Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 22.04.09 |
von Guido Horst
In letzter Zeit lerne ich immer mehr Menschen kennen, die in
der „Naherwartung" leben. Frauen und Männer der Kirche, Geistliche wie
ganz normale Laien, aber auch hart gesottene Kollegen, von denen man glauben sollte,
dass das ernüchternde Journalistenleben sie an gar nichts mehr glauben oder
irgend etwas erwarten lässt. Naherwartung – das heißt zu Deutsch: Dass die Welt
bald untergeht. Der Heiligen Schrift der Christen zufolge ist dieser
einschneidende Augenblick gekommen, wenn der Sohn Gottes vor den Augen aller
wiederkehrt. Ob die Erde dabei in einer sich aufblähenden Sonne verglüht oder
sich im atomaren Overkill selbst zerlegt, dazu ist in der Bibel leider nichts
gesagt.
Naherwartung also. Und Papst Benedikt bricht zu einer Reise
in den Nahen Osten auf, während sich dort der Horizont noch weiter verdunkelt.
Die Schon-Atommacht Israel und die Bald-Atommacht Iran stehen sich
unversöhnlich gegenüber. Im israelischen Verteidigungsministerium arbeitet man
an Operationsplänen, die nicht nur den Feind in Teheran, sondern auch Syrien
und den Libanon einbeziehen. Der Judenstaat fühlt sich von Terroristen umgeben.
Und kommt nicht los von der „Logik der Gewalt". Einer der großen Zionisten
unserer Tage, Lord George Weidenfeld, schrieb vor kurzem in der „Welt":
„Im heutigen Kampf gegen den Terror erleben wir Gefühle, die denen im Vorfeld
des Zweiten Weltkriegs ähneln. Wir sind in einem Stadium der geduldigen
Verhandlungen mit Gegnern, deren Unnachgiebigkeit, Kampfeslust und fanatischer
Willen unsere Weltordnung zerstören. Es ist nicht klar, ob sie jemals
rationalen Argumenten und Kompromissvorschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen
werden." Je länger Russland seinen persischen Verbündeten aufrüstet, desto
eher könnten die Falken, die in Israel das sagen haben, die Nerven verlieren. Was
dann käme, wäre in der Lage, den Weltenbrand zu entzünden. Das Gemetzel vor
drei Monaten in Gaza war jedenfalls nichts dagegen.
Rom-Besucher, die sich über den endzeitlichen Zustand dieser
Welt informieren wollten, pflegten bis vor wenigen Jahren in der Basilika Sankt
Paul vor den Mauern nachzuschauen, wie viele Päpste sich noch in die runden,
für Porträts der Petrus-Nachfolgervorgesehenen Bildflächen unterhalb der Decke
des Kirchenbaus einfügen ließen. Die Zahl der freien Plätze war arg zusammen
geschrumpft – bis Johannes Paul II. weitere hinzufügen ließ. Als ratsamer
erscheint es da, im Katechismus der Katholischen Kirche nachzuschauen, der
unter Nummer 675 folgende zusammenfasst, was die Heilige Schrift über das Ende
der Zeiten sagt. „Vor dem Kommen Christi muss die Kirche eine letzte Prüfung
durchmachen, die den Glauben vieler erschüttern wird." Jedem
Fortschritts-Optimismus erteilt das Glaubenskompendium eine Absage: „Ein
religiöser Lügenwahn" werde den Menschen eine „Scheinlösung ihrer
Probleme" bringen. Und der Preis dafür werde für viele der Abfall von der
Wahrheit sein – wie es leider heute zu beobachten ist. Am Ende jedenfalls, muss
die kleine Herde Jesu Christi heftig leiden: „Die Kirche wird nur durch dieses
letzte Pascha hindurch, worin sie dem Herrn in seinem Tod und seiner
Auferstehung folgen wird, in die Herrlichkeit des Reiches eingehen. Das Reich
(Gottes) wird also nicht in stetigem Fortschritt durch einen Triumph der Kirche
zustande kommen" – und von einem Triumph der Kirche kann man heute
tatsächlich nicht sprechen -, „sondern durch den Sieg Gottes im Endkampf mit
dem Bösen." Nach den letzten kosmischen Erschütterungen dieser Welt, die
vergehe, werde das Reich Gottes „in Gestalt des letzten Gerichts zum Triumph
Gottes über den Aufstand des Bösen kommen". Der Aufstand des Bösen aber
sei der religiöse Betrug des Antichrist, ein Messianismus, der darin bestehe,
dass „der Mensch sich selbst verherrlicht, statt Gott und seinen im Fleisch
gekommenen Messias".
Die Selbstverherrlichung des Menschen ist heute in vollem
Gang. Und der religiöse Lügenwahn ist nichts anderes als die Leugnung der
Inkarnation, die Abkehr vom Fleisch gewordenen Wort Gottes. Stattdessen sucht
der Mensch das Heil bei sich selbst und den „Lösungen", die ihm die
Technokraten aller Gattungen anzubieten scheinen. Für Papst Benedikt XVI.
verlöscht derzeit der Glaube wie eine Flamme, die keine Luft mehr bekommt.
Naherwartung hin, Naherwartung her: Vielleicht wird es Zeit, sich wieder mehr
um das kostbarste Gut zu sorgen, über das jeder verfügt: die eigene Seele.
Mit freundlicher Genehmigung von Guido Horst (www.vatican-magazin.de)
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