Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 28.04.09 |
Jenny Kau Angstfänger Eine Sammlung dramatischer Geschichten Books on Demand GmbH (Februar 2009) 132 Seiten, Taschenbuch ISBN-10: 3837078078 ISBN-13: 978-3837078077 Preis: 6,90 EURO
von Heike Geilen
"Die Tränen, die man wegen eines Buches vergießt, sind etwas ganz
Besonderes.
Das
Lachen, das einem durch geschriebene Worte entschlüpft klingt kurzweiliger und
echter.
Und
die Menschen, die man auf den Seiten eines Buches kennen lernt, die einen noch
Tage, Wochen, Jahre lang, begleiten, sind das außergewöhnliche Vermächtnis
eines Schriftstellers.
Sein
Dank, seine Geschichte, aufgeschrieben, um die Menschen zu erreichen."
Diese Worte setzt die junge Autorin
Jenny Kau (Jahrgang 1976) ihrer Geschichtensammlung "Angstfänger" voran.
Es sind keine lustigen und
unterhaltsamen Storys, die sie dem Leser offenbart, sondern der Untertitel
verrät es bereits, sie beinhalten das Dramatische, das Unheilvolle und
Aufwühlende. Das Lachen wird beim Lesen dieses schmalen Büchleins gänzlich
ausbleiben, denn der Tod ist fast immer präsent. Angst, Trauer, Furcht, Schmerz
und Verzweiflung sind tonangebend. Zerstörung und Vernichtung von Hoffnungen
allgegenwärtig. Dunkle Erzählungen über die Tragik im Leben
"normaler" Menschen. Daher ist es nur verständlich, dass man von Zeit
zu Zeit tatsächlich Tränen vergießt und dass sich dem Leser die Protagonisten
ins Gedächtnis eingraben. Tragik erzeugt Verbundenheit.
Jenny Kau lässt ihre Protagonisten
von Zeit zu Zeit über wahrhaft düstere Abgründe balancieren und... den Halt
verlieren. Ein Hauch von Einsamkeit und Verzweiflung macht sich in den dreizehn
kurzen und neun längeren Geschichten breit. Sei es nun die junge Selbstmörderin,
die in bedrängnisvolles Unglück geratene Seilschaft oder aber der alte Mann,
der lange Jahre ein tödliches Geheimnis in sich trug, dass er nun seiner
Enkelin offenbart, um endlich die "Gespenster der Vergangenheit" zu
vertreiben. In "Dunkles Wasser" wiederum wird eine Wattwanderung
einigen Personen, die das Meer zu kennen glauben, zum Verhängnis. Im "Haus
der Stille" wiederum - einem Waisenhaus - gelingt es der jungen
Protagonistin nicht, ihre Schwester vor dem pädophilen Hausmeister zu
beschützen. Wie so oft verschließen alle die Augen, statt zu helfen.
"Einem Beobachter wäre aufgefallen, dass sich die Schatten hinter der
zarten Gestalt zusammenballten, als würden sie sich sammeln, um etwas
Gewaltiges zu gebären. Etwas, das so grausam und böse war, dass es sich in den
lichtlosen Schatten verstecken musste.", heißt es in der Erzählung
"Auf leisen Schwingen". Und genauso ergeht es dem Leser, hinter
dessen Rücken sich gleichfalls die Dunkelheit zusammenzieht und einen adrenalingesättigten
Schauer des Unbehagens hinterlässt.
Aber auch die leisen Töne
beherrscht die Autorin großartig. Berührend und mit verzweifleter Trauer
berichtet sie zum Beispiel in "Rosentage" von der an Alzheimer
erkranken alten Frau, die ihre Tochter nicht mehr erkennt oder der jungen
Mutter in "Schmetterlinge im Regen", die den tragischen Tod ihres
Kindes nicht verwunden hat und ihm die angeblich vergessenen Pausenbrote in die
Schule bringt.
Dieses Buch ist sicherlich nicht
für depressive Tage geeignet, nicht wenn nasses, trübes Grau in den Bäumen
hängt. Kein Sonnenschein bedingt lustige Schattenspiele, sondern Kaus Texte rufen
eher dunkle Nebelschwaden, die durch die Luft wabern und den Leser einhüllen,
hervor. Dennoch zeitigt der Duktus der Autorin keine absolutistische Endzeitstimmung.
Eine zarte Hoffnung ist immer allgegenwärtig, auch wenn es mitunter die
Erlösung durch den Tod ist. Jenny Kau nimmt auf skurrile und unorthodoxe Art
und Weise Besitz vom Leser. Ihre Zeilen schockieren, faszinieren aber
gleichzeitig: Tiefensuggestion und Gefangennahme. Die Autorin treibt latent und
intuitiv durch den Text bis zu einem kulminierenden, gekonnt in Szene gesetzten
Höhepunkt auf den letzten Zeilen. Man taucht nach einer Sekunde der Besinnung
teilweise sprachlos aus ihnen auf.
Fazit:
"Angstfänger" enthält Geschichten, die nicht dem üblichen
Schema folgen, die anders sind und kein Happy End aufweisen. Tod, Verzweiflung,
Angst, Trauer und Schmerz sind die zentralen Themen. Nichtsdestotrotz: Ein
dunkler Rausch der Sinne!
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