Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 22.04.09 |
Die Restaurierung der beschädigten Dokumente aus dem eingestürzten Historischen Archiv der Stadt Köln wird Jahre dauern
von Constantin Graf von Hoensbroech
Die Szenerie erinnert an einen Operationssaal. An den Wänden
sind zahlreiche Instrumente wie Pinsel, Pinzetten und Besen, Messer und
Skalpelle, Holzlöffel und anderes Besteck angebracht. Im verkachelten Nebenraum
mit dem Waschbecken und den verschiedenen Flaschen mit Chemikalien und
Tinkturen werden Zeitungsreste in einer speziellen Lauge getränkt. In der Mitte
des größten Raumes steht ein eckiger Tisch, der von den Neonröhren der großen
Lampe mit dem kastenartigen Schirm in gleißendes Licht getaucht wird. Um den
Tisch stehen die Restauratoren in weißen Kitteln wie Operateure und beraten
über die Behandlung. Es handelt sich um eine zerknitterte Urkunde aus Pergament
aus dem Jahre 1266. Sie gibt Auskunft darüber, dass verschiedene Klöster und
Stifte des Erzbistums Köln sich darauf verständigt haben, dass … Ja, zu was
eigentlich? Über den Inhalt der welligen und vielfach tief eingerissenen
Archivalie kann derzeit nur spekuliert werden. Zu groß sind die Schäden an dem
historischen Dokument, das zu den mittlerweile rund 75 Prozent derjenigen
mittelalterlichen Handschriften gehört, die seit dem Einsturz des Historischen
Archivs der Stadt Köln Anfang März aus dem immer noch riesigen Berg aus Schutt,
Gestein und Beton geborgen wurden. Um das Dokument zu restaurieren, wurden die
Siegel der Urkunde zunächst einmal in besonderen Siegelsäckchen aus
Polyestervlies eingetascht. Als nächstes werden die Restauratoren in der
Abteilung Kunsttechnologie und Restaurierung des Wallraf-Richartz-Museums die
vor ihnen aufgebahrte Urkunde klimatisiert und kontrolliert der Feuchtigkeit
aussetzen, um das deformierte Pergament wieder zu glätten.
"Die Schäden werden sich nicht vollständig beseitigen
lassen", sagt Ulrich Fischer, der stellvertretende Leiter des Kölner
Stadtarchivs, und ergänzt: "Die beschädigten Archivalien werden trotz
Restaurierung weiter die Narben des 3. März tragen." Das war der Tag, an
dem das "Gedächtnis der Stadt" mit knapp 30 Kilometern Akten und
Archivalien, das als eines der bedeutendsten kommunalen Archive der Welt gilt,
aufgrund eines Erdrutsches im Zusammenhang mit dem in 28 Metern Tiefe unterhalb
des Gebäudes verlaufenden U-Bahnbaus einstürzte. Zwei Menschen fanden dabei den
Tod. Die Aufräumungsarbeiten an dem riesigen Krater auf der Severinstraße in
der Kölner Südstadt werden noch Wochen dauern. Rund 17 Kilometer aus dem Archivbestand
mit Zeugnissen aus über 1000 Jahren kölnischer, rheinischer, deutscher und
europäischer Geschichte sind inzwischen geborgen worden.
Wunder gibt es dabei auch manchmal. Dieser Tage wurde bei
den Aufräumarbeiten ein intakter Archivkeller mit 1200 Metern hochwertigem
Archivgut entdeckt. Der Zustand der aus dem Schutt geborgenen Dokumente ist
ganz unterschiedlich. Manche Handschriften seien halbiert, oft fehlten Einbände
und weiteres wiederum sei nahezu unbeschädigt, berichtet Fischer. Oftmals werden
sehr individuelle Restaurierungskonzepte, Techniken und Verfahren notwenig
sein, um ein Objekt wieder archivfähig zu machen. Nasse Funde werden
gefriergetrocknet, Zerrissenes stabilisiert, fragile Reste geschützt, alles
fein gesäubert. Aber wie weit kann eine Restaurierung gehen? "So viel wie
möglich restaurieren, aber dabei so wenig wie möglich am Objekt
verändern", sagt Thomas Klinke über die grundsätzliche Schwierigkeit der
Arbeiten eines Restaurators, denn: "Durch das Restaurieren können einem
Objekt auch irreversible Schäden hinzugefügt werden." Nicht verschönern
sei die Aufgabe, sondern die Erhaltung dessen, was vorgefunden wurde.
Wie lange die Restaurierungsarbeiten an den beschädigten
Archivalien dauern werden, will niemand der Restauratoren genau
prognostizieren. Fischer spricht von einer Aufgabe für zwei Generationen.
"Geduld ist die Grundtugend des Restaurators", stellt Thomas Klinke
lapidar fest. Klinke ist öffentlich bestellter und vereidigte Sachverständige
der Industrie- und Handleskammer Köln für die Schadensfeststellung und
Restaurierung europäischer Handzeichnung, Druckgraphik und Bücher sowie die
Feststellung technologischer Merkmale. Neben den schwierigen handwerklichen und
technischen Herausforderungen weist der Experte auch auf das "enorme
mentale Problem" der Arbeit hin: "Es kann sich ein Außenstehender
kaum vorstellen, was für eine Katastrophe das für unseren Berufsstand ist,
nachdem man Jahre lang gelernt hat, so sorgfältig, sensibel und behutsam mit
diesen Kulturgütern umzugehen." Ulrich Helbach, der Leiter des Archivs des
Erzbistums Köln, kann das bestätigen: "Als ich das erste Mal an der
Unglücksstelle war, habe ich fast einen Koller bekommen."
Hilfe und Unterstützung bekommen die Verantwortlichen in
Köln mittlerweile aus der gesamten Welt - selbst aus Australien haben
Restauratoren ihre Dienste angeboten. "Überwältigend und traumhaft",
nennt Ulrich Fischer diese Unterstützung. Auch aus der Stadt selbst haben
benachbarte oder ähnliche Einrichtungen sofort ihre Unterstützung angeboten und
sind auch in die bergungs- und Sicherungsarbeiten eingebunden. Das Archiv des
Erzbistums Köln beispielsweise hat wenige Tage nach dem Einsturz seine Magazine
gesichtet und drei Regalkilometer nahezu unversehrter Akten aufgenommen. In
vielen weiteren Magazinen werden gerettete Akten eingelagert, um die verteilten
Bestände in spätestens fünf Jahren - dann soll die Stadt Köln über ein neues
Archivgebäude verfügen - wieder zusammenzuführen.
Oftmals sind sehr individuelle Restaurierungskonzepte,
Techniken und Verfahren notwenig, um ein Objekt wieder archivfähig zu machen.
Aber wie weit kann eine Restaurierung gehen? "So viel wie möglich
restaurieren, aber dabei so wenig wie möglich am Objekt verändern", sagt
Thomas Klinke über die Schwierigkeit der Arbeiten, denn: "Durch das
Restaurieren können einem Objekt auch irreversible Schäden hinzugefügt
werden." Nicht verschönern sei die Aufgabe, sondern die Erhaltung, dessen,
was vorgefunden wurde. Ob indes von dem, was noch nicht in dem gigantischen
Schuttberg aufgefunden worden ist, wesentliche Teile erhalten werden können,
ist fraglich.
Dr. Ulrich Helbach, Leiter des Archivs des Erzbistums Köln, hat nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln in seinen Magazinen rund drei Kilometer an geborgenen Akten aufgenommen.
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