Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 20.10.16 |
von Michael Lausberg
Mit Giotto di Bondone gingen von der italienischen
Malerei völlig neue Impulse aus. Giotto stattete verschiedene Kirchen mit
Bilderzyklen aus, darunter Alt St. Peter in Rom, die Franziskanerkirche San
Francesco in Assisi und Familienkapellen in der Florentiner Kirche Santa Croce.[1]
Giotto wendet sich gänzlich von den stilisierenden byzantinischen Vorbildern ab
und der Realität zu, er betrachtet die tatsächliche Erscheinung der
menschlichen Figur, den Raum, die Bewegung des Körpers und ihre plastische
Wirkung. Er setzt diese Beobachtungen in seiner Kunst um und schafft so eine
eigenständige, expressive Sprache, eine neue Art, den zeitgenössischen
Betrachtern die spirituelle Botschaft und die Inhalte der christlichen Lehren
zu vermitteln. Die Jungfrau Maria, Christus, die Apostel werden aus dem
Goldgrund und der flächenhaften Gebundenheit herausgelöst und in ein der
Realität des Mittelalters entsprechendes Umfeld versetzt.[2]
Giotto stand in der Tradition Cenni die Pepos (Cimabue)
einer der bedeutendsten Künstler der Tafelmalerei Ende des 13. Jahrhunderts. Um
die Mitte des 13. Jahrhunderts vernachlässigte man die Mosaike zu Gunsten der
Malerei, sie wurden vor allem durch Wandmalereien, aber auch Tafelmalereien auf
Holz nach byzantininischem Vorbild ersetzt. Die Heiligendarstellungen Cimabues
sind von größter Expressivität und zeugen mit ihren drapierten Gewändern und
der Behandlung der menschlichen Figur noch lebhaft vom byzantinischen Einfluss.
Die Linie dominiert über die Form, und die goldenen Lichtreflexe erinnern an
den Glanz der Mosaike auf Goldgrund.
Als Giotto die Arenakapelle in Padua in den ersten
Jahren des 14. Jahrhunderts ausgestaltete, war das Berufsbild des Malers nahezu
gleichbedeutend mit einem Handwerker, deren Aufgabe zu einem großen Teil darin
bestand, Wandbilder für Kirchen zu schaffen, um die biblischen Szenarien auch
der analphabetischen Bevölkerung zu vermitteln.[3]
Die bis dahin für das späte Hochmittelalter typische Malweise erfolgte nach
einem gewissen Regelkanon, war zweckgebunden – dass ein Maler dem Bild über das
Motiv heraus eine Bedeutung verlieh, ihm gewissermaßen durch seine eigene Interpretation
den Selbstzweck in Form von Kunst verlieh, war nicht üblich.
In Padua schuf er zu Beginn des 14. Jahrhunderts das
Freskenprogramm in der Kapelle des reichen Bürgers Emilio Scrovegni. In den
Bildfeldern, die die gesamte Kapelle einschließlich der Decke überziehen, sind
Szenen aus dem Leben Marias und Christi sowie Heilige und Propheten
dargestellt. Das Sockelgeschoss bildet bemalte Architektur, die Marmorplatten
imitiert, dazwischen stehen ebenfalls gemalte Personifikationen der Tugenden
und Laster.
Giottos private Andachtsbilder im Auftrag Srovegnis,
darunter vor allem das an der Nordwand befindliche Fresko „Die Beweinung
Christi“, weisen eine für ihre Entstehungszeit um 1304-1306 revolutionär neue
Bildlösungauf, und legen mit einem beginnenden naturalistischen
Darstellungsmodus den Grundstein für die Renaissance und alle sich daraus entwickelnde
Bildlichkeit.[4]
Die Beweinung Christi selbst ist in der biblischen
Geschichte nicht enthalten: nach der Kreuzabnahme wird der tote Körper
unmittelbar beigesetzt. Erst seit dem 11. Jahrhundert entstand sie in der
byzantinischen Kunst als eigene bildnerische Einheit, vermutlich, um dem
Betrachter das Geschehen näher zu bringen, und sein Mitgefühl zu wecken.
Erwähnt wird in der Bibel lediglich: „Es standen aber alle seine Bekannten von
ferne und die Weiber, die ihm aus Galiläa waren nachgefolgt, und sahen das alles“,
was als Grundlage für die später in der Ikonografie fest verankerten
Klagefrauen und zumeist 5 Personen aus dem engeren Handlungsumfeld von Jesus
dienen konnte.
Die Christusfigur von Giotto di Bondone liegt im
Vordergrund des Bildes, umgeben von sitzenden, knienden oder hockenden
Klagefrauen.[5] Kein
Teil des toten Körpers berührt den Boden: Maria, zu erkennen an ihrem blauen
Gewand, hat seinen Oberkörper auf seinen Schoß gebettet, die Füße werden von
Magdalena, die Arme durch eine weitere Frau gestützt, und eine Rückenfigur
verdeckt seine Leibesmitte. Rechterhand wenden sich stehend drei Männer dem
Toten zu, sie stellen Johannes, Joseph von Arimathia und Nikodemus dar, am
linken Bildrand drängen weitere Personen in das Bild und zum Geschehen hin.
Ein Felsen stellt den Hintergrund dar, er fällt vom rechten Bildrand nach links
hin ab, und ist vermutlich dem biblischen Standpunkt des Grabes entnommen: „Und
Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leichentuch und legte ihn in
sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen“. An seiner
höchsten Stelle befindet sich ein blätterloser Baum, auf dessen Höhe die Szene
der menschlichen Trauernden durch eine Schar von Engeln ergänzt wird, welche in
vielfacher Bewegung das obere Drittel des Bildraumes vor dem dunkelblauen
Himmelgrund füllen.
Das Bildzentrum stellt zweifelsfrei der waagerecht
positionierte Körper Jesus’ dar, dessen Kopf sich im linken Drittel des Bildes
befindet, und demnach weit nach links und unten von der Bildmitte aus
verschoben ist. Die geometrische Bildmitte ist jedoch der Kopf des sich über
den Leichnam beugenden Johannes, der einzigen männlichen Figur, welche eine
starke Anteilnahme und Bewegtheit vermittelt.[6]
Die Figuren ballen sich im unteren Bildbereich, sie
ordnen sich um den Toten an, konzentrieren sich an seinen beiden Körperenden
und wenden sich alle seinem Haupt zu, welchem im Gegensatz zum restlichen
Körper viel Freiraum gelassen wird.
Zwischen dem oberen und unteren Bildraum besteht ein
Ungleichgewicht, die menschlichen Figuren besitzen deutlich mehr Schwere als
die ätherischen Engel, und drängen sich dicht auf dem Erdboden, was das Motiv
gewissermaßen an das Irdische zu binden scheint und näher an die Welt des
Betrachters als eine abgehobene, himmlische Unerreichbarkeit heranzurücken
scheint. Rechte und linke Hälfte des Bildes halten sich dagegen weitestgehend
in der Waage; an beiden Bildrändern sind stehende Personen positioniert, die
massive Schwere des Felsens im Hintergrund wird durch die Konzentration der
Engel auf die beiden linken Drittel des Bildes ausgeglichen, welchen wiederum
ergänzend der leichtere, fast grazile Baum gegenüber steht.
Auffällig sind die Wechselwirkungen zwischen den
himmlischen und irdischen Figuren – die Engel erscheinen wie ein überirdischer
Spiegel der weltlichen Gefühle, ihre Trauer ist fast noch intensiver und
ausdrucksstärker als die der Menschen, und scheint zu verdeutlichen, dass der
Tod Jesus weit reichende Dramatik besitzt, es ordnet dem Geschehen eine
göttliche Bedeutsamkeit zu.[7]
Eine zweite Wechselwirkung tritt zwischen der Farbigkeit des Inkarnats und dem
Stein auf. Sei es möglicherweise Zufall, dass sich die Farbe und Struktur stark
ähneln, so vermittelt dennoch die große Fläche des entblößten Oberkörpers von
Jesus den Eindruck, er selbst habe sich mit seinem Tod in Stein verwandelt. Die
Leblosigkeit steht den bunten und damit lebendigen Gewändern der anderen
Beteiligten gegenüber.[8]
Die Bildordnung erfolgt vor allem durch eine, sehr
bedeutende Kompositionslinie: eine von rechts oben nach links unten abfallende
Diagonale, vergegenständlicht im Verlauf des Felsens, welche, wenn auch
verdeckt, im Haupt Christi endet, und wie ein Pfeil wirkt: sie lenkt den Blick
des Betrachters, richtet seine Aufmerksamkeit von Anfang an auf das
Wesentliche. Des Weiteren bildet der waagerecht liegende Körper der Toten eine
Horizontale bzw. leicht abfallende Linie, welche sich zu einer Querellipse rund
um den Leichnam erweitert.
Für seine Darstellung von Gemütslagen und die
Schaffung von Räumlichkeit durch Architektur wie durch Landschaft war Giotto
bereits zu Lebzeiten berühmt.[9]
Seine zahlreichen Aufträge führte er mit Hilfe einer großen Werkstatt aus. In
Florenz wurde er 1334 Dombaumeister, auf ihn geht vor allem der Entwurf des
Glockenturms der Kirche zurück. Sogar in der Göttlichen Komödie des Dichters
Dante Aligheri findet Giotto Erwähnung.[10]
Immer stärker sollten in den nächsten Jahrhunderten
der Künstler und nicht mehr nur die von ihm geschaffenen Bilder, Skulpturen
oder Kirchen in den Vordergrund rücken. Im Zuge der erwachenden Individualität
nahm um die Mitte des 14. Jahrhundertsauch die Portraitmalerei ihren Anfang. Für die private Andacht, für das
eigene Zuhause wurden neben Bildern und Skulpturen im späten Mittelalter auch
Bücher, oft mit Illuminationen versehen, hergestellt. Adelige, zunehmend auch
Bürger, bestellten biblische Texte, Romane, Chroniken oder naturkundliche
Schriften. Diese Entwicklung war auch ein Verdienst von Giotto.
Im 14. Jahrhundert wetteiferten Siena und Florenz um
die Vormachtstellung unter den Erneuern der bildenden Künste. Wenn Giotto dabei
Florenz repräsentierte, wurde Siena von Simone Martini vertreten. Martini war
der bedeutendste Maler der italienischen Gotik und sein Stil unterschied sich
grundlegend von dem Giottos.[11]
Giottos Figuren drückten eine natürliche, volksnahe
Vitalität aus, sie besitzen einen plastischen Körper und gleichen dem realen
Menschen. Martinis Figuren dagegen sind bewusst der Realität entrückt, sie
drücken Grazie, Leichtigkeit und Heiterkeit aus.[12]
Die fragilen Formen scheinen körper- und masselos zu sein, leben allein durch
ihre elegante, häufig gewellte Linie und die Schönheit der Farbe. In einem
seiner Hauptwerke, der Verkündung Mariens, zeigt Martini die Jungfrau und den
Erzengel vor goldenem Hintergrund in einem vergoldeten Rahmen. Diese Umgebung
erinnert keineswegs an eine gewöhnliches Haus oder ein Zimmer, alles ist
symbolisch und durch das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis verklärt.[13]
[1] Büttner, F.: Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung. Die Malerei
und die Wissenschaft vom Sehen in Italien um 1300, Darmstadt 2013, S. 16
[2] Imdahl, M.: Giotto. Arenafresken. Ikonographie, Ikonologie, Ikonik, München
1980, S. 18
[3] Schwarz, M. V.: Giotto, München
2009, S. 27
[4] Dupont, J./Gnudi, C.: Gotische
Malerei, Genf 1954, S. 55
[5] Büttner, F.: Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung. Die Malerei
und die Wissenschaft vom Sehen in Italien um 1300, Darmstadt 2013,S. 79
[6] Imdahl, M.: Giotto. Arenafresken. Ikonographie, Ikonologie, Ikonik, München
1980, S. 102f
[7] Schwarz, M. V.: Giotto, München
2009, S. 39
[8]Stubblebine, J.: Giotto and
the Arena Chapel Frescoes, in: Ders. (Hrsg.) Giotto: The Arena Chapel Frescoes.
An Introduction to Giotto’s frescoes in Padua with an analytic essay, documents
and source materials, critical essays and 129 illustrations, Toronto 1969, S. 8
[9] Schwarz, M. V.: Giotto, München
2009, S. 51
[10] Dupont, J./Gnudi, C.: Gotische
Malerei, Genf 1954, S. 69
[11] Toman, R./Bednorz, A.: Gotik. Architektur – Skulptur – Malerei, Köln
2005, S. 167
[12]
Ebd., S. 175
[13]
Ebd., S. 178
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.