Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 20.01.10 |
von Frank-Walter Steinmeier
Auf Nato-Gipfeln kann Geschichte geschrieben werden. Umso mehr, wenn
ein Jubiläumsgipfel ins Haus steht. Wenn zum ersten Mal zwei Staaten
gemeinsam dazu einladen. Wenn ein neuer amerikanischer Präsident seine
erste Europa-Reise antritt. Wenn ein französischer Präsident nach
langen Jahren ankündigt, sein Land in die militärischen Strukturen
zurückzuführen. Und wenn mit Albanien und Kroatien zwei weitere Länder
der Allianz beitreten.
Eigentlich genug Material für ein
"historisches" Treffen. Ich wünsche mir, dass es vor allem als ein
Treffen in Erinnerung bleibt, auf dem die richtigen Weichen für die
Zukunft des Bündnisses gestellt wurden. 60 Jahre lang war die Nato der
Garant für Sicherheit in Europa. Vor allem wir Deutsche haben sehr
davon profitiert. Heute leben wir in einer völlig veränderten Welt. Der
Kalte Krieg mit seiner klaren Frontstellung ist zu Ende, wir stehen vor
neuen Bedrohungen und Herausforderungen.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Zukunft der Nato entwerfen. Die Frage ist dabei nicht, ob wir die Nato noch brauchen. Die Frage lautet vielmehr, welche Nato wir brauchen. Wie müssen wir uns aufstellen, um gemeinsam die Herausforderungen unserer Zeit zu bestehen?
Eines
ist klar: Die Nato wurde gegründet als System kollektiver Sicherheit,
und die Gewährleistung von Sicherheit für alle Bündnispartner, die
feste Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand, der berühmte Artikel 5
des Gründungsvertrages - das ist das Fundament, auf dem die Nato heute
noch ruht. Und auch in Zukunft ruhen muss. Mit anderen Worten: Neue
Aufgaben nur dann, wenn sie einen konkreten Zuwachs an Sicherheit für
das Bündnisgebiet bringen. Die Nato kann die Vereinten Nationen als
Rahmen für weltweite Sicherheit nicht ersetzen, ebensowenig taugt sie
als "global policeman" für alle denkbaren Konfliktsituationen. Das
schließt allerdings nicht aus, dass die Nato im Rahmen der
Bündnisverpflichtungen eng mit den Vereinten Nationen und anderen
internationalen Organisationen zusammenarbeitet.
Ein weiterer
Punkt, wenn wir über die Zukunft des Bündnisses nachdenken:
Afghanistan. Kein Zweifel, das ist ein ganz wichtiger Testfall für uns
alle. Wir begrüßen die Neuausrichtung des amerikanischen Engagements.
Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass Afghanistan nie wieder
Brutstätte für Terroristen wird und dass die Afghanen so bald wie
möglich wieder selbst die Verantwortung für Sicherheit in ihrem Land
übernehmen. Hierzu - und darüber waren wir uns auch bei der
Afghanistan-Konferenz in Den Haag sehr einig - gehören verstärkte
Wiederaufbauanstrengungen und eine regionale Herangehensweise, die vor
allem Pakistan einschließt.
Ein weitere Schlüsselfrage: Das
Verhältnis zu Russland. Gegner oder Partner? Wiederaufbau von Vertrauen
oder Festzurren einer Politik, die auf Misstrauen gründet? Fakt ist:
Russland ist und bleibt kein einfacher Partner. Genauso wahr ist aber
auch, dass wir gesamteuropäische Sicherheit letztlich nur mit und nicht
gegen Russland schaffen können. Deshalb plädiere ich für eine aktive
Nato-Politik gegenüber Russland. Instrumente des Dialogs - wie den
Nato-Russland-Rat - müssen wir nutzen. Und dabei kann es nicht nur
darum gehen, sie formal wiederzubeleben. Vielmehr müssen wir danach
streben, sie zu einer Plattform aktiver Sicherheitszusammenarbeit zu
entwickeln. Von Afghanistan bis zur Kooperation bei der Bekämpfung von
Piraten - die Liste der relevanten Felder ist jedenfalls lang.
Das
führt mich zur nächsten Frage: Wie groß kann oder soll die Nato
eigentlich werden? Kein Zweifel: Die bisherigen Erweiterungen nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs waren richtig und historisch notwendig.
Weitere Länder klopfen an die Tür. Wie weit kann das gehen? Ich
plädiere hier für Augenmaß und Bedacht. Schon 1995, noch vor der ersten
Erweiterung, haben wir von drei Grundkriterien gesprochen: Gut für das
Kandidatenland, gut für die Nato, gut für die gesamteuropäische
Sicherheit. Diese Kriterien sind richtiger denn je, wir sollten sie bei
jedem Schritt hin zu weiteren Erweiterungen sehr gewissenhaft und
gründlich prüfen. Mehr Mitglieder, aber weniger Sicherheit - daran kann
letztlich niemand ein Interesse haben, die Nato nicht und auch die
Beitrittskandidaten nicht.
Ein letzter Punkt, der durch die
Rückkehr Frankreichs in die militärischen Strukturen der Nato neue
Dynamik gewinnt: das Verhältnis zwischen EU und Nato. Konkurrenten oder
Partner? Ich meine: Wir sind geborene Partner, beide Institutionen
sitzen ganz eindeutig in demselben Boot - mit derart überlappender
Mitgliedschaft und weitestgehend parallelen Sicherheitsinteressen. Es
mag bis in die jüngste Zeit so manche mentale Blockade gegeben haben.
Damit muss es vorbei sein. Letztlich stärkt es auch die Nato, wenn die
Europäer in der Lage sind, in enger Absprache eigenständig
Verantwortung zu übernehmen. Das ist eine genuin strategische Frage,
und wir dürfen nicht zulassen, dass sie auf alle Ewigkeit Geisel völlig
sachfremder Probleme wie des Zypern-Konfliktes bleibt.
Diese und
andere wichtige Fragen für die Zukunft der Nato liegen auf dem Tisch.
Gar nicht erwähnt habe ich das Thema Abrüstung. Auch hier stehen wir in
diesem Jahr vor wichtigen Weichenstellungen, und auch diesem Thema muss
sich die Nato stärker stellen. Klar ist: Ein einziger Gipfel kann alle
diese Fragen nicht lösen. Wichtig ist, dass ein entsprechender Prozess
beginnt. Und zwar nicht nur technisch im Jargon der Fachleute, sondern
politisch nachvollziehbar für eine breite Öffentlichkeit. Nur wenn das
gelingt, wird tatsächlich Geschichte geschrieben!
(c)-Vermerk: Mit freundlicher Genehmigung des Auswärtigen Amtes
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