Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 24.10.16 |
von Jörg Bernhard Bilke
Knapp zehn Wochen nach seinem 90. Geburtstag (14.Juni)
verstarb der DDR-Schriftsteller Hermann Kant am 14. August in einem
Krankenhausbett in Neustrelitz/Mecklenburg. Seine in Köln lebende Biografin
Linde Salber war in der Stunde seines Todes am Sonntagmorgen bei ihm. Seit
Jahresbeginn lebte er in einem Altersheim in Neustrelitz, nachdem er in seinem
Haus im Vorort Prälank, wo nur ein Zimmer beheizbar war, in der Nacht gestürzt
und bis zum Morgen hilflos liegen geblieben war. Seinen Fernseher hatte er, bei
immer schlechter werdenden Augen, wegräumen lassen. Seine 2015 veröffentlichte
Erzählung „Ein strenges Spiel“ hatte er als sein letztes Buch bezeichnet.
Hermann Kant, ein mit Kulturpreisen, darunter zweimal der
„Nationalpreis“ und zweimal der „Vaterländische Verdienstorden“, überhäufter
„Staatsdichter“, hat DDR-Literaturgeschichte geschrieben, als Verfasser der
drei Romane „Die Aula“ (1965), „Das Impressum“ (1972) und „Der Aufenthalt“
(1977), und zugleich, in der Nachfolge von Anna Seghers, als zweiter und
letzter Präsident des DDR-Schriftstellerverbands 1978/90, der im Auftrag seiner
Partei den DDR-Sozialismus kritisierende Kollegen bedrängte, beschimpfte und
ins westdeutsche Exil trieb. Dem Lyriker Reiner Kunze hat er bei dessen
Ausbürgerung nach Bayern am 13. April 1977 nachgerufen: „Kommt Zeit, vergeht
Unrat!“, ohne sich jemals dafür entschuldigt zu haben, auch nach dem Mauerfall
1989 nicht.
Die Tragik des gelernten Elektrikers Hermann Kant, dem es
nach Krieg und vierjähriger Gefangenschaft in Polen vergönnt war, an der
„Arbeiter- und Bauernfakultät“ in Greifswald das Abitur abzulegen und bei
Alfred Kantorowicz in Ost-Berlin Germanistik zu studieren, bestand darin, dass
er, der seit 1962 Schriftsteller war, 1978 zum Kulturfunktionär aufstieg. Damit
war ein ständiges Spannungsfeld zwischen Hermann Kant, dem Schriftsteller, und
Hermann Kant, dem Staatsdiener, eröffnet, das bis zum Mauerfall nicht
entschärft werden konnte. Denn nun war er verpflichtet, die Anweisungen der
Partei, die der Literatur einen „gesellschaftlichen Auftrag“ zugewiesen hatte,
bedingungslos umzusetzen.
Und selbstverständlich war Hermann Kant, was schon zu
DDR-Zeiten die sozialistischen Spatzen von den volkseigenen Dächern pfiffen,
unter dem Decknamen „Martin“ auch „inoffizieller Mitarbeiter“, also Zuträger,
der „Staatssicherheit“, vom 5. März 1963 bis 9. April 1976. Das war
karrierefördernd, wurde aber von ihm bis zuletzt hartnäckig bestritten, obwohl
die Beweislast erdrückend war. Warum nur? Sollte es ihm nicht eine Ehre gewesen
sein, dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ auch auf diesem Feld zu dienen? Der
Literaturkritiker Karl Corino hat in seinem Buch „Die Akte Kant“ (1995) auf 509
Seiten entlarvende Dokumente versammelt, und Joachim Walther führt in seinem
Buch „Sicherungsbereich Literatur“ (1996) über 50 Belegstellen an.
Gelegentlich hatte Hermann Kant, das soll nicht verschwiegen
werden, selbst Schwierigkeiten mit der Literaturpolitik seines Staates. Sein
zweiter Roman „Das Impressum“ (1972) über den erstaunlichen Aufstieg David
Groths vom Laufburschen einer Zeitung bis zum Chefredakteur, der dann zum
Minister berufen wird, wurde 1969 in der FDJ-Zeitung „Forum“ vorabgedruckt,
konnte aber erst drei Jahre später als Buch erscheinen, weil von einem anonym
bleibenden Zensor im SED-Politbüro eine harmlose Passage als
„gesellschaftskritisch“ gewertet worden war. Als er 1978, frisch im Amt des
Verbandspräsidenten, dem Leipziger Schriftsteller Erich Loest eine zweite
Auflage seines Romans „Es geht seinen Gang“ (1977) verschaffen wollte, sprach
er forsch bei Erich Honecker vor und drohte mit Rücktritt, was ihm harte
Parteischelte eintrug.
Zur „Gesellschaftskritik“ ist es aber später doch noch
gekommen, in den beiden Erzählungsbänden „Der dritte Nagel“ (1981) und
„Bronzezeit“ (1986). Hermann Kant, dialektisch geschult, konnte dort mit
unbequemen Themen DDR-Kritik üben, wobei er immer im Rahmen des gerade noch
Erlaubten blieb. Im „dritten Nagel“ beispielsweise nahm er sich die
DDR-Mangelgesellschaft vor, wo verbotene Bücher gegen frische Brötchen bei
einem Privatbäcker und Karten für den Opernball gegen den Termin für eine
Trauung getauscht werden. Das ist gekonnt erzählt und offenbart, dass er die
DDR-Gesellschaft und ihre Ausweglosigkeit kannte, ohne sie tiefer ergründen zu
wollen.
Schließlich war er, auch das muss erwähnt werden, schon in
jungen Jahren hartgesottener Kommunist, der nicht davor zurückschreckte, als
ABF-Student drei Kommilitonen mit anderen Meinungen bei der Besatzungsmacht zu
denunzieren, was zu deren Verhaftung und Verurteilung führte, in einem Fall zur
Verschleppung in ein russisches Arbeitslager. Auch das hat er, obwohl es Zeugen
gab, bis zuletzt bestritten.
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