Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 30.09.16 |
Nicht nur in den wohlhabenderen westeuropäischen Staaten wird Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht, Anschläge verübt und wie in Bautzen physisch angegriffen. Aus osteuropäischen Ländern kommen täglich neue Schreckensmeldungen, die jedweder Vorstellungen von Humanität und Menschenrechten widerspricht.
von Michael Lausberg
Vertreter der Europäischen Union, wie Österreichs Außenminister Sebastian
Kurz, fordern die weitere radikale Abwehr von Flüchtlingen. Kurz erklärte Ende
Juni: „Wenn sich jemand illegal auf den Weg nach Europa macht, muss er an der
EU-Außengrenze gestoppt und am besten in das Transit- oder Herkunftsland
zurückgebracht werden.“
Die Flüchtlingszahlen nach Osteuropa sind nach der Schließung der Balkanroute
im Frühjahr 2016 wieder leicht gestiegen. Es wird geschätzt, dass täglich bis
zu 250 Flüchtlinge meist mit Hilfe von Schleusern über die Route in
Südosteuropa geführt werden. Im Grenzgebiet zu Ungarn, wo viele Flüchtlinge
sich konzentrieren, werden sie ohne rechtstaatliches Verfahren nach Serbien und
Kroatien abgeschoben.
Rechte
Milizen und Bürgerwehren
In mehreren osteuropäischen Ländern haben sich rechte Milizen und
Bürgerwehren gebildet, die diese Politik umsetzen, indem sie Flüchtlinge jagen,
verprügeln und ausrauben. Die weit rechts stehenden Regierungen dieser Staaten und
weite Teile der Bevölkerung unterstützen oder tolerieren die Selbstjustiz
dieser Gruppen.
Selbst bürgerliche Medien müssen einräumen, dass die rechten Banden in
enger Verbindung zu offiziellen Kreisen stehen. Spiegel Online zitierte
bereits im April den tschechischen Politologen Miroslav Mares von der
Masaryk-Universität Brünn. Er bezeichnet die paramilitärischen Einheiten als
„unkontrolliertes und gefährliches Phänomen“. „Die neuen Bürgerwehren haben den
Bereich der Subkultur verlassen“, sagt Mares. „Sie sind gut organisierte,
aktionsbereite politische Kräfte.“ Die meisten Staaten seien im Umgang mit
diesen Kräften „untätig“.
In Bulgarien macht seit über
einem Jahr die „Organisation zum Schutz der bulgarischen Bürger“ (OSBG) von
sich reden. Sie jagt bei sogenannten „Waldspaziergängen“ im Grenzgebiet
Flüchtlinge und übergibt sie der Grenzpolizei. Es sind zahlreiche Fälle
bekannt, in denen die Flüchtlinge zuvor misshandelt und ausgeraubt wurden. Von
der Regierung forderte die Organisation öffentlich, dass sie ein „Kopfgeld“ von
25 Euro für jeden übergebenen Flüchtling ausschreibt. Zudem verwies der rechte
Regierungschef Bojko Borissow auch auf eine Grenzschutzübung von Armee und
Polizei im Grenzgebiet zu Griechenland. Er äußerte, dass selbst die Flüchtlinge
wüssten, dass Bulgarien seine Grenze gut schütze .Der Zaun deckt jedoch bei
weitem nicht durchgehend die komplette Grenze ab. Bis zum Juni 2016, waren es
146km; Bulgariens Regierungschef kündigte an, bei Bedarf seine Truppen an
der griechischen Grenze zu verstärken und dort gegebenenfalls unverzüglich auch
einen Schutzzaun zu bauen.
Die rechten Bürgerwehren haben keine Sanktionen zu befürchten. Sie erhalten
für ihre Straftaten im Gegenteil volle Unterstützung von staatlicher Seite.
Borissow dankte den Menschenjägern ausdrücklich: „Jegliche Unterstützung für
die Polizei, den Grenzschutz und den Staat ist willkommen.“
Die Bürgerrechtsorganisation Helsinki-Komitee Bulgarien erstattete
daraufhin Anzeige gegen Borissow wie auch gegen einige Privatmilizionäre.
Margarita Iliewa, die Leiterin des Rechtsprogramms beim bulgarischen
Helsinki-Komitee, sieht in den „islamophoben Hass-Verbrechen“ der Bürgerwehren
eine Folge „jahrelanger xenophober Propaganda von ganz oben“.
Slowakei:
Paramilitärische Organisation quält Flüchtlinge
Die Regierung der Slowakei wehrt sich, wie die von Polen und
Ungarn, gegen verpflichtende Aufnahmequoten für Flüchtlinge. 2015 beantragten
in der Slowakei nur 169 Menschen Asyl. Gegen den Plan der Europäischen Union,
bereits 2014 in der EU angekommene Flüchtlinge nach einem festen Schlüssel auf
die Mitgliedsländer zu verteilen, klagte die slowakische Regierung im Dezember
2015. In der
Slowakei, die gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, ist die
Bekämpfung der Migration offizielle Politik. Der rechtspopulistische Premier
Robert Fico erklärt unumwunden, „der Islam“ habe in der Slowakei keinen Platz,
und lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen aus vorwiegend islamischen Ländern ab.
Die Polizei geht mit extremer Härte gegen Flüchtlinge vor. Im Mai wurde
eine Frau aus Syrien an der slowakisch-ungarischen Grenze durch Schüsse
verletzt. Wie die Nachrichtenagentur TASR berichtet, hatten Polizisten
südöstlich von Bratislava vier Autos angehalten, in denen Flüchtlinge saßen.
Eines der Fahrzeuge sei angeblich nur durch Schüsse zu stoppen gewesen.
Die paramilitärische Organisation „Slovenskí Branci“ (Slowakische Rekruten)
rekrutiert sich vorwiegend aus Teilen der Armee und der Polizei. Sie konnte
ungehindert einen „Wachdienst“ vor einem Flüchtlingsheim im Grenzort Gabcíkovo
einrichten und dort die Flüchtlinge schikanieren. Daniel Milo vom
Innenministerium in Bratislava rechtfertigte im Deutschlandfunk die
Haltung der Regierung mit den Worten: „Wir haben keine rechtliche Möglichkeit
dies zu verhindern. Die Einschränkung der individuellen Freiheit hatten wir im
Kommunismus, und das will wirklich niemand mehr.“
Ungarn: Paramilitärs
werden von der Regierung Orban unterstützt
Am engsten sind die Verbindungen zwischen rechten Milizen und der offiziellen
Politik in Ungarn. Dort haben die paramilitärischen Einheiten zehntausende
Mitglieder, werden staatlich unterstützt und haben weitreichende polizeiliche
Befugnisse. Menschenrechtsorganisationen haben das ungarische Innenministerium
aufgefordert, Vorwürfe zu untersuchen, wonach sowohl die Polizei als auch eine
Bürgerwehr, die an der Grenze patrouilliert, Menschenrechtsverletzungen verübt
haben. Orbans abschreckende Flüchtlingspolitik wurde im November 2015 von etwa
drei Vierteln der Ungarn gutgeheißen. Die ungarische Regierung rief daraufhin
am 9. März 2016 landesweit den Krisenstand aus, in dem die ungarischen Polizei
mehr Rechte hat und dichtere Personenkontrollen durchführt.
Das Asylrecht existiert in Ungarn mittlerweile faktisch nicht mehr. Der
Bürgerbund (Fidesz) von Premierminister Victor Orban arbeitet eng mit den
Neofaschisten von Jobbik zusammen. Seine Regierung hat die Flüchtlingspolitik
des Landes jüngst nochmals verschärft. Aufgegriffene Flüchtlinge, die zumeist
versuchen, von Serbien in die Europäische Union zu gelangen, werden unmittelbar
nach Serbien oder Kroatien abgeschoben.
Nahe der ungarisch-serbischen Grenze, im Dorf Ásotthalom, ist seit 2013
László Toroczkai Bürgermeister, der offen faschistische Ansichten vertritt und
der rechten Jobbik-Partei nahesteht. Er organisierte voriges Jahr eine
professionell ausgerüstete „militante Bürger- und Feldwache“, die dem Staat bei
der Abschottung der Grenze gegen Flüchtlinge assistiert.
Toroczkai ist Gründungsmitglied der „Ungarischen Garde“, der größten
paramilitärischen Gruppe in Ungarn. Sie gilt als militärischer Arm der Jobbik. Gemeinsam
mit rund zwei Dutzend „besorgten Bürgern“ zieht der Bürgermeister durch das
Dorf, um Flüchtlinge einzufangen. „Gesunde Spaziergänge“ nennen die Mitglieder
der Bürgerwehr ihre Rundgänge, an denen sich Soldaten, Polizisten und
Jobbik-Mitglieder beteiligen.
Internationale Kritik an der ungarischen Flüchtlingspolitik wird zur Seite
geschoben oder ganz ignoriert. Im September 2016 forderte der luxemburgische
Außenminister Jean Asselborn, Ungarn solle wegen seiner „unmenschlichen“
Flüchtlingspolitik aus der Europäischen Union ausgeschlossen werden.
„Soldiers of
Odin“- Flüchtlingsjagd im Baltikum
Obwohl in Lettland, Litauen und Estland jeweils nur wenige hundert
Flüchtlinge aufgenommen wurden, ist in den baltischen Staaten ist eine
besonders krasse Zunahme rechter, paramilitärischer Einheiten zu verzeichnen,
In Estland wurde Anfang des Jahres ein Ableger der Gruppe „Soldiers of Odin“
nach dem schwedischen und finnischen Vorbild gegründet. Sie rechtfertigt ihre
Hatz auf Migranten als „Präventivmaßnahme gegen Terrorismus“. Die Gruppe steht
im Verdacht, in Verbindung zu einem Brandanschlag im Dorf Vao im vergangenen
Jahr zu stehen. Dort wurde im einzigen Flüchtlingsheim des Landes Feuer gelegt.
In den baltischen Staaten tragen die Regierungsparteien die Verantwortung
für das Anwachsen faschistischer Tendenzen, die ungehindert von der Polizei
Flüchtlinge jagen. Im August haben die Regierungsparteien in Litauen sich auf
ein Abkommen geeinigt, das vorsieht, keine weiteren Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Regierung von Algirdas Butkevicius hat sich bislang nur zur Aufnahme von
1100 Flüchtlingen verpflichtet.
Kaschieren
der eigentlichen Probleme
Das Anwachsen nationalistischer oder
neofaschistischer Kräfte in osteuropäischen Ländern ist ein hausgemachtes
Problem; die jeweiligen Regierungen lassen rechten Gruppen freie Hand oder
unterstützen sie gar noch. Mauern, Zäune oder Grenzschließungen sind – wie es
die jüngere Zeitgeschichte zeigt – keine Lösung. Nationalistische Alleingänge
haben auch in einer sich immer mehr globalisierenden Welt keine Zukunft. Die
Hetze gegen Flüchtlinge ist
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