Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 22.09.16 |
Das kardinale Mißverständnis von Angst und Furcht zeigt, wie weit sich die abgeschirmten politisch-klerikalen Eliten inzwischen von den Gefühlen und Gedanken der „einfachen Leute“ verabschiedet haben.
von Wolfgang Ockenfels
Die Zeit sei aus den Fugen geraten – meinen jetzt nicht
nur die konservativ Besorgten,
die es haben kommen sehen. Auch wer bisher die ständige Aufbruchsbereitschaft harmonieoptimistisch beschwor („Wir schaffen
das“, „Yes we can“) und permanente Modernisierung in Politik und Kirche
predigte, beschränkt seine Hoffnung auf rechtlich geordnete Verhältnisse. Denn
es geht wohl entschieden zu weit, daß muslimische Terroristen und Amokläufer nicht
nur weltweit, sondern sogar im friedlichen Reservat Deutschland Panik
verbreiten. Das geht nun überhaupt gar nicht, um es in der Sprache der
Bundeskanzlerin und unserer deeskalierenden Psychologen und allversöhnenden
Theologen zu sagen. Sie suchen krampfhaft
nach Erklärungen jenseits der einfachen Erfahrung, daß zwar nicht alle Muslime
Terroristen, jedoch die meisten Terroristen heute Muslime sind.
Besonders
herausgefordert fühlen sich die Islamversteher der pastoral-flexiblen Art, die
es „überhaupt gar nicht“ verstehen wollen, daß es noch Koran - und
Schariagläubige geben kann, die ihren Glauben wörtlich ernstnehmen. Einer von den höchst
Verständnisvollen unter anderen Beliebigen, die ein „Wort zum Sonntag“ im
ARD-Programm von sich geben, war ein Prälat der besonderen Art aus München. Ihm
entfuhr der bemerkenswerte Satz: „Als Christ sage ich: Die
tiefste Ursache der
Sünde, also auch der Gewalt und des Hasses, ist die Angst ... vor dem Anderen.“ Das
sagte er mit einer ziemlich ängstlichen Miene, die nicht
gerade erlöst und
hoffnungsvoll aufleuchtete.
Solche
laienpsychologischen Sätze muß man nicht für häretisch, aber doch für ziemlich einfältig
halten. Gibt es nicht auch eine berechtigte Gewalt (die des Rechtsstaates) und
einen berechtigten Haß (den gegen das Verbrechen)? Und gehört die Angst
nicht zur „Grundbefindlichkeit“ des
Menschen (Heidegger, Kierkegaard), die von manchen Philosophen sogar als Motiv
jeder Religion angesehen wird? Eine Angst, die sich als Warnsignal in konkreter
Furcht notwendig, also notüberwindend äußert?
Das kardinale
Mißverständnis von Angst und Furcht
Das kardinale
Mißverständnis von Angst und Furcht zeigt lediglich, wie weit sich die abgeschirmten politisch-klerikalen
Eliten inzwischen von den Gefühlen und Gedanken der
„einfachen Leute“ verabschiedet haben. Bei den intellektuell verachteten deutschen
Ureinwohnern wächst nämlich die Klage
über die unkontrollierte Einwanderung muslimisch-orientalisch-afrikanischer
Migranten, über ständig mißlingende Integration, über wachsende
Gewaltbereitschaft in einer „multikulturellen Gesellschaft“, über die Verachtung
des schwächlichen Christentums. Das Bedürfnis nach Sicherheit tritt in den
Vordergrund, denn es ist die Bedingung für die Freiheit des Individuums wie der
Gemeinschaften.
Unser
Rechtssystem ist überfordert
Doch unser Rechts-
und Sozialstaat scheint überfordert zu sein, die Sicherheits-erwartungen seiner
Bürger zu erfüllen. Denn die Bürger verabschieden sich zunehmend von sozialen,
politischen und religiösen Bindungen und Verbindungen.
Als
Individualisierung und Pluralisierung beschreibt man diese Entwicklung, soziologisch
verharmlosend. Ethische Verbindlichkeiten sind von Soziologen nicht zu erwarten,
sie ersetzten weder Sozialethiker noch Theologen, die Wert auf integrative
Prinzipien wie Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl legen. Aber wie authentisch legen EU-Politiker und
Sozialethiker diese Prinzipien noch aus? Vor allem das Subsidiaritätsprinzip,
das individuelle, regionale und nationale Unterschiede noch zuläßt und nicht
einebnet?
Schleichender Auszug
aus „sozialen Systemen
Unabhängig von
aktuellen Horrormeldungen ereignete sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten
europaweit ein schleichender Auszug aus „sozialen Systemen“ ,die einst
Orientierung und Sicherheit zu bieten versprachen. Einfach nicht mehr
mitzumachen, zu kündigen– ist dabei nicht bloß der satten Trägheit zu verdanken,
sondern kommt vor allem aus Resignation, Protest und (wenigstens passivem)
Widerstand. Austritte sind bedenkliche Warnsignale der Auflösung. Manchmal
eröffnen sie aber auch neue Chancen.
Hier einige
Beispiele: (1.) Seit 1990 haben die etablierten Parteien die Hälfte ihrer Mitglieder
verloren. Was ist von „alternativen“ Parteien zu halten? Gehen sie über bloße Kritik hinaus und deuten
bessere Möglichkeiten an? (2.) Am 23.
Juni dieses Jahres haben die Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union
gestimmt. Wird sich die EU selber abschaffen oder doch noch reformieren? (3.) Seit Jahren
verzeichnen die tonangebenden Printmedien vernichtende Auflagenverluste. Wer
oder was füllt diese Lücke? Und schließlich (4.) betrifft der Massenaustritt
auch die christlichen Kirchen. Was kommt nach der Volkskirche?
Wer vermittelt
verläßliche Werte und sichere Orientierung?
Wer sind die neuen
„Sinnproduzenten“, wer vermittelt verläßliche Werte und sichere Orientierung?
Diese Fragen richten sich zunächst an die Eliten und Repräsentanten von Kirche
und Politik, die aber selber stark verunsichert sind. Notwendig erscheint
zunächst eine stärkere Entkoppelung von Kirche und Politik, wie sie von Papst
Benedikt XVI. unter dem Stichwort der „Entweltlichung“ gefordert wurde. Die
finanziellen Sicherheiten, welche die Kirche und ihre Caritas in Deutschland
genießen konnten, sind dahin, sobald sich ein „Recht“ auf Abtreibung und Suizid
europapolitisch durchgesetzt hat. Eine christliche Caritas hat in einem
selbstmörderischen System nichts mehr zu suchen, wenn sie sichnicht selber aufgeben
will.
60 Prozent der
Migranten können nicht auf dem Arbeitsmarkt integriert werden
Und was die
Spezialitäten der deutschen Sozialpolitik betrifft, so steht diese auf den wackeligen Beinen
einer Wirtschaftsentwicklung, die keinerlei Garantie auf Wachstum geben kann.
Nach Umfragen von Allensbach können 69 Prozent der Migranten nicht in
den Arbeitsmarkt integriert werden. Sie und ihre Nachzügler werden von
sozialstaatlichen Zuwendungen leben müssen und damit unmittelbar in Konkurrenz zu den
Millionen Hilfsbedürftigen treten, die wir schon jetzt in Deutschland haben.
Hier bahnt sich eine neue soziale Frage an, die sich im Verteilungskampf um
soziale und nationale Partizipation zu erkennen gibt. Die Bezieher sozialer
Transferleistungen werden begreifen, daß sie ihre Renten nicht von Europa,
sondern vom Nationalstaat erhalten. Jedenfalls nicht von jenen
Migranten, die weder
zum Sozialprodukt noch zum sozialen Frieden beitragen.
Der Text erschien zuerst in: „Die Neue Ordnung“
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