Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 29.09.16 |
Immer mehr Europäer vermissen das Gefühl von Sicherheit und Stabilität, und Heranwachsende sind mit gesellschaftlichen Erregungszuständen konfrontiert, die auf gefährliche Weise Xenophobie befördern. In dieser Situation brauchen Deutschland und Europa pädagogische Modelle, die das gute Miteinander von Menschen unterschiedlicher Kulturen erlebbar machen.
von Bernd Westermeyer
Seit Jahrtausenden bereiten
Eltern ihre Kinder und Lehrende ihre Schülerinnen und Schüler auf das vor, was
sie selbst als "die Welt" begreifen. Naturgemäß waren diese
jeweiligen Welten immerfort Wandel unterworfen und außerdem stets Naturkatastrophen,
Krankheiten, Kriegen, wirtschaftlichen und anderen Krisen ausgesetzt.Die eigene
Kultur, d. h. vor allem das Leben im heimatlich-vertrauten sprachlichen
Bezugssystem, die gewissenhafte Pflege spezifischer Traditionen und vor allem
auch kollektive religiöse Vorstellungen gaben den Menschen jedoch ein gewisses
Maß an Sicherheit. Jede neue Generation konnte auf dieses bewährte
Koordinatensystem zurückgreifen, in dem und mit dessen Hilfe sie sich
orientieren und ihren Weg gehen konnte.
Europa
zwischen Uneinigkeit, Aktionismus und Angst
Heute vermissen immer mehr
Europäer dieses Gefühl der Sicherheit und Stabilität. Wie die Europäische Union
künftig zum Beispiel mit dem neuen Phänomen der kriegs- oder auch
klimabedingten Massenmigration gen Zentraleuropa umgehen wird, ist noch völlig
offen. Bereits jetzt aber wird deutlich, dass sich das gesellschaftliche Gefüge
Deutschlands und anderer europäischer Staaten durch die starke Zuwanderung von
Menschen aus anderen Kulturkreisen verändert.
Die Regierungen Europas reagieren
in dieser Situation sensibel auf Stimmungen im nervösen (Wahl-) Volk.
Entsprechend begegnen sie vor allem dem Islam, der den meisten ihrer
Bürgerinnen und Bürgern sehr fremd ist, entweder kategorisch abweisend oder sie
verpflichten zugewanderte und bereits ansässige Muslime sogar gesetzlich, sich
zu integrieren. Was dies über das zweifellos notwendige Erlernen der jeweiligen
Landessprache sowie Verfassungstreue hinaus genau heißt, ist bislang nicht geklärt.
Auf der Hand aber liegt, dass der wachsende Druck auf Muslime, sich einem aus
ihrer Sicht unvorstellbar säkularen, weil aufgeklärt-christlichen Kulturraum bis
hin zur Badekleidung anzupassen, für Irritation und Verärgerung sorgt.
Verkompliziert wird diese
konfliktträchtige Gemengelage durch immer neue Gewalttaten von Islamisten.Mit welcher
spezifischen Zielsetzung und wo in der Welt auch immer diese Terroristen ihre Anschläge
verüben: dank einer exzessiven medialen Verstärkung im 24/7-Takt entsteht bei
Jung und Alt der Eindruck, ein jeder von uns sei beständig und unmittelbar bedroht.
Und im Ergebnis macht sich – genau wie beabsichtigt – jenes belastende und
zugleich Irrationales befördernde Gefühl breit, das man mittlerweile selbst im
englischen Sprachraum mit dem deutschen Wort "Angst" bezeichnet.
Heranwachsende
verschiedener Kulturen brauchen gemeinsame Positiverfahrungen
Im toten Winkel der kaum noch
zu überschauenden Diskussion der Erwachsenen, wie angemessen auf Migration sowie
innerstaatliche Sicherheitsdefizite zu reagieren sei, stehen junge Europäer ebenso
wie junge Zuwanderer. Sie sind einer sie nachhaltig verstörenden Lebens- und
Medienwelt ausgeliefert, und es überrascht nicht, dass viele Kinder und
Jugendliche gegenüber den Angehörigen der jeweils anderen Kultur bzw. Religion Misstrauen
und Intoleranz entwickeln.
Einen positiven pädagogischen
Gegenentwurf zu dieser nachhaltig negativ prägenden Vorurteilsbildung von
Kindern und Jugendlichen in Europa hält der Schulverbund Round Square bereit. Er konstituierte sichanlässlich des 80. Geburtstages des Gründers der Schule Schloss
Salem, Kurt Hahn, bereits Ende der 60er Jahre in Deutschland und wurde zu einer internationalen
Erfolgsgeschichte.
Die
Quadratur des Kreises ist möglich
Round Square macht es sich bis heute zur Aufgabe, das pädagogische Erbe Hahns aktiv zu
bewahren - insbesondere durch die Ermöglichung des gemeinsamen Einsatzes unterschiedlichster
Schülerinnen und Schülern für hilfsbedürftige Menschen. Im Jahre 2012 umfasste
das Netzwerk etwa 100 Schulen auf allen fünf Kontinenten, im Herbst 2015 waren
es bereits über 150 und innerhalb der nächsten fünf Jahre rechnet die Organisation
trotz strenger Auswahlkriterien und einer entsprechenden Überprüfung der pädagogischen
Arbeit jeder Schule vor Ort mit einer weiteren Verdoppelung.
Was aber bewirkt
dieses rasante Wachstum, was bringt weltweit immer mehr ambitionierte Schulen
dazu, sich um Aufnahme in den Round
Square-Schulverbund zu bewerben? Die Antwort liegt wohl vor allem in den sechs
pädagogischen Prinzipien, die von Hahn zunächst in Salem und später auch an den
zahlreichen weiteren von ihm gegründeten Schulen und United World Colleges fruchtbar
gemacht wurden:
1.Multinationalität und respektvolles Miteinander in der
Schule, aber auch bei Sozialprojekten mit Partnerschulen aus anderen Ländern
2.Förderung von Schüler(n)-mit-Verantwortung und Einübung
eines fairen Umgangs innerhalb der Schulgemeinschaft
3.Aktives Engagement zur Bewahrung unserer Umwelt
4.Erlebnislernen, das zupackendes Handeln und
motivierende Selbsterfahrungen ermöglicht
5.Übernahme von Führungsverantwortung, gekennzeichnet
von Rückgrat und Rücksichtnahme
6.Mehrjähriger Sozialdienst beim Roten Kreuz, bei der
DLRG, in Pflegeheimen, Förderschulen etc.
Es wäre
wunderbar, wenn diese im wahrsten Sinne des Wortes „Grund legenden“ pädagogischen
Zielvorstellungen unabhängig von Round
Square an möglichst vielen Deutschen und europäischen Schulen in gelebte
Praxis übersetzt werden würden. Sollte es doch unser Ziel sein, der Angst
keinen Raum zu geben und junge Menschen aller Kulturkreise stattdessen so zu
prägen, dass sie als Kosmopoliten bereit und in der Lage sind, mit Kopf, Herz
und Hand Verantwortung für sich selbst, vor allem aber auch für Ihre Mitmenschen
zu übernehmen.
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