Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 24.04.09 |
von Josef Göbel
Von einigen kirchlichen Kreisen wird die alte Berliner
Regelung, dass Religionsunterricht reines Wahlfach ist, als Nachteil angesehen,
den man jetzt im Zuge des Volksbegehrens aufheben möchte.
Könnte es nicht sein, dass sich dieses Bemühen als
kontraproduktiv für eine neue, vielleicht einzig mögliche Präsens der Religion
in der Öffentlichkeit von Heute erweisen würde?
Denn das berühmte neue Interesse für Religion wird keine
Rückkehr der Religion im alten Gewand sein, in dem religiöse Instanzen zu den
Offiziellen der Gesellschaft gehörten und vielfach noch gehören. Da nützt es
auch nichts, wenn diese neue Bewegung als Patchwork-Religion beschimpft wird,
nur weil das gewohnt obrigkeitliche Denken auf dem religiösen Feld damit nicht
umzugehen versteht?
Es scheint, dass jetzt erst die Früchte der Aufklärung im
religiösen Bereich selbst angekommen sind.
Die Aufklärung musste sich zunächst im Gegensatz und
Widerstand zur Religion entwickeln – eroberte sich dann eigenständig Bereiche
in Natur- und Geisteswissenschaft mit Erkenntnisfrüchten über Evolution und
textkritischen Einsichten bis hin zur historisch-kritischen Methode. Schwerer
noch hatte es die Aufklärung in Politik und Wirtschaft – gerade jetzt erleben
wir wieder Folgen der anhaltenden Irrationalität im wirtschaftlichen Handeln.
Alle diese Erfolge in den Sachbereichen trugen dazu bei,
dass die Aufklärung allmählich auch beim Einzelnen ankommen konnte in seinem
Verhältnis zu sich selbst – spürbar u.a. in der sogenannten sexuellen
Revolution, die bei allen Einseitigen solcher Prozesse allmählich ein
persönliches Verhältnis zur eigenen Sexualität ermöglicht. Das neue religiöse
Interesse scheint eine Fortsetzung dieser Entwicklung zu sein im Sinn einer
religiösen Revolution. Diese hilft trotz aller Umwege dem Menschen, ein
persönliches Verhältnis zu dem Geheimnis, das uns alle umfängt, zu gewinnen.
Nicht mehr fremdbestimmt, wohl aber fremder Hilfe bedürftig, z.B. der
religiösen Institutionen, wenn sie sich als „Helfer der Freude“ (Paulus) beim
Entdecken des Geheimnisses und nicht als dessen Definierer und eifersüchtigen
Verwalters verstehen.
Wer diese geistliche Befreiung mit vollzieht, kann es gar
nicht anders wollen, als dass konfessionelles Leben in religiöser oder
weltanschaulicher Gestalt sich als Angebot darstellt – als freie Wahl – und
nicht als ordentliches Schulfach mit Noten und Zeugnis.
Wer diese neue religiöse Welle in dieser Richtung
interpretiert, versteht auch, dass als Bildungsträger der
religiös-weltanschaulichen Allgemeinbildung eben nicht mehr der konfessionelle
Träger akzeptiert wird. Also fällt auch der zweite, immer wieder genannte Grund
für Religion als ordentliches Schulfach aus. Denn die „religiöse
Basiskompetenz“ ist wie die naturwissenschaftliche oder
geisteswissenschaftliche wirkungsvoller aufgehoben bei der Religions- und
Kulturwissenschaft, damit ich sie zu gebrauchen lerne für das Leben – wie
Rechnen, Lesen, Schreiben.
Wer diese Entwicklung der Religion nicht in Richtung
Privatsache sondern in die des Persönlichen deuten kann, wodurch Religion
nicht mehr unbedingt offiziell aber öffentlicher zur Geltung kommt, weiß auch,
dass es bei der zunehmenden Vermischung der Überzeugungen eine Verständigung
braucht, die gemeinsam mit Andersdenkenden gelernt werden muss – eben in einem
ordentlichen Unterrichtsfach, das wir in Berlin „Ethik“ nennen, um den
Jugendlichen Basiskompetenz für ein gemeinsames Leben in der demokratischen
Gesellschaft zu vermitteln.
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