Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 07.11.16 |
von Nathan Warszawski
Bis 1948 schreibt George Orwell an seinem Roman
„1984“, der ein Welterfolg werden wird. Unter dem Eindruck der unsäglichen
Verbrechen des Stalinismus, die damals viele Intellektuelle (bis heute)
verteidigen, beschreibt Orwell den totalitären Staat. Im Zentrum der Macht herrscht
das „Wahrheitsministerium“, welches nach der Devise verfährt:
Die
Zukunft kennen wir nicht, die Gegenwart ist schon vorbei, das Einzige, was wir
ändern können, ist die Vergangenheit.
Außer in Nordkorea, im Iran und bald auch in
der Türkei gibt es keine Wahrheitsministerien mehr. Heute sind die Lügen
demokratisiert und werden von Politkern, Wirtschaftsmanagern, Intellektuellen
und Journalen gestreut. Neu hinzugekommen im Internet-Zeitalter sind die Blogs.
Viele verbreiten Geschichtsfälschungen, die man besser klingend „Narrative“
nennt. Das Verbreiten von leicht beweisbaren Unwahrheit wird in demokratischen
und autokratischen Ländern positiv mit dem Ausdruck „Meinungsfreiheit“ besetzt.
Mit Hilfe der Narrative beabsichtigt der
Märchenerzähler, die Meinung der Leser zu manipulieren. Zumindest das Niveau
wird heruntergeschraubt. Statt zu recherchieren, bedient sich die Mehrheit
bequemerweise bei Wikipedia oder Russia Today oder bei beiden,
um ihre roh vorgefertigte Meinung zu festigen.
Orwells Satz des Wahrheitsministerium
... was
wir ändern können, ist die Vergangenheit.
klingt beinahe 70 Jahren nach seiner
Veröffentlichung holprig und veraltet. Orwells Satz reißt keinen vom Hocker. Lauschen
wir stattdessen den Worten des amtierenden Papstes, wie er sie in Schweden zum
500. Jubiläumsjahr der Luther-Reformation verkündet:
Während
die Vergangenheit nicht verändert werden kann, kann das, woran man sich
erinnert und wie man sich erinnert, verwandelt werden.
Der amtierende Papst sagt, dass die
Vergangenheit nicht verändert werden kann und erläutert gleich anschließend noch
im selben Satz, wie man die Erinnerung an die Vergangenheit, also die Vergangenheit,
verwandeln darf.
Ein zentrales Wahrheitsministerium ist in einem
demokratisch regierten Staat nicht notwendig. Das Wahlvolk folgt gehorsam
demjenigen Politiker, der beim Verdrehen der Fakten, die einer Minderheit des
Wahlvolkes nützen, nicht ins Stottern gerät. Ein häufiger Trick, der beste Wirkung
zeigt, ist das Diskutieren überBegriffe
statt überTatsachen. Ein aktuelles
Beispiel ist das klägliche Kontrollversagen der deutschen Grenzen, die Deutschland
definieren. Die Diskussion verengt sich pseudo-philosophisch auf abstrakte Obergrenzen
und ob solche überhaupt existieren.
Höchst bemerkenswert ist das Auftauchen neuer
Narrativen, wenn die alten Narrative verbraucht sind. Der Übergang vollzieht
sich nahtlos wie beim anderen berühmten Werk George Orwells „Farm der Tiere“. Aus „4-Beiner
sind gut, 2-Beiner sind schlecht“wird „4-Beiner sind gut, 2-Beiner
sind besser“. Entsprechend diesem Motto und ohne die literarische Vorlage
zu kennen, hat sich im Denken der Deutschen ein unvölkisches Narrativ
festgebissen. Während die Wiedervereinigung aller Deutschen vor 25 Jahren
herzlich begrüßt wird, setzt sich im Laufe einer einzigen Generation nach erfolgter
Wiedervereinigung die Überzeugung bei den Gesamt-Deutschen durch, dass der
Nationalstaat ein Auslaufmodell ist. Kleine Völker und Nationen - wie die
Kurden (30 – 50.000.000 / Luxemburg = 567.000) - mögen nun bitteschön auf die
Eigenstaatlichkeit verzichten!
Um Bedenken der Israelkritiker und der
Atomkraftgegner unter den Anhängern des Auslaufmodells „Eigenstaatlichkeit“ zu
zerstreuen: Der Verzicht auf die Eigenstaatlichkeit gilt selbstverständlich nicht
für Palästinenser oder Wallonen. Hier gibt es übergeordnete Interessen, die mit
dem Nationalsozialismus und der Weltrettung zusammenhängen, welche die liebsten
Narrative der Deutschen sind.
Auch der Deutsche Islam übt sich im neuen märchenhaften
Denken. Hier ein aktuelles Narrativ von Aiman Mazyek, Vorsitzender des
Zentralrats der Muslime in Deutschland:
Ich bin
Jude, wenn Synagogen angegriffen werden,
ich bin Christ, wenn Christen im Irak verfolgt werden,
ich bin Muslim, wenn Brandsätze auf Moscheen geworfen werden.
Was deuten diese drei Zeilen an? Sie lassen
sich verständlicher in eine Zeile zusammenfassen:
Ich bin
immer Opfer und übernehme niemals die Verantwortung.
Auch die Deutsche Bundesregierung
übt sich fortwährend im Märchenerzählen. Anlässlich der Schließung der letzte
großen oppositionellen türkischen Zeitung verkündet der Deutsche Staat:
Wir machen uns Sorgen um die Pressefreiheit.
Da es in der Türkei keine
Pressefreiheit mehr gibt, braucht sich niemand Sorgen über die Pressefreiheitin der Türkei zu machen. Der ehrliche, nicht-narrative
Satz der Deutschen Bundesregierung anlässlich der Schließung der letzte großen
oppositionellen türkischen Zeitung müsste korrekt lauten:
Wir machen uns Sorgen um die fehlende Pressefreiheit.
Doch gerade darum sorgt sich
die Deutsche Bundesregierung nicht. Das Lesen türkischer Zeitungen ist den
Bürgern mit Migrationshintergrund und unzureichenden Deutschkenntnissen
vorbehalten.
Kommen wir zum Schluss auf
moderne Narrative, die sich wenig von älteren unterscheiden, was dem
uninteressierten Gebildeten nicht auffallen will und soll. Federica Mogherini,
die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, spricht
gefährlich:
Meinungsfreiheit
ist in der EU ein Grundrecht, wie es der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte betont. Darunter fallen auch Informationen, die einen Staat oder
eine beliebige Volksgruppe beleidigen, entsetzen oder stören.
Diese Meinungsfreiheitschließt bekannte Zitate ein:
Deutsche!
Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!
Jüdisches
Geschäft! Wer hier kauft, wird photographiert!
Diese SS-Warnung wiederholt sich der Zeit angepasst
in Bremen. Im Sinne der begehrtesten deutschen Narrativen (Nationalsozialismus,
Weltrettung) werden aus „Jüdische Geschäfte“ „Waren aus Israel“, aus „SS“ wird „BDS“ (Boykott, Desinvestition und Sanktionen ausschließlich
gegen die Juden Israels). Die moderne Bremer Variante der Juden
hassenden Israelkritik fällt unter der Meinungsfreiheit. Es besteht keine
Gefahr, dass Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in
Deutschland, seinen leeren Worten Taten folgen lässt und er als Jude unüberlegt
zur Tat schreitet.
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