festspiele nur
„aufgezogen“ hätten, „um den Morast dieser Stadt für Monate zuzudecken“.
Nun, immerhin wurden fünf – wenngleich nicht auch beide
extra für Salzburg geschriebenen – Stücke aus der Feder des 1989 im Alter von
58 Jahren verstorbenen so hochgepriesenen wie vermaledeiten Autors in Salzburg
uraufgeführt. Eine Tafel am Landestheater erinnert daran. An erster Stelle:
„Der Ignorant und der Wahnsinnige“. Am 28. Juli 1972 war hier die Uraufführung.
Ein großer Erfolg – für Bruno Ganz als Doktor (der Wahnsinnige), aber auch
Ulrich Wildgruber als Vater (und Ignorant) der Sängerin der „Königin der Nacht“
(Angela Schmid, s. Foto: Figurine von Moidele Bickel). Viel Wirbel gab es
backstage. Da war zum einen der dreiste Regisseur Claus Peymann mit
Beschimpfungen der Bühnenwerker als „Arbeitergesindel“ und „Scheißösterreicher“
und der Forderung nach original französischem Champagner für die Schluss-Szene
im Nobelrestaurant „Zu den Drei Husaren“. Zum andern der oft zitierte
„Notlicht-Skandal“: Weil die Feuerpolizei untersagte, bei der Premiere das
Notlicht für die nach dem Willen von Autor und Regisseur in totale Finsternis
zu tauchende Schluss-Szene abzuschalten (was bei der Generalprobe klappte), kam
es zu keiner 2. Aufführung des Stückes.
„Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“ – möglich,
dass Bernhard diesen Schluss-Text des Sarastro aus W. A. Mozarts Oper „Die
Zauberflöte“ einst selbst gesungen hat. Jedenfalls forderte er für den Schluss
des „Ignoranten“, in dem es um die „Zauberflöte“ geht, absolutes Dunkel, was
die Feuerpolizei verbat. Der Autor war erbost über die „Ignoranz“ (!) der
Festspiel-Administration. „Eine Gesellschaft, die 2 Minuten Finsternis nicht
verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus“, telegrafierte er am 2. August 1972
um 14.17 Uhr an den Festspielpräsidenten Josef Kaut.
Schwamm drüber? Das ambivalente Verhältnis des widerborstigen
Bernhard zu Salzburgs Festival kann
nicht vergessen werden. So sagte sich der aus seinem Amt als Interims-Leiter
des weltweit größten Klassik-Festivals scheidende Sven-Eric Bechtolf. Seine
Gegner werfen ihm Altbackenheit und Arroganz vor. Beides vereinigt die Rolle
des Doktors im „Ignorant“. Und Bechtolf griff zu. Ließ sich, ein Regisseur von
hohen Graden (die drei Salzburger Da Ponte-Opern Mozarts hat er inszeniert),
von Gerd Heinz als nicht eben einfallsreichem Spielleiter und Bühnenbildner Martin
Zehetgruber die Landestheater-Bühne publikumswirksam zubereiten, um als Koryphäen-Hirn-,
Herz- und Harnblasen-Sezierer im messerklingenscharfen Wider-Geist Thomas
Bernhards herrlich monoman zu agieren. Seinen Auftritt, gerade im ersten Akt,
machte Bechtolf zum fulminant ausgestoßenen Alleingang Bernhardischer
Rundumschläge gegen Print-Feuilletonismus, Opernbetrieb, Pathologie-Gläubigkeit
und Künstlichkeitsperfektionismus, vornehmlich die einer frag- und mühelos funktionierenden
Koloraturmaschinerie, wie sie der Interpretin der „Königin der Nacht“
abverlangt wird.
Annett Renneberg, einem Millionenpublikum als Elettra in den
Donna Leon-TV-Krimis bekannt, hätte man sich in dieser Partie neben Bechtolf
und Christian Grashof als versoffenem Vater schneidend, zickig, ausgemergelt
und – nach (witzig gemeinten) 222 „Koloraturmaschinen“-Auftritten an allen
bedeutenden Opernhäusern Europas – ausgelaugt gewünscht. „Erschöpfung, nichts
als Erschöpfung“ – so schließt das Stück. Allerdings nicht ohne eine
Reminiszenz an das, was vor 44 Jahren an selbigem Ort passierte, wenn auch im
glatten Gegenteil. Gerd Heinz ließ es, toll, grell aus tausend (wie des Doktors
Anzug: weißen) Glühbirnen gleißen, dass dem Zuschauer die Augen schmerzten.
Erst in allerletzter Sekunde verfinsterte sich die Bühne, und ein wüstes
Geschirr- und Gläserklirren (zum Teufel mit all dem Kram!) traf die Ohren
derer, die an diesem Bechtolf-„Feier-Abend“ bis zum bitteren Ende ausharrten. Gefühlte
20 Prozent Bernhard-Connaisseurs nur erlebten ihn und schienen die (freilich
heute längst überholten) Kultur- und Pathologie-Kritik-Passagen, die auf die
Zeit um 1970 zutrafen, nicht kapiert zu haben. Es gab zu wenig Lacher, zu wenig
Feixende, und kaum Bernhard-Infizierte, die diese Aufführung als eine
Sternstunde schauspielerischer Monolog-Kunst mittrugen.
In Thomas Bernhards Salzburger Theaterstücke konnte man sich
bei einer feinen, mit dem Werk Peter
Handkes kombinierten Ausstellung des Literaturarchivs Salzburg vertiefen.
Diesen Ort (Kaigasse 5 – 7) überhaupt gefunden zu haben, schätzt sich ein lange
Suchender glücklich. Schaute er doch in Dokumente und nachgestellte Miniatur-Szenen,
autobiografische Fotos und zeitgeschichtliche Bild-Belege, nicht nur zum
„Ignorant“, auch zum „Theatermacher“ (uraufgeführt 1985). Darin bezieht sich
Bernhard ironisch auf den „Notlicht-Skandal“: Für sein Utzbacher Gastspiel will
Staatsschauspieler Bruscon totale Finsternis. Der Feuerwehrhauptmann des Dorfes
gewährt sie ohne weiteres. Salzburg – wie kläglich stehst du, als Theaterstadt,
gegen das Provinz-„Theater“ von Utzbach da!
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