Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 21.09.16 |
von Hans Gärtner
Von der Tragödie der jungen Frau könne man, bei aller Liebe
zur großartigen, herzzerreißenden Musik, ja doch wohl nicht absehen. So
versuchte ein Salzburger Kollege auf den sozialkritischen Kern der diesen
Sommer erstmals in Salzburg „fest“-gespielten Oper „Faust“ von Charles Gounod
hinzuweisen. Also auf das tragische Ende der Marguerite, Goethes „Gretchen“.
Dank des Paktes mit Méphistophélès zum leckeren Lover gewandelt, machte Faust,
nun nicht mehr alter Glatzkopf, der sich auf seinem Lehrstuhlpult verschraubte,
großen Eindruck auf das junge Mädchen. Es endet freilich elend. Tod im Kerker.
Von Orgelklängen aus spitz nach unten zulaufenden Pfeifen messerscharf
begleitet. In den Himmel kommen dann eh alle …
Auf der Breitwandbühne des Großen Salzburger Festspielhauses
stirbt Marguerite nicht einfach so. Auch nicht im finsteren Verlies. Sie wird
grausam und zynisch verlacht zu Tode gehetzt und gedrückt. Vom „Chor“. Der
übernimmt die Rolle des Mörders. Kollektiv statt Einzeltäter. So wollte es der
58-jährige Salzburger Festspiel-Debütant Reinhard von der Thannen. Er bedingte es
sich aus, gepriesen als Ausstatter von Neuenfels` Bayreuther „Ratten-Lohengrin“
2011, seinen ersten „Faust“ nicht nur zu bebildern, sondern auch zu in Szene zu
setzen. Sein raffiniertes, kühles, vier Epochen der „Faust“-Historie
einfangendes Konzept entwickelte er mit seiner Gattin. Hohen Anteil an der
verteufelt überzeugenden, karnevalesk heiter und zugleich todtraurig stimmenden
Präsentation der Gounod`schen Opernromanze mit Engelssang und
Teufelshohngelächter hat Giorgio Madia als Choreograf und Koregisseur. Akrobatisch
das Tanz-Völkchen in stilisierten Clown-Overalls, bald mit Zylinder, bald mit
Faschingsspitzhut. Lemuren gleich kriecht es am Boden oder ringelt sich um das
mit Siébels Margeriten bestückte Gestühl.
Die für konventionell Eingestellte konsternierend zu nennende
Inszenierung geht als unerwarteter „Dreh“ in die Geschichte der Salzburger
Festspiele ein. Da bleibt die musikalische Finesse, die durchaus zu hören war,
im Hintertreffen – zu unrecht. Verantwortet hatte sie der inzwischen versierte Alejo
Pérez, den sich immerhin ein Placido Domingo im Vorjahr für den Salzburger
konzertanten „Werther“ gewünscht (und gesichert) hatte. Der 42-Jährige Argentinier
kam mit den sehr selbstständig zu Werke gehenden Wiener Philharmonikern gut
zurecht. Er ließ den französischen, katholisch geprägten Gounod oft oszillieren.
Eingesprengt in das von einem ovalen Mittel-Auge dominierte, von Kreuzgang,
Liebesbett-Stübchen (mit Marthe Schwerdtlein drauf) und einem dicken
Zauber-Kühlschrank bereicherte, stetig taghell designte Bühnenbild: neckisches Kinderspielzeug
mit Kirche, Kirmes, Kugeln, Kämmerlein. Auf die Hölle pfiff von der Thannen,
auch aufs geisterhafte Treiben zur Walpurgisnacht – all dies überließ er dem
Mann am Pult.
Thannen kreierte eine musikalisch finster glühende Gegenwelt
zum rauschhaft lichten optischen Diesseits – und zwar in Gestalt des höllischen
Impresarios namens Mephisto. Ihm lieh Ildar Abdrazakov, Baschkire des Jahrgangs
1976, brutal-groteske Gestalt in Attitüde und Wohllautstimme. Als manipulativer,
geschwänzter Manager der Unterwelt gelang es ihm pfiffig, den nach
Jugendlichkeit lechzenden Altglatzkopf Faust an sich zu ketten. Beide glichen
sich im Verlauf von 5 Akten immer mehr.
Den blendend aussehenden Bürgerstochter-Verführer gab, ohne
Tricks, dafür mit Charme und Schmelz, der polnische Ausnahme-Tenor Piotr
Beczala. Eine Glanzleistung. Das Lyrische der zwar nicht heiklen, aber
Geschmack verlangenden Partie brachte er ebenso zum Leuchten wie das
Dramatische, das „dahinter“ steckt. Top-Töne steuerte Beczala so sicher an wie
er sie hielt, zum Niederknien. Bar jeglicher tenoraler Künstlichkeitspose.
Neben diesem Ideal-„Faust“nahm sich die
verhalten-kraftvolle, eher ländlich gutmütig wirkende, mehr Heilige als Hure
verkörpernde Marguerite der Italienerin Maria Agresta beglückend aus. Angenehm
in ihrer Mädchenhaftigkeit. Aber nie Unschuldslamm, immer sich ihrer glühenden
Leidenschaft, verständlicherweise nicht für Siébel, bewusst. Dass sie die
„Juwelen-Arie“ auch bei fehlenden Juwelen, die Thannen durch einen
Glitzer-Fummel ersetzte, dennoch glitzern ließ, war ein Überraschungs-Geschenk
an das stimmenverwöhnte Salzburger Publikum.
Die Marthe der Marie-Ange Todorovitch kam witzig, der
Schwestern-Beschützer Valentin (Alexey Markov) wegen Hustenanfällen noch gut
über die Runden, Paolo Rumetz als Wagner zu aufgeblasen daher und das irische Münchner
Sopran-Goldstück Tara Erraught als Siébel bestens an, was die angenehme Kehle,
weniger das Outfit anbetraf.
Über so manche optische Peinlichkeit dieser originellen
„Faust“-Version (was sollte das über dem Chor baumelnde Riesenskelett?) sei
gnädig hinweggesehen, mit einem klaren „Rien“, dem ersten Wort des an Goethe
angelehnten Librettos von Barbier/Carré. Es sei hier, wie bei Thannen (s. Foto
vom Schlussapplaus) auch das letzte.
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