Erschienen in Ausgabe: No 41 (7/2009) | Letzte Änderung: 25.05.09 |
Wir waren Papst - Von der deutschen Lust an alten Zerrbildern
von Martin Lohmann
Joseph Ratzinger war in Deutschland nie wirklich beliebt. Jedenfalls nicht
in der veröffentlichten Meinung. Irgendwie war man froh, dass er weit weg in
Rom gelandet war. Obwohl: Er hatte für viele zu viel Einfluss unter Johannes
Paul II. Seine genaue Theologie, seine präzise Intellektualität und seine Fähigkeit,
falsche Entwicklungen unabhängig von ihrer süßen Anziehungskraft zu erkennen
und zu markieren, störten. Selbst seine letzte Predigt als Kardinal irritierte,
als er vor der Diktatur des Relativismus warnte und der Wahrheit, die mittels
der Vernunft erkennbar sei, eine neue Chance reklamierte.
Doch dann geschah - für manche - das Unfassbare:
Ratzinger wurde Papst. Der Kardinal wurde zu Benedikt XVI. Und siehe da, nach
einer deutschen Schrecksekunde waren auch die Deutschen gezwungen, endlich
einmal unverkrampft auf diesen Mann zu schauen - um zu entdecken, wie er
wirklich ist. Von Wegen Panzerkardinal. Von wegen unnahbar. Von wegen nur
verschlossen. Über Nacht wurden aus bisherigen Ratzinger-Gegnern einfühlsame
Papstkenner. Urplötzlich war ein deutscher Star geboren. Die Nation jubelte
mit, als eine große Schlagzeile ihnen das neue Credo ins Herz hämmerte: Wir
sind Papst. Jetzt wünschen sich vermutlich viele von diesen am 19. April 2005
Neubekehrten und Erleuchteten die Feststellung: Wir waren Papst. Peinlich ist
ihnen der Mann in Weiß, der so lange hilflos erschien in einer Zeit der Pannen.
Von handwerklichen Fehlern des Papstes wird geredet, Theologen fordern den
Rücktritt des Deutschen auf der Cathedra Petri, und die Welt scheint jetzt zu
wissen, dass man sich die Informationswege im Vatikan, wie es jemand
formulierte, nicht ineffektiv genug vorstellen kann.
Der Vatikan - eine Burg der Intrigen und Weltfremdheit? Ein heiliger Ort
voller Scheinheiligkeit? Der Papst als luzider Geist im Gestrüpp
weltlicher Händel? Was läuft da eigentlich derzeit für ein Film ab? Ist der
Papst wirklich so weltfremd, wie es den Anschein hat? Hat ausgerechnet ein aus
Deutschland kommender Brückenbauer Brücken abgerissen? Mancher reibt sich die
Augen und raut seinen Ohren nicht, wenn er liest und hört, wie sehr die
Erregung täglich neue Höhepunkte erreicht - oder auch sucht. Papst,
Traditionalismus, Antisemitismus, vorkonziliar, Israel, Holocaust, Gaskammern -
alles wird in einen Topf der Empörung geworfen. Und mittendrin im Feuer des
Sturmes ein offenbar hilfloser und verschüchterter Pontifex. Was ist da
eigentlich los?
Es ist schon phänomenal, was sich jetzt alles entlädt über Benedikt XVI.
Überall erscheinen eher unvorteilhafte Fotos des bis gestern noch umjubelten
Papstes, alte Geschichten und Schlagwörter werden aus der Mottenkiste
herausgeholt, und in Anlehnung an den einst so beschimpften Panzerkardinal wird
dem Petrusnachfolger jetzt das Schild Panzerpapst umgehängt. Man hat fast den
Eindruck, als gebe es einen Wettbewerb, wer wohl am schnellsten alte Giftbrühen
auftauen kann, um sie - mit allen dumpfen Klischees aus Vergangenheit und
Gegenwart angereichert - portionsweise nach Rom zu schleudern. Alles wird
miteinander verrührt und geradezu böswillig zu einer üblen Brühe gemacht.
Endlich hat vor allem die deutsche Seele wieder ein handfestes Feindbild: eben
diesen alten und nichts als rückwärtsgewandten Meister der Theologie im
vatikanischen Elfenbeinturm. Reflexartig schnellen manche in Deutschland in
jene wirren Klischees zurück, an denen sie sich bis zur Wahl von Benedikt
festhielten, die sich aber alle als Seifenblasen erwiesen haben. Frei nach dem
Motto: Wir hatten ja doch Recht mit unserem Unrecht.
Dabei wäre es eine nicht allzu anspruchsvolle Leistung des Intellekts, wenigstens
einmal zu versuchen, die Dinge auseinanderzuhalten. Da ist zunächst der Papst,
der allen Vorurteilen über ihn zum Trotz ein Mann des Ausgleichs und der
Versöhnung ist. Benedikt war und ist ein Freund des Judentums, ein
entschiedener Gegner des Antisemitismus und ein Mann des Mutes. Es ist absurd,
unfair und böswillig, ihn auch nur ansatzweise mit den verderblichen und
menschenverachtenden Aussagen eines höchst verwirrten und verirrten Bischofs in
Verbindung zu bringen. Denn dieser hat den katholischen Geist wahrlich nicht
verstanden. Die großzügige Geste des Papstes, mit der er den verirrten
Traditionalisten einen Weg zurück in die Weltkirche bahnen wollte, hat er
vielmehr auf das Übelste und höchst primitiv beantwortet. Er hat wahrlich eine
hoffentlich baldige Sonderbehandlung von Rom “verdient”.
Ebenso klar wie seine Haltung zu den Geschwistern aus dem Judentum ist des
Papstes Bekenntnis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Es war ein gewisser Joseph
Ratzinger, der damals den Kölner Kardinal und Konzilsvater Josef Frings beriet.
Es war Ratzinger, der diesem Kardinal im Vorfeld des Konzils eine Rede schrieb,
von der der Konzilspapst Johannes XXIII. lobend meinte, sie drücke genau aus,
was er mit dem Konzil wolle. Benedikt XVI. ist der letzte wirkliche Konzilspapst,
weil er als Joseph Ratzinger eben dieses Konzil mit vorbereitete und wesentlich
mitprägen konnte. Beides wäre also absurd oder bösartig: ausgerechnet ihm
einerseits ein Zurückfallen hinter das Konzil anzudichten wie auch ausgerechnet
ihm eine mangelnde Sensibilität gegenüber den Juden.
Und was die Rücknahme der Exkommunikation betrifft, bleibt wahr: Dies ist
der erste und ein großherziger Schritt, um den Abtrünnigen die Rückkehr zu
ermöglichen. Und zwar mit dem Bekenntnis zum Konzil und mit der Absage gegen
jeden Antisemitismus! Diese souveräne Klarheit gehört zur corporate identity
des Katholischen. Richtig bleibt auch, dass die von der Exkommunikation
Befreiten nach wie vor suspendiert sind, also weder als Priester noch als
Bischöfe arbeiten dürfen. Jedenfalls nicht im Namen der römisch-katholischen
Kirche in der Einheit mit dem Papst. Auch wenn der Weg zur Rücknahme der
Exkommunikation lang und mühsam war, so war er doch ernsthaft von Rom aus
vorbereitet. Ob es zur vollen Rückkehr der Kirchenrebellen kommen wird, scheint
derzeit mehr als fraglich. Jedenfalls ist dieser Weg wohl noch sehr weit.
Dennoch: Es ist der Papst, bei dem sich alle berechtigte und unberechtigte
Kritik bündelt. Seine Leute haben ihn falsch informiert, haben unglücklich und
auch dumm gehandelt. Das trifft selbstverständlich auch Benedikt. Deshalb ist
jedes klare, notfalls auch wiederholte Wort von ihm so wichtig und buchstäblich
notwendig. Möglichst in Deutsch - damit es die Deutschen wenigstens
hören. Es war gut und richtig, dass der Vatikan nun sehr deutlich den
Holocaust-Lügner aufforderte, eindeutig zu wiederrufen. Es ist gut und richtig,
dass gestern endlich an die Adresse der Ex-Exkommunizierten gesagt wurde, ohne
eine Einheit mit dem Papst und der Lehre der Kirche, wozu auch das Zweite
Vatikanische Konzil gehört, könne es eben keine wirkliche Einheit geben. Der
Papst ließ also reagieren. Für ihn sind die dummen wie bösen Aussagen des Herrn
Williamson “inakzeptabel”. Gut so! Unnötig hingegen waren vermeintlich kluge Worte
ohne versuchte Differenzierung von Regierungschefinnen, die besser klug
geschwiegen hätten. Hier gilt: Si tacuisses, philosopha mansisses.
Dem klugen und mutigen wie sensiblen Papst, der als oberster
Verantwortlicher natürlich verantwortlich ist, bleibt zu wünschen, dass manche
seiner Leute ihn nicht bald schon wieder irgendwo so sträflich reinreiten, wie
es jetzt zu seinen Lasten und auf Kosten seiner Glaubwürdigkeit gemacht oder
zugelassen wurde. Sie sind mitverantwortlich, wenn Fairness auf der Strecke
bleibt. Denn Benedikt will vor allem Klarheit in Wahrheit. Er will klären und
versöhnen. Darin unterscheidet er sich, wie man sieht, von vielen anderen.
Leider. Die so lange n Deutschland bedienten und gepflegten Klischees
über Ratzinger-Benedikt bleiben nichts als Verzerrungen.
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