Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 08.04.09 |
von Frank-Walter Steinmeier
Anfang April wird die NATO 60. Sie blickt
zurück auf eine lange, bewegte und vor allem: erfolgreiche Geschichte.
Gegründet in den ersten Tagen des heraufziehenden Kalten Krieges, war
sie über all die Jahre Gewähr für die gemeinsame Sicherheit ihrer
Mitglieder – auch und gerade für Deutschland. 1955 trat die damals noch
junge Bundesrepublik dem Bündnis bei. Der Schutzschirm der NATO bot das
sichere Umfeld, in dem der wirtschaftliche Aufschwung in den
Folgejahren möglich wurde.
Die
NATO war gerade 40 Jahre alt, als die Mauer fiel und der Kalte Krieg zu
Ende ging. Eine Epoche des Aufbruchs und des Wandels begann. Auch das
Bündnis stand vor neuen Aufgaben: Statt „Nachrüstung“ oder
„Containment“ ging es im NATO-Rat jetzt um „Transformation“,
„Krisenbewältigung“ oder „Partnerschaft für den Frieden“. Aus früheren
Gegnern wurden Partner. Neue Mitglieder traten dem Bündnis bei.
Gemeinsam engagieren wir uns heute für Sicherheit auf unserem Kontinent
und darüber hinaus, auf dem Balkan oder in Afghanistan.
Zum
60. Jahrestag der Allianz kommen die Staats- und Regierungschefs in
Straßburg, Kehl und Baden-Baden zusammen, zu einem Gipfeltreffen, das
erstmalig von zwei Mitgliedsstaaten ausgerichtet wird. Gemeinsam werden
sie den Rhein zwischen dem deutschen Kehl und dem französischen
Straßburg überqueren. Über eine Brücke, die symbolisiert, wofür die
NATO steht: Frieden, Sicherheit und Verständigung. Ein historisches
Gipfeltreffen. Aber ebenso ein Tag, an wir den Blick nach vorn richten
sollten. Ein neuer US-Präsident kommt mit frischem Wind und neuem
Denken. Vor uns allen liegen wichtige Zukunftsaufgaben. Wir müssen
fragen: Welches sind die entscheidenden sicherheitspolitischen
Parameter des 21. Jahrhunderts?
Transatlantische Beziehungen – Rückgrat der AllianzSeit
langem schon plädiere ich für einen engen Schulterschluss mit der neuen
US-Administration unter Präsident Barack Obama. Jetzt ist der Zeitpunkt
gekommen, diesen Ansatz in praktische Politik umzusetzen: in
Afghanistan, in der NATO-Partnerschaftspolitik und bei der Suche nach
Antworten auf alte und neue Bedrohungen. Die enge Verbindung zu
Nordamerika ist und bleibt für uns unverzichtbar. Ebenso bleibt das
Bündnis entscheidender Ort der sicherheitspolitischen Konsultation über
den Atlantik hinweg. Mit der neuen Regierung in Washington ergeben sich
neue Chancen der Mitgestaltung, die wir nutzen sollten. Ein neues
Sicherheitsumfeld und das Ende einer Politik der Alleingänge eröffnet
auch im Verhältnis von NATO und EU neue Perspektiven. Auch in
Washington erkennt man heute die Notwendigkeit eines starken Europas
und einer funktionierenden Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik. Ein neuer Pragmatismus scheint hier nicht zuletzt
nach der angekündigten Rückkehr Frankreichs in die militärischen
Strukturen der NATO möglich. Gemeinsam sollten wir in NATO und EU
deshalb alles daran setzen, die oft von beiden Seiten beschworene
strategische Partnerschaft weiter auszubauen.
Erweiterungspolitik mit BedachtSeit
1994 hat die Allianz mehrere Erweiterungsschritte hinter sich gebracht.
Zum NATO-Gipfel im April werden wir wieder zwei neue Mitglieder in der
Allianz begrüßen dürfen: Kroatien und Albanien. Aber wir müssen ehrlich
zu uns selbst sein: Sowohl innerhalb der EU als auch in den
NATO-Mitgliedstaaten verzeichnen wir eine gewisse
„Erweiterungsmüdigkeit“. Nicht zuletzt, weil die Erweiterungsdebatten
der letzten Jahre zu oft notwendige inhaltliche Debatten verhindert
haben. Es geht deshalb jetzt darum, sich über Geschwindigkeit und
Parameter einer umsichtigen Erweiterungspolitik zu verständigen. Die
Entscheidung von Bukarest im vergangenen Jahr war richtig: Die Tür des
Bündnisses bleibt offen für neue Aspiranten. Jede NATO-Erweiterung
sollte aber immer auch ein Mehr an Sicherheit in Europa bringen, nicht
weniger. Der Namensstreit zwischen der Früheren Jugoslawischen Republik
Mazedonien und Griechenland, vor allem aber die innenpolitische
Spaltung über einen NATO-Beitritt in der Ukraine und der Konflikt in
Georgien haben gezeigt, dass NATO-Erweiterungsschritte keine
Selbstläufer sind und auch nicht sein dürfen.
NATO-Einsätze zur KrisenbewältigungDie
derzeit größte Herausforderung für die Allianz stellt die
ISAF-Operation in Afghanistan dar. Es muss gelingen, das Land am
Hindukusch langfristig zu stabilisieren. Afghanistan darf nie wieder
ein Rückzugsort für den internationalen Terrorismus werden. Die neue
US-Regierung hat signalisiert, dass sie ihr Engagement verstärken will
– militärisch und zivil. Die
Verantwortlichen in Washington wissen, dass sie für diese doppelte
Herangehensweise gerade in Deutschland einen aktiven Partner finden.
Gemeinsam werden wir auch einen noch stärkeren Schwerpunkt auf die
Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte legen müssen – für mich eine
zentrale Frage, weil es bei allem, was wir tun, darum gehen muss, die
Afghanen in die Lage zu versetzen, endlich wieder selbst die
Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land zu übernehmen.
In
Kosovo bleiben die 15.000 NATO-Soldaten bis auf weiteres ein
unverzichtbares Element der Stabilität. Letztlich zeigen beide
Operationen – in Afghanistan und in Kosovo: Jede Krise ist anders,
jeder Einzelfall, jede Einsatzentscheidung muss gründlich betrachtet
und gewogen werden. Eines dürfen wir dabei nicht aus dem Auge
verlieren: Artikel 5 des Washingtoner NATO-Vertrages – dass heißt die
gegenseitige Verteidigungs- und Beistandsgarantie – muss der Dreh- und
Angelpunkt des Bündnisses bleiben. Wir dürfen den Handlungsrahmen des
Washingtoner Vertrages nicht überdehnen. Jede Maßnahme, jedes Handeln
der NATO muss der euro-atlantischen Sicherheit zugute kommen. Denn
eines ist klar: Die Unterstützung und Akzeptanz der Allianz in der
Bevölkerung der Mitgliedsstaaten beruht darauf, dass die NATO
glaubwürdig ihre Sicherheit gewährleistet.
Partnerschaftspolitik als Pfeiler der BündnispolitikDurch
weltweite Partnerschaften hat die Allianz ein Netz geschaffen, das zu
mehr Sicherheit führt und von dem unsere Operationen profitieren.
Funktionale Partnerschaft heißt: Sicherheitsdialog und Zusammenarbeit
in Bereichen, die für beiden Seite sinnvoll und nützlich sind. Einer
unserer wichtigsten, wenn auch ein schwieriger Partner ist ohne Zweifel
Russland. Der Kaukasus-Krieg hat unsere Beziehung auf eine schwere
Probe gestellt. Erst kürzlich gelang es, die Weichen zu stellen, um die
monatelange Sprachlosigkeit im NATO-Russland-Rat zu überwinden.
Dabei bietet doch gerade dieses Gremium die Möglichkeit, auch über
strittige Fragen zu sprechen. Denn eines ist klar: Die Zukunft unserer
Sicherheit werden wir letztlich nur gemeinsam mit Russland gestalten
können. Konventionelle Abrüstung, gemeinsame Antworten auf neue
Bedrohungen oder Erneuerung der europäischen Sicherheitsarchitektur –
wer hier Lösungen sucht, der muss sie mit
Russland suchen. Die Frage des Verhältnisses der NATO zu Russland
bleibt eine zentrale Frage der Allianz. Ich wünsche mir, dass es
gelingt, den NATO-Russland-Rat nicht nur wiederzubeleben, sondern zu
einer wirklichen Plattform der praktischen Zusammenarbeit in
Sicherheitsfragen auszubauen. Militärische Zusammenarbeit innerhalb der
NATO und kooperative Sicherheit durch Dialog und Zusammenarbeit mit
Dritten schließen einander nicht aus. Gesamteuropäische Sicherheit,
Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung sind genauso wichtig wie eine
glaubhafte Verteidigungsfähigkeit. An beidem müssen wir weiter arbeiten.
Die Notwendigkeit der ErneuerungDer
Erfolg der NATO wird auch in Zukunft davon abhängen, ob es ihr gelingt,
sich neuen Herausforderungen zu stellen und für die Sicherheit der
Mitglieder auch in einem veränderten Sicherheitsumfeld zu sorgen. Auf
dem zurückliegenden NATO-Gipfel in Bukarest haben wir dafür gesorgt,
dass das Thema Abrüstung – eine der wichtigen Zukunftsfragen, vor denen
wir stehen – dauerhaft auf die Agenda der Allianz gesetzt wird. Ich bin
der Meinung: Der 60. Jahrestag bietet eine gute Gelegenheit, dem
transatlantischen Bündnis in Zeiten weltpolitischer Umbrüche eine neue
konzeptionelle Orientierung zu geben. Dabei wird es nicht reichen, eine
technische Diskussionen in unseren Expertengremien zu führen. Wir
müssen ehrgeiziger sein. Wir brauchen eine politische Debatte auf hohem
Niveau, eine ehrliche Aufgabendiskussion, um uns in einem zweiten
Schritt über die grundsätzliche zukünftige Ausrichtung des Bündnisses
zu verständigen.
60 Jahre – das
ist ein Grund zum Feiern. Die Allianz kann zu recht stolz sein auf das,
was sie ihn den vergangenen Jahrzehnten erreicht hat. Anlass zu
Genügsamkeit besteht jedoch nicht. Die Erfahrungen der vergangenen
sechs Jahrzehnte mögen hilfreich sein. Aber: Nur wenn wir konsequent
nach vorn schauen, wird die NATO ihre Mission auch in Zukunft erfüllen
können.
(c)-Vermerk: Mit freundlicher Genehmigung des Auswärtigen Amtes
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