Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 02.10.16 |
Gegenüber der „Welt am Sonntag“ hat Österreichs Außenminister Sebastian Kurz den Kurs der Bundesregierung bei der Flüchtlingskrise erneut scharf kritisiert. Die Verteilung illegaler Migranten aus dem Süden Europas wird die Probleme nicht lösen, sondern verstärken.
von Stefan Groß
Der
junge dynamische Außenminister ist dafür bekannt, Problemen nicht aus dem Weg
zu gehen. Mit seinen 30 Jahren ist er nicht nur der jüngste Außenminister der
Welt und bereits eine feste Größe in der EU-Außenpolitik, sondern der
Ingenieurssohn aus dem Wiener Arbeitermilieu weiß auch genau, was sein Volk
will und reagiert blitzschnell. Kurz war nie ein Befürworter von Merkels
„Politik der offenen Grenzen“. Er war maßgebend an der Schließung der
Balkan-Route beteiligt und sieht in Sachen Flüchtlingspolitik derzeit keinen
„Strategiewechsel“ in Berlin.
In
einem Interview hat er nun die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel
auf dem Flüchtlingsgipfel in Wien, in Zukunft mehrere hundert Flüchtlinge im
Monat aus Griechenland und Italien aufnehmen als falsch bezeichnet. Eine solche
Politik (...) wird leider das Gegenteil erreichen: Es werden dadurch vermutlich
noch mehr Flüchtlinge nach Griechenland und Italien kommen und diese Länder
werden noch stärker belastet werden.“
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht
Wenngleich
die Politik Made in Germany gut gemeint sei, so der ÖVP-Politiker, impliziere
sie doch „negative Auswirkungen“, denn das Kausalitätsprinzip wird gekippt.
Statt die Ursachen zu bekämpfen, wird den Migranten das Gefühl gegeben, dass es
sich wieder lohnt, nach Deutschland oder in die EU-Länder zu fliehen. Mit dem
neuerlichen Verteilungsdenken der Kanzlerin ist aber die „Politik des
Weiterwinkens immer noch nicht beendet“, sondern werde nur in anderer Form
weitergeführt.
Neue Flüchtlingswelle wird geradezu beschworen
Merkels
Gesinnungsethik ist zwar moralisch wertvoll, so sie mit ihrem Vorschlag die
Südachse der Migrationsbewegung, Italien und Griechenland, entlasten will,
führt aber zwei größere Probleme mit im Schlepptau, die keineswegs ignoriert
werden dürften. Zum einen wird das Schleppergeschäft neue Konjunktur erfahren,
zum anderen eine neue Flüchtlingswelle möglicherweise ausgelöst. Anstelle
gesinnungsethischer Motive müssten die Folgen der Handlung mehr bedacht werden,
was nur durch eine Verantwortungsethik zu realisieren sei, die einerseits auf
die Interessen des Volkes achtet, andererseits für eine gelingende Integration
sorgen muss.Wenn dies nicht
berücksichtigt wird, sind die Verlierer wieder klar benannt: die Bürger Europas.
Die große Überheblichkeit bei der Gewissensfrage
Und
direkt nach Berlin gesendet, moniert Kurz, dass es gefährlich sei, wenn sich
Staaten in Mitteleuropa als moralisches Gewissen aufspielten und damit den
Eindruck der moralischen Überlegenheit erwecken. Ein Europa der vielbeschworenen
Vielfalt, so der fromme Wunsch aus Berlin, ist nur möglich, wenn
unterschiedliche Meinungen respektiert und unterschiedliche Ansätze toleriert
werden. Gäbe es aber diesen „Grundrespekt“ wäre Europa in der Flüchtlingskrise
nicht in seiner derzeitig porösen Situation angelangt. Die Visegrad-Staaten, so
Kurz, hatten „die Einladungspolitik von Beginn an nie unterstützt.“ Und wenn
von den etablierten Parteien, auch hier schenkt Kurz der deutschen
Bundesregierung reinen Wein ein, Probleme nur schöngeredet werden, ohne
Alternativen anzubieten, dann müssen sich die „konservativen“ Parteien nicht
wundern, wenn „rechtspopulistische Kräfte auf dem Vormarsch sind“.
Eine Umverteilung in der EU ist eine Illusion
Eine
Verteilung nach Quoten bleibt für Kurz eine Illusion, und die Umverteilung der
Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten völlig unrealistisch. Viele Länder sind
nicht bereit, die hohe Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen, viele Flüchtlinge
ihrerseits weigern sich, in bestimmte Länder wie Rumänien beispielsweise
freiwillig zu gehen. „Die Maßnahme, 160.000 Flüchtlinge innerhalb von zwei
Jahren nach Quote auf die EU-Länder zu verteilen, halte ich für falsch. Die
Europäische Union sollte trotz eines Beschlusses nicht länger krampfhaft daran
fest halten, sondern sich jetzt davon verabschieden,“ so Kurz gegenüber der
„Welt am Sonntag.“
„Gefährlicher Spaltpilz“
Sollte
die EU weiterhin an ihrer Verteilungsstrategie festhalten, so ist dies für den
österreichischen Politiker ein „gefährlicher Spaltpilz“, der nicht nur die
gesamte europäische Union gefährdet, sondern zu noch mehr Missverständnissen,
Unruhen, Anfeindungen führt. Stattdessen müssen die europäischen Außengrenzen
besser geschützt werden oder, so der Gegenvorschlag von Kurz, im Rahmen von so
genannten Resettlement-Programmen die Flüchtlinge direkt aus Lagern wie in
Syrien geholt werden. Darüber hinaus muss die Auslandskatastrophenhilfe und die
Entwicklungszusammenarbeit optimiert werden. „Kurz“um: „Die
EU-Flüchtlingspolitik muss sich radikal ändern. Wir brauchen ein neues
europäisches Asylsystem, die illegale Migration und Massenzustrom von
Flüchtlingen nicht wie bisher fördert, sondern verhindert.“
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