Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 26.10.16 |
von Jörg Bernhard Bilke
Der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann (1922-1984), der im
Alter von 62 Jahren einem Krebsleiden erlag, wurde im nordböhmischen Rochlitz
an der Iser geboren, wo sein Vater eine Apotheke betrieb. Nach dem Abitur 1941
wurde er zur „Wehrmacht“ eingezogen, geriet 1945 in russische
Kriegsgefangenschaft und wurde zum „Antifaschisten“ umerzogen. Im
DDR-Gründungsjahr 1949 entlassen, lebte er in Ostberlin zunächst als
Kulturfunktionär der „Nationaldemokratischen Partei“, aus der er 1972 austrat,
und von 1958 bis zu seinem Tod als Schriftsteller. Sein Verhältnis zum
SED-Staat, ohne den er kein Schriftsteller geworden wäre, wurde in seinen
letzten Lebensjahren zunehmend kritischer und oppositioneller, was die 3644
Seiten von Überwachungsprotokollen der Staatssicherheit zeigen.
Die Werkausgabe in acht Bänden erschien 1993 im Rostocker
Hinstorff-Verlag, 1994 folgte ein Band „Briefe. 1950-1984“ (608 Seiten). Die
literaturwissenschaftliche Aufarbeitung erfolgte 1992 durch den Jenaer
Germanisten Hans Richter „Franz Fühmann. Ein deutsches Dichterleben“ und 2009
durch den Berliner Literaturkritiker Gunnar Decker „Franz Fühmann. Die Kunst
des Scheiterns“.
Nun erschien eine Sammlung von 14 Beiträgen, herausgegeben
von den Jenaer Germanisten Martin Straub (1943) und Peter Braun (1961), worin
das Bild des vor 32 Jahren verstorbenen Schriftstellers nach mehreren Seiten
aufgehellt wird. Der politische Lebensweg des im Sudetenland aufgewachsenen
Franz Fühmann ist ein Lehrbeispiel für die Verführbarkeit junger
Intellektueller durch die Ideologien des 20. Jahrhunderts. Er war zunächst,
durch Elternhaus und Jugendorganisationen geprägt, glühender Nationalsozialist bis
1945. Die Umerziehung zum gläubigen Sozialisten, anfangs sicher kaum mehr als
der Austausch des ideologischen Koordinatensystems, erfolgte 1947/49 in der
„Antifa-Schule“ in Noginsk bei Moskau. Das kritische Denken setzte, zaghaft
zunächst, nach dem Mauerbau 1961 ein. Seinen Beitrag zum 1959 ausgerufenen
„Bitterfelder Weg“ leistete er mit der Reportage „Kabelkran und Blauer Peter“
(1961) über die Rostocker Warnow-Werft, aber schon drei Jahre später erfolgte
die Absage mit einem höflichen Brief an den DDR-Kulturminister Hans Bentzien.
Nachlesen im Detail kann man diese Lebensstationen in Matthias Brauns
vorzüglichem Aufsatz „Franz Fühmann. Ein Fremdling in seiner Wahlheimat DDR“ in
diesem Buch.
Der „operative Vorgang Filou“, mit dem Franz Fühmann vom 13.
Dezember 1976 bis zu seinem Tod am 8. Juli 1984 wegen „staatsfeindlicher Hetze“
von der „Staatssicherheit“ rund um die Uhr überwacht wurde, umfasst elf Bände.
Dass ein Autor, der dem „realen Sozialismus“ immer kritischer gegenüberstand,
schließlich auch zum Beobachtungsobjekt der literaturfernen Organisation
„Staatssicherheit“ wurde, war unausweichlich. Anja Kampmann hat darüber
eindringlich in ihrem Beitrag „Observationen aus den Jahren 1976-1978“
berichtet. Mit Beklemmung betrachtet man die Bildfolge des Fotografen Dieter
Riemann über den verlassenen Ort im Wald bei Märkisch Buchholz, wo der Autor im
letzten Lebensjahrzehnt wohnte und schrieb. Das wurde im Sommer 1984, zehn
Wochen nach seinem Tod, aufgenommen, aber überall sind noch Spuren seiner
Anwesenheit zu sehen.
Peter Braun/Martin Straub (Hrsg.) „Ins Innere. Annäherungen
an Franz Fühmann“, Wallstein-Verlag, Göttingen 2016, 224 Seiten, Euro 19.90
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