Erschienen in Ausgabe: No 40 (6/2009) | Letzte Änderung: 25.05.09 |
von Christoph R. Hörstel
Nach
Amtsantritt des Hoffnungsträgers im Weißen Haus lichtet sich der Nebel um die
Afghanistanpolitik von US-Präsident Barack Obama.
Zunächst wurde gemeinsam mit dem bewährten
Vermittler George Mitchell für Nahost Richard Holbrooke als Sonderbeauftragter
für Afghanistan und Pakistan ernannt. Mitchell genießt einen hervorragenden Ruf
als ehrlicher Makler. Über Holbrooke gibt es ebenfalls keinen Zweifel – er gilt
als »Arm-umdreher« und geeignet zur »Fortsetzung des Krieges mit diplomatischen
Mitteln«. Holbrooke hat im Vorjahr Afghanistan besucht, die Karsai-Regierung
scharf kritisiert und steht für mehr und härtere Militäreinsätze, möglichst
ohne Einsatzbeschränkungen (»Caveats«). Deutschland zum Beispiel will sein
Kontingent nicht im heiß umkämpften Süden einsetzen …
Die anstehende Präsidentenwahl, die nach
afghanischer Verfassung im März oder spätestens April hätte stattfinden müssen,
wurde »aus Sicherheitsgründen« in den August verlegt. Dies ist jedoch
ausgerechnet der einzige Monat, in dem die Taliban bis zu 50 000 Kämpfer
zusätzlich einsetzen können, weil die Religionsschulen in Pakistan dann Ferien
haben. Hier drängt sich die Frage auf, ob die USA freie Wahlen in Afghanistan
ernsthaft wünschen. Starke Kräfte im afghanischen Parlament haben bereits
angekündigt, Karsai nach Auslaufen seiner Amtszeit am 22. Mai nicht mehr als
Präsident anerkennen zu wollen. Das Land könnte politisch führungslos werden,
mitten in einer hoch prekären Sicherheitslage: Laut ICOS-Institut sind die
Taliban ständig in 93 Prozent des Landes stark oder erheblich präsent und haben
Kabul von drei Seiten her eingekreist.
Als neuer US-Botschafter ist der frühere
Oberkommandierende der NATO- und ISAF-Truppen in Afghanistan, General Karl
Eikenberry, vorgesehen. Dieser politisch gewiefte Eskalationsstratege steht für
ständig wachsende Truppenpräsenz in Zentralasien und die Ausweitung des Krieges
nach Pakistan, die auch unter Obama durch grenzübergreifende Angriffe offiziell
fortgesetzt wird. Den lokalen Friedensschluss mit den Taliban im britisch
verwalteten Musa Qala beendete Eikenberry an seinem letzten Amtstag
(31.12.2007) durch den Bombenangriff auf einen Verwandten des führenden
Gesprächspartners auf der Taliban-Seite.
Außerdem verschaffte Eikenberry dem Widerstand
einen ruhigen Winter in Pakistan durch das in hiesigen Medien weitgehend
unerwähnte Nordwaziristan-Abkommen vom Herbst 2006, das nach offizieller Lesart
auch Al Qaida einen sicheren Hafen bot. Damit konnte die Kampfbereitschaft und
-stärke der Taliban beidseits der afghanisch-pakistanischen Grenze gesteigert
werden. In der Folge tauchten in Pakistan starke Taliban-Ableger auf, die
inzwischen Pakistans Militär herausfordern und auch dieses Land destabilisieren.
Eikenberry ist als zumindest militärischer Architekt dieser Lage anzusehen.
Die NATO-Verbündeten wollen auch deshalb nur ungern
weitere Truppen an den unpopulären Hindukusch entsenden und haben außerdem
keine Strategie für wirksamere Entwicklungshilfe. Diskrete Versuche des
afghanischen Widerstandes, mit den Führungsmächten der Allianz
Übergangsregelungen zu vereinbaren, wurden von allen NATO-Staaten kategorisch
abgelehnt. Auch den von Widerstand und Kabuler Verwaltung gleichermaßen begrüßten
stufenweisen Abzugsplan des Autors lehnte Obamas inoffizieller
Afghanistan-Berater ab.
Die jüngste Washingtoner Einladung an regionale
Nachbarstaaten zu einer Krisenkonferenz schließt Konkurrenten wie Indien und
Pakistan ein, deren andauernder blutiger Zwist um Kaschmir so auch nach
Afghanistan ausgeweitet werden könnte. Insgesamt wird durch die Konferenz
Afghanistans Einheit vielfältig widerstreitenden internationalen Interessen
ausgesetzt. Der von Obama aus dem Bush-Kabinett übernommene Verteidigungsminister
Gates will auch von USA-Seite künftig mehr afghanische Milizen unterstützen, um
Widerstände zu brechen.
Diese ungeeignete Politik will Obama in den
kommenden 18 Monaten mit zusätzlich 30 000 Soldaten abstützen Damit wird der
Widerstand nach allen Erfahrungen jedoch ebenso locker fertig werden wie mit
den bisherigen 70 000 – oder womöglich weiteren 100 000 Soldaten, die die NATO
bislang nicht aufbringen kann und will. Fazit: Afghanistan droht ein von außen
gesponserter mehrseitiger Bürgerkrieg, so wie in der ersten Hälfte der 90er
Jahre (während der Clinton-Regierung), als Kabul in Schutt und Asche gelegt
wurde und über 100 000 Todesopfer zu beklagen waren. Ein ethischer
Politikwechsel der USA wird hier nicht erkennbar.
Christoph R. Hörstel hat als Journalist (u.a.
ARD-Korrespondent) und Politikberater seit vielen Jahren enge Kontakte in die
Region. Von ihm erschien 2007 bei Droemer/Knaur »Sprengsatz Afghanistan« und
2008 im Kai Homilius Verlag das Buch »Brandherd Pakistan«.
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