Erschienen in Ausgabe: No 40 (6/2009) | Letzte Änderung: 09.06.09 |
von Robert Lembke
Am 12. Juni ist es soweit: Der Iran wählt einen neuen
Präsidenten. Nach dem heißersehnten Abtritt des unglückseligen George W. Bush
könnte die Welt ein zweites Mal aufatmen, auch wenn dabei nicht mal annähernd
ein ähnlicher Umschwung wie im Falle des messianisch angehauchten Barack Obama
zu erwarten ist.
Es könnte nämlich eng werden für Mahmud Ahmadinedschad: Die globale Krise
setzt dem durch Handelsembargos ohnehin gebeutelten Land weiter zu; lahmt die
Weltwirtschaft, bleibt der Ölpreis weiterhin niedrig, was dazu führt, dass die
Haupteinnahmequelle des Iran bedenklich schwächelt. Man darf also gespannt
sein, ob die ohnehin nur durch staatliche Repression niedergehaltenen Stimmen
der inneriranischen Opposition nicht am Ende so laut werden, dass sie das Lager
des Präsidenten schlicht übertönen.
Dass dem Westen ein solcher Ausgang nicht eben ungelegen käme, steht spätestens
seit Ahmadinedschads Auftritt auf der Genfer Anti-Rassismus-Konferenz Ende
April außer Frage. Zahlreiche Delegierte der westlichen Welt verließen
demonstrativ den Saal – Deutschland, die USA und Israel hatten erst gar nicht
teilgenommen –, als der iranische Präsident seine Version des Themas Rassismus
präsentierte. In seiner Sichtweise handelt Israel verbrecherisch, weil es sich
als „Besatzerregime“ illegitim in Pälastina festgesetzt habe. Nach seiner
Rückkehr in den Iran ist Ahmahdinedschad für seine markigen Worte im Parlament
gefeiert worden.
Welcher Kreis von Vorstellungen steht hinter den Reden des kleinen Mannes, der
in den Medien häufig verkürzt als „Holocaust-Leugner“ rubriziert wird?
Historikerdispute hin, Übersetzungsprobleme her: Holocaust-Zweifler wäre
richtiger. Offenbar hat Ahmahdinedschad einen anderen Ansatz, der zwei Ziele
gleichzeitig verfolgt: Erstens greift er die Funktion an, die der Holocaust für
das westliche Bewusstsein angenommen hat – die eines Dogmas nämlich, dass
seiner eigenen, womöglich nihilistische Züge tragenden Zivilisation die
fehlende Legitimität verleihen soll.
Zweitens akzeptiert er aber das Faktum des Holocaust – die Ermordung von sechs
Millionen Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft –, um damit die
Existenzberechtigung des jüdischen Staates in Frage zu stellen. Der
Antisemitismus der Europäer und dann vor allem der Nazis habe die Juden ursächlich
aus Europa vertrieben, darum müssten die Europäer jetzt auch dafür Sorge
tragen, dass das Problem Israel gelöst werde – „to wipe it off the map“, wie
Ahmadinedschad verschiedentlich zitiert wird. Diese geschichtsblinde und unter
realpolitischem Gesichtspunkt völlig haltlose Interpretation dient dem
Präsidenten des Iran nun seit einiger Zeit als Vorwand für sein aggressives
Auftreten gegen Israel. Ob dieses wirklich darin gipfeln soll, nach
erfolgreicher Herstellung einer Atombombe diese auch gegen den jüdischen Staat
einzusetzen, ist zumindest fraglich – auch wenn manche amerikanische Beobachter
schon einen dritten Weltkrieg heraufziehen sehen.
Vielleicht kommt alles aber auch ganz anders. Vielleicht geht die Ära
Ahmadinedschad schon kommenden Freitag zu Ende. Und selbst wenn der kleine Mann
sich noch einmal an der Macht halten kann, den Kampf gegen den Liberalismus,
gegen die „Okzidentose“, wie man im revolutionären Islam die westliche
Zivilisation nannte, kann er nicht gewinnen. Die schleichende Unterwanderung
des Bewusstseins durch soft power, nämlich Handels- und Medienmacht, hält man
nicht auf, indem man McDonalds-Filialen schließt und den Konsum westlicher
Musik verbietet.
Es ist ein bißchen wie mit der DDR: So sehr man auch versucht, den vermeintlichen
Hort des Heils gegen die schädlichen Einflüsse der westlichen Kultur zu
verteidigen, man bringt auf Dauer nur die eigene Bevölkerung gegen sich auf. In
den reichen Oberschichten der großen Städte hatte Ahmadinedschad ohnehin nie
einen Rückhalt. Diese westlich orientierten Iraner erleben den ‚lebendigen
Islam‘ als bloße Farce, ihre hedonistisch-großbürgerlichen Partys finden im
Verborgenen statt – die Frauen tragen in der Öffentlichkeit Schleier, privat
aber Catsuit.
Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass in den westlichen Medien die Freiheit
des Wahlkampfs und der Mut der Beteiligten – etwa der emanzipationswilligen
Frauenbewegung – überhöht werden, so deutet doch vieles darauf hin, dass der
Stern der islamischen Hardliner im Sinken begriffen ist. Viele in der
Opposition, die die Islamische Republik reformieren wollen, sind es offenbar
endgültig leid, in der Weltgemeinschaft als schwarzes Schaf dazustehen. Mit der
von US-Präsident Obama im März gezeigten Bereitschaft einer Neudefinition der
Beziehungen zwischen beiden Ländern hat dieser Wunsch noch mehr Nahrung
bekommen.
Doch selbst wenn es am 12. Juni zu einer Abwahl Mahmud Ahmadinedschads kommt,
so darf man bei aller Euphorie nicht vergessen, welche Resistenz gegenüber
Reformversuchen in der politischen Organisation der Islamischen Republik
steckt. Der vom „Revolutionsführer“ und Obersten Rechtsgelehrten Chamenei zur
Hälfte ernannte Wächterrat verfügt über die Macht, alle vom Parlament
beschlossenen Gesetze wegen ihrer Nonkonformität mit dem Islam zu revozieren.
Dieses Vetorecht ist ein keineswegs zu unterschätzendes Mittel, von dem auch in
der jüngsten Vergangenheit noch Gebrauch gemacht wurde, zuletzt während der
Amtszeit des gemäßigten Reformers Chatami, der seine Kandidatur für die
anstehende Wahl bereits im März zurückgezogen hatte, um Mussawi zu unterstützen.
Eine Wahlniederlage Ahmadinedschads bzw. ein Sieg Mussawis muss deshalb weder
in zu rosigem noch zu fahlem Licht gesehen werden. Mussawi, der den Iran durch
den verheerenden Ersten Golfkrieg (1980-1988) führte, gilt zwar gegenüber dem
amtierenden Präsidenten als gemäßigter; ein überzeugter Anhänger der Revolution
und Verteidiger des iranischen Atomprogramms ist er aber nicht weniger als
Ahmadinedschad. Was sich ändern könnte, ist die Bereitschaft des Irans zu
Dialog und Austausch mit der westlichen Welt, was wiederum über längere Zeit
dazu führen könnte, dass die demokratischen Elemente gestärkt werden und die
theokratischen allmählich ihren Sinn verlieren. Ein Wahlsieg Ahmadinedschads
wäre dagegen ein Zeichen für die Fortsetzung des Konfrontations- und
Isolationskurses, der dem Land im vergangenen Jahrzehnt große Probleme
bescherte und der über kurz oder lang zu neuen, auch militärisch ausgetragenen
Krisen im Nahen und Mittleren Osten führen könnte. Man darf also gespannt sein,
welchem der beiden einzuschlagenden Wege die Iraner ihr Votum geben werden.
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